Die Insel der Hoffnung
Die Sorben in der Lausitz kämpfen ums Überleben / Neues Finanzierungsabkommen verzögert sich(n-ost) - Die Sorben sind ein stilles Volk. Abgesehen von österlichen Brauchtumsveranstaltungen ist wenig zu hören von dieser autochthonen westslawischen Minderheit im Südosten Deutschlands. Bis vor wenigen Tagen. Denn nun soll Stanislaw Tillich Ministerpräsident in Sachsen werden – der erste Sorbe überhaupt, der in höchste Partei- und Regierungsämter rückt. Kein Wunder also, dass die Domowina – der Dachverband der Sorben in der Lausitz – große Hoffnungen auf ihn setzt.60.000 Sorben leben heute noch in Sachsen und Brandenburg. Im 18. Jahrhundert waren sie noch eine Viertelmillion. Im Überlebenskampf braucht das Volk daher starke Fürsprecher aus den eigenen Reihen. Und Tillich kommt zur rechten Zeit, denn das Finanzierungsabkommen, das die Unterstützung der Sorben zwischen Bund und den Ländern Sachsen und Brandenburg regelt, ist 2007 ausgelaufen. Über ein neues streiten sich die sorbischen Vertreter mit dem Bund derzeit erbittert. Während die Sorben jährlich für ihr kulturelles Überleben 16,4 Millionen Euro einfordern, hat der Bund angekündigt, seine Zuschüsse, die bei 7,6 Millionen Euro lagen, bis 2012 jährlich um 100.000 Euro zu kürzen. Die Länder Sachsen und Brandenburg überwiesen ihrerseits bislang 7,6 Millionen Euro jährlich an die „Stiftung für das sorbische Volk”. Sie müssten in Zukunft entsprechend mehr zahlen.
Familie Handrick vor ihrem Haus in Wendischbaselitz
Melanie LongerichDie Fronten sind verhärtet: Der Bund beruft sich auf einen Bericht des Bundesrechnungshofs, der Unwirtschaftlichkeit bei den sorbischen Institutionen moniert, und hat jetzt ein Teil der Zuschüsse für 2008 gesperrt. „Wir sind ein Volk und keine Eier malende Folkloregruppe“, zürnt dagegen Jan Nuck, Vorsitzender der Domowina und warnt, den kulturellen Wert der Sorben nackten Zahlen zu überlassen. Anfang Mai soll neu verhandelt werden.Die Sorben in der Lausitz haben schon immer kämpfen müssen, als sie sich zum Ende der Völkerwanderung dort niederließen und seit dem 10. Jahrhundert unter wechselnden Besatzungsmächten lebten, die ihnen mal mehr und mal weniger Assimilation abforderten. Das hinterlässt Spuren: Sorbe zu sein, kann heute vieles heißen. Sie sind Christen oder Atheisten, sprechen Sorbisch oder Deutsch, leben die Bräuche oder orientieren sich an deutscher Kultur. Ihre gemeinsame Identität ist lange schon keine Frage der Lebensführung mehr.„Sorbe ist, wer sich dazu bekennt“, sagt Johann Handrick. Der 84-Jährigen lebt in Serbske Pazlicy, wie das sächsische Dorf Wendischbaselitz auf Sorbisch heißt: Das war bei seinen Eltern so, bei seinen vier Kindern, und das wird auch bei den 14 Enkelkindern nicht anders sein. Auf Familien wie die Handricks baut heute die Domowina, um Bräuche und Traditionen noch ins nächste Jahrhundert zu retten. Das könnte klappen, denn Wendischbaselitz liegt auf einer sorbisch-katholischen Insel inmitten deutscher Protestanten, ebenso wie Panschwitz-Kuckau, der Wohnort Stanislaw Tillichs. Beide Dörfer sind sorbisches Kerngebiet im Dreieck zwischen Bautzen, Hoyerswerda und Kamenz. Ein Ort wie Helgoland.Die Insel in der Nordsee musste schon oft herhalten, wenn es darum geht, die Lage der Sorben zu beschreiben. Im 16. Jahrhundert hatte dieser Teil der heutigen Oberlausitz noch zu Böhmen gehört, und die sorbischen Dörfer wie Wendischbaselitz waren im Besitz des Zisterzienserinnenklosters St. Marienstern in Panschwitz-Kuckau, das die Reformation katholisch überstand. Anders als in der protestantisch geprägten Niederlausitz konnte hier in Kirchen und Schulen lange Sorbisch gesprochen werden. „Ein bis heute geschlossener Kreis an Menschen, die im eigenen Saft schmoren“, nennt es Dietrich Scholze-Šołta, Direktor des Sorbischen Instituts in Bautzen, das die Geschichte der Sorben erforscht. Das hat auch sein Gutes: Denn heute ist der Feind der Sorben längst kein König mehr und auch kein totalitäres Regime - sondern neben Abwanderung und Absturz der Geburtenrate schlicht die Allgegenwärtigkeit der deutschen Sprache. Für Dietrich Scholze-Šołta ist es deshalb auch nur eine Frage der Zeit, bis sich die sorbische Minderheit in der deutschen Mehrheit verliert. „Die Sorben haben kein Mutterland, an dem sie sich orientieren könnten“, sagt er. Deshalb müsse vor allem die Sprache Identität stiften. Doch das ist nicht einfach: Statistisch gehen jedes Jahr 1000 Sorben sprachlich verloren. Wenn man nicht auf einer Insel lebt, ist es leichter, so zu sein wie die anderen.Wer Maria Handrick zum ersten Mal sieht, wird an vergangene Zeiten erinnert: Ihre weißen Haare sind sorgsam unter einer schwarzen Haube verborgen, die an zwei Bändern unter dem Kinn zusammengehalten wird. Dazu trägt die Sorbin eine geblühmte Bluse und einen langen Faltenrock. Die 79-jährige Ehefrau von Johann Handrick trägt Tracht seitdem sie 14 Jahre alt ist; noch Alltag in Wendischbaselitz – zumindest für die ältere Generation. Obwohl sich ihr weicher Zungenschlag kaum von dem der Deutschen der Region unterscheidet, fühlt sich die Sorbin nicht ganz Zuhause in der deutschen Sprache. Von klein auf wurde in ihrer Familie nur Sorbisch gesprochen, auch ihre Kinder und Enkelkinder lernten Deutsch erst, als sie eingeschult wurden. Wie einst Stanislaw Tillich besuchen die ältesten heute das sorbische Gymnasium in Bautzen, wo sie weitestgehend in ihrer Muttersprache auf das Abitur vorbereitet werden.Abgrenzung ist wichtig, um kulturell zu überleben. Das weiß auch der 48-jährige Sohn. „Wir“, sagt Martin Handrick oft und „die Deutschen“. Er hat zwar einen deutschen Pass, deutsch fühlen muss er sich deshalb nicht. Könige versuchten schon alles Sorbische auszumerzen, die Nationalsozialisten verbannten sorbische Sprache und ihre Lehrer aus den Schulen und sorbische Geistliche aus den Kirchen der Region. Nach dem „Endsieg“ sollten alle bekennenden Sorben ebenso wie die Polen als „führerloses Arbeitsvolk“ ausgesiedelt werden. Zu DDR-Zeiten dann mussten die Sorben als Vorzeigeminderheit herhalten: „Mit einer wohlwollenden Behandlung der slawischen Minderheit wollte man der sowjetischen Regierung beweisen, ein gutes Bruderland zu sein“, erklärt Dietrich Scholze-Šołta. Kein Wunder also, dass die DDR sorbische Sprache und Kultur Zeit ihres Bestehens materiell beträchtlich gefördert hat: „Die rechtliche Stellung der Sorben war im internationalen Vergleich nahezu vorbildhaft.“ Doch das über Generationen erworbene Misstrauen sitzt bei Martin Handrick und seiner Familie bis heute tief. Es ist wohl kein Zufall, dass der Schreiner und seine Ehefrau Gabriela zwar deutsche Kollegen aber nur sorbische Freunde haben. Die junge Generation der Sorben sieht das schon gelassener: „Freund ist Freund“, sagt der 15-jährige Sohn Stanij schlicht. Die Ausgrenzung unter Gleichaltrigen hat er nie erfahren. Und dennoch hat er Hobbies, für die sich viele deutsche Jugendliche seines Alters eher schämen würden: Trachtentanz. Und so haben anders als in der übrigen Lausitz die Sorben auf ihrer Insel noch nicht mit Nachwuchsproblemen zu kämpfen. „Brauchtumspflege” – anders als Generationen von Jugendlichen zuckt Stanij bei diesem Wort nicht zusammen: „Tradition macht doch Spaß.“ Und so will Stanij die Lausitz auch nie verlassen, während es andere Jugendliche zum Studium in große Städte treibt: „Hier ist es ganz normal wie ich bin. In anderen Teilen Deutschlands kennt man die Sorben nicht einmal.“ Damit wird er recht haben. Wird es das Volk der Sorben also bald ganz verstummen? Maria Handrick zumindest glaubt fest daran, dass da eine Zukunft ist. Und Glauben, sagt sie, habe schon immer geholfen: „In guten wie in schlechten Zeiten.“ENDENachdruck und Weiterverwertung dieses Artikels sind kostenpflichtig. Informationen im n-ost-Büro unter (030) 30 83 11 87