Die andere Seite der Pipeline
Am Dienstag (8. November 2011) feiern der russische Präsident Dmitri Medwedew und Kanzlerin Angela Merkel im mecklenburgischen Lubmin die Inbetriebnahme der Ostsee-Gaspipeline. Über die neue Leitung kann das vom Rohstoffexport abhängige Russland Gas direkt nach Westeuropa pumpen und Transitländer wie die Ukraine umgehen.
Bei Umweltschützern ist das Projekt nicht mehr so umstritten wie noch zu Beginn, als die Verlegung der Rohre auf deutscher Seite im vergangenen Frühjahr begann. Damals hatten beispielsweise Fachleute des WWF gegen die Ablagerung von ausgehobenen Schichten auf dem Meeresgrund geklagt. Sie befürchteten, dass viele Lebewesen wegen der veränderten Bodenbedingungen sterben könnten. Der Betreiber NordStream hatte daraufhin die Materialien an Land gebracht.
Mittlerweile begrüßen Umweltschützer sogar die 1223 Kilometer lange Pipeline. „Erdgas wird in den nächsten Jahren immer wichtiger, gerade beim angestrebten Übergang von Kohle und Atomenergie hin zu erneuerbaren Energien“, sagt Alexej Knizhnikow, Leiter der Umweltprogramme im Energiesektor beim WWF in Russland. NordStream halte sich beim Bau zudem strikt an internationale Standards, wie z.B. die Espoo-Konvention über grenzüberschreitende Umweltauswirkungen der Vereinten Nationen. „NordStream hat zumindest in Europa regelmäßig Umweltschutz-Organisationen konsultiert, alle Daten kann man im Internet nachlesen“, lobt Knizhnikow.
Doch das Lob gilt nur für die Kommunikation mit den europäischen Partnern. In Russland verhalte sich Nordstream ganz anders, kritisieren Experten. Denn die russische Erdgasgesellschaft Gazprom, die mit 51 Prozent die Mehrheit am Pipeline-Betreiber Nordstream hält, hüllt sich russischen Journalisten und Organisationen gegenüber in Schweigen. „Gazprom lehnt den Dialog oder gar eine Zusammenarbeit mit Umweltorganisationen ab“, sagt WWF-Experte Knizhnikow. Auf russischem Gebiet verletze Gazprom regelmäßig sogar nationale und internationale Standards, indem der Konzern in Seen oder Naturschutzgebieten bohrt.
Russische Ökologen sprechen deshalb von einem doppelten Gesicht: „In Europa zeigt sich der Konzern als soziale und verantwortungsbewusste Firma. In Russland verlässt sich Gazprom auf die schwache Zivilgesellschaft und verletzt Gesetze“, so Alexei Knizhnikow. Von doppelten Standards spricht auch der St. Petersburger Ökologe Alexander Tsutjagin. Er beobachtet seit Jahren die Umweltverschmutzung im Ostseeraum. „In Deutschland unterstützt Gazprom sogar die Erweiterung von Naturschutzgebieten entlang der Pipeline. In Russland dagegen ist auf unsere Forderung nach einer Erweiterung des Ingermanlandsky-Naturschutzgebiets nichts passiert“, klagt Tsutjagin.
Darüber hinaus verweisen russische Umweltschützer auf die langfristigen Folgen, die die verbesserte Gasleitung nach Europa nach sich zieht. „Gerade wegen der steigenden Nachfrage nach Erdgas in Europa wird auf russischem Gebiet immer mehr gebohrt. Ein Großteil des Gases wird aus der Arktis kommen. Das bedeutet die Umsiedlung von Urvölkern und die Zerstörung ganzer Gebiete“, sagt Tschouprow.
Noch ein Problem für Tschouprow ist die Frage der Investitionsprioritäten. „NordStream hat die konventionelle Energie wird weiter gefördert, die Erneuerbaren geraten ins Hintertreffen“.