Modeschau statt Militärparade
Der Rote Platz dient zum Tag des Sieges heute als Catwalk für Designer-Uniformen und schwere Waffentechnik (n-ost) - Frisch gepinselte gelbe Linien ziehen sich durch die Straßen der Moskauer Innenstadt. Sie führen alle zum Roten Platz vor dem Kreml. Auf dem Platz wird immer noch eifrig gehämmert, gebohrt, geschraubt und gesägt. Der Vorarbeiter treibt die Handwerker zur Eile an. In wenigen Stunden soll das gesamte Areal abgeriegelt und zur Sicherheitszone erklärt werden. Die Tribüne vor dem Lenin-Mausoleum steht schon. Bauarbeiter befestigen noch die letzten Plastiksitze – sie leuchten im kräftigen Violett. Hoch über der frisch restaurierten Basilius-Kathedrale, Russlands bekanntestem Wahrzeichen, hängt ein gigantischer Flaschenzug: Wie schon bei der Amtseinführung des neuen Präsidenten Dmitrij Medwedew begleiten schwebende Kameras die Militärparade von hoch oben und übertragen das Schauspiel live landesweit in die Wohnzimmer – damit der gemeine Russe auch miterleben darf, was hinter den Sicherheitsabsperrungen, die nur Ehrengäste durchqueren dürfen, geschieht. Dass sich dort Großes ereignen wird, das ahnt man in Russland schon seit Tagen. Poster, Fahnen, Leuchtreklamen und Werbebanner verkünden den „Tag des Sieges“ – als sei der Krieg gegen den Faschismus erst gestern gewonnen worden. 63 Jahre ist die Kapitulation Hitler-Deutschlands schon her. Doch darum geht es in Russland dieser Tage nicht wirklich, so scheint es. Vielmehr setzt sich da ein wieder erwachter russische Bär in Szene, mit Designer-Uniformen, die an die Zarenzeit erinnern, und Waffen wie im kalten Krieg. Zum ersten Mal seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion rollen wieder moderne Panzer und Atom-Raketen über den Roten Platz. Und der frisch gebackene Präsident Dmitrij Medwedew wird auf der Tribüne seinen ersten öffentlichen Auftritt meistern müssen – dabei hat der Zivilist mit Militär und Waffentechnik nicht wirklich was am Hut.
Der Tag des Sieges am 9. Mai auf dem Roten Platz
FOTO: Simone Schlindwein
Medwedews Frau Swetlana hingegen dürfte dem Ereignis mehr entgegenfiebern: Für die modebewusste neue First Lady wird der Rote Platz an diesem Tag kein Spielplatz alten und neuen Kriegsspielzeugs sein, sondern schlicht der größte Catwalk der Welt. Stundenlang darf Swetlana Medwedewa von der Ehrentribüne aus die neue Kollektion ihres Lieblingsdesigners bewundern, dessen Kreationen sie selbst im Schrank hängen hat. Der Karl Lagerfeld Russlands, Walentin Jaduschkin, entwarf für die 1,2 Millionen Soldaten und Offiziere der russischen Armee neue Uniformen. Diese Designer-Monturen dürfen 8.000 Soldaten am 9. Mai erstmals der Öffentlichkeit präsentieren. Russlands populärster Modedesigner, der sonst die Reichen und Schönen ausstaffiert, hat sich alle Mühe gegeben, die eigentlich desolate Truppe im neuen Glanz erscheinen zu lassen. Die neuen Kriegstrachten erinnern eher an Zarenzeiten, denn an die ehemalige Rote Armee: Dekorative Elemente schmücken die Schulterklappen und Ärmel. Der bestickte Kragen und die Goldknöpfe verleihen den jungenhaften Rekruten, die immer noch eine erniedrigende Ausbildung durchlaufen müssen, Ehre und Stolz. Tradition vereint sich in Jaduschkins Kollektion mit der Moderne: Die Mikrofaser-Materialien schmiegen sich eng an und betonen die Figur. Dieses Detail hätte in Russland fast für einen Skandal gesorgt – stellte sich doch heraus, dass die meisten Offiziere zu dick für die neuen Waffenröcke sind. Mehr als 30 Prozent leiden unter Übergewicht, musste ein Armeesprecher zugeben und verkündete gleich ein groß angelegtes Fitnessprogramm. Umso stolzer sind die Russen jedoch auf ihr Waffenarsenal, das zum ersten Mal seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion wieder zur Maiparade anrollt. Operativ-taktische Raketen, Fla-Raketensysteme und Schützenpanzer werden schon seit Tagen im Militärdistrikt „Alabino“ in der Nähe von Moskau auf Hochglanz poliert, um das russische Riesenreich wieder als Militärmacht zu präsentieren. „Das ist kein Säbelrasseln. Wir bedrohen niemanden“, erklärt der Ex-Präsident und gerade frisch gewählte neue Premierminister Wladimir Putin: „Das ist die Vorführung unserer zunehmenden Möglichkeiten im Verteidigungsbereich“, sagt er. Nicht nur als Catwalk für Designermode, sondern auch für russische Waffentechnik muss der Rote Platz am Freitag also herhalten. „Die Parade kann zum Export von Militärtechnik beitragen“, erklärt Sergej Soworow, ehemaliger Berater des Waffenexportkonzerns Roswooruschenije, der heute Rosoboronexport heißt. Die Vereinigten Arabischen Emirate hätten einst Schützenpanzer des Typs BMP-3 bestellt, nachdem sie diesen im Jahr 1990 durch Moskau haben rollen sehen. Im Westen weckt das Militärschauspiel dunkle Erinnerungen. Es ist klar: Mit dem pompösen Spektakel will Moskau zwei Tage nach der Amtseinführung des neuen Präsidenten Stärke zeigen und nebenbei auch dem Ärger über die geplanten US-Raketenabwehrpläne in Tschechien und Polen Ausdruck verleihen. Die USA dagegen scheinen davon wenig beeindruckt: „Wenn sie ihr altes Gerät rausholen und ausprobieren wollen, dann dürfen sie das gerne tun“, winkte der Pentagon-Sprecher Geoff Morrell ab. In Moskau sieht man die Militärparade geradezu als Pflicht des Staates gegenüber dem Bürger: Die Technikparade sei kein Symbol der Wiedergeburt irgendwelcher militärischer Bestrebungen, kommentiert Ruslan Puchow vom Präsidium des Gesellschaftlichen Rates beim Verteidigungsministerium. „Das ist eher eine Art Rechenschaft vor dem Steuerzahlern“, sagt er. Was den Steuerzahler in Russland jedoch weniger erfreuen wird, sind die Straßenschäden, die das schwere Gerät verursacht. Umgerechnet 40 Millionen Euro werden die Vorbereitungen und die Reparaturen des Pflasters und der Bordsteine kosten, schätzt die Stadtverwaltung. In den Fußgängerunterführungen rund um den Roten Platz mussten Stahlträger zur Verstärkung eingezogen werden, damit die zum Teil 90 Tonnen schweren Maschinen nicht die Tunnel zum Einsturz bringen. Auch die Kosten für den strahlend blauen Himmel werden dem Steuerzahler in Rechnung gestellt. Seit Mittwoch, als noch kleine Schneeflöckchen vom Himmel wehten, kreisen die mit Chemikalien bestückten Flugzeuge über der Hauptstadt – damit über dem Catwalk auf jeden Fall die Sonne lacht. ENDENachdruck und Weiterverwertung dieses Artikels sind kostenpflichtig. Informationen im n-ost-Büro unter (030) 30 83 11 87