Russland

Außen Glonass - innen GPS

Das russische Satellitennavigationssystem entpuppt sich als Potemkinsches Dorf(n-ost) – Mit leuchtenden Augen spaziert Gunter Ehm von Stand zu Stand und inspiziert die russischen Navigationsgeräte. Auf dem internationalen Forum zur Entwicklung der Satellitennavigationssysteme in Moskau hofft der deutsche Geschäftsmann endlich das zu finden, was er seit mehr als drei Monaten sucht: Er will eines dieser russischen Navi-Gerät haben, von denen in den Technik- und Autozeitschriften permanent die Rede ist. Glonass, die russische Alternative zum amerikanischen GPS- oder europäischen Galileo-System, ist nun auch für kommerzielle Anwendungen frei gegeben. Zu Weihnachten hat der erste Vizepremier Russlands, Sergej Iwanow, Präsident Wladimir Putin einen Glonass-Empfänger geschenkt – damit sein Labrador nicht mehr unbemerkt weglaufen kann. Das entsprechende Hundehalsband soll es ab Sommer 2008 in den Läden geben, versprach Iwanow, der Regierungsbeauftragte für Hochtechnologie. Doch bis jetzt hat Gunter Ehm nicht einmal das einfache Gerät für das Auto im Fachgeschäft gesehen.
Glonass-GPS-Empfänger funktionieren besser als reine Glonass-Geräte.
Simone Schlindwein„Wie viel kostet das denn?“, fragt Ehm, der für die deutsche T-Systems Tochtergesellschaft „Satellic“ für Russland zuständig ist. Der Technologie-Dienstleister für den Aufbau und Betrieb fortschrittlicher Maut- und Verkehrsmanagementsysteme berät das russische Transportministerium und will den Beamten die Satelliten gestützte Maut-Technik schmackhaft machen. Deswegen will Ehm unbedingt wissen, wie die Kisten im Inneren eigentlich funktionieren. Für umgerechnet 800 Euro verkauft der russische Hersteller M2M sein Produkt. „Aber nicht an Privatpersonen“, muss Dmitrij Tjurin am M2M-Ausstellungsstand lächelnd zugeben. Seine Firma vertreibt nur an russische Autohersteller. Bei der Frage nach dem Glonass-System im Herzen des schwarzen Kastens wird er rot: „Wir arbeiten mit einer Kombination aus GPS und Glonass.“ Am Stand nebenan verspricht Wassili Fatkin von der Moskauer Firma Kompas, dass er seine Technik im September für rund 660 Euro auf den Markt bringt.  Aber auch bei ihm wird Ehm enttäuscht. Das Kompas-Gerät übersetzt ebenfalls das Glonass-Signal in das amerikanische GPS-Format. Sind die russischen Navi-Geräte also nur Potemkinsche Dörfer?„Zusammen funktioniert es einfach besser“, erklärt Alexander Postnow von NIIKP, dem wissenschaftlichen Forschungsinstitut  für „Kosmischen Gerätebau“. Deren Prototyp „Glospace SGK-70“ kann man zumindest in einem Spezialgeschäft in Moskau kaufen. Kosten: 460 Euro – aber immerhin inklusive Antenne und einer zweisprachigen Software plus Moskau-Karte.  Aber auch Glospace empfängt nur auf zwölf Kanälen Glonass und auf den übrigen 20 das GPS-Signal. „Die Zuverlässigkeit und Genauigkeit lässt sich mit einem reinen Glonass-Empfänger noch nicht gewährleisten“, sagt er. Das Institut produziert derzeit rund 1000 Geräte pro Monat – zu wenig um sie günstig zu vermarkten. Außerdem müssen fast alle Bauteile importiert werden. „Die russische Elektronikindustrie produziert nicht die Teile, die wir für das Gerät brauchen“, seufzt Jurij Korolew, Direktor des NIIKP. Nur die Antenne hätten sie selbst entwickelt. Doch warum soll sich jemand für viel Geld ein solches Gerät kaufen, wenn man in jedem Technikgeschäft ein GPS-Navigator für 100 bis 200 Euro im Handy-Format bekommen kann? 99 Prozent der verkauften Geräte in Russland basieren derzeit auf GPS, sagt Pawel Koslow, Direktor der NAVTEQ-Vertretung in Russland, einer der führenden Anbieter digitaler Karten.  Seit mehr als 30 Jahren basteln die Russen schon am Aufbau ihres eigenen Satellitennavigationssystems. Der erste Testsatellit „Uragan“ wurde 1982 in seine Umlaufbahn geschossen, in den nächsten Jahren folgten ihm drei Dummy-Versionen und 18 Prototypen. Insgesamt sind wie beim amerikanischen Konkurrenten GPS 24 Satelliten nötig, um eine weltweite Abdeckung zu gewährleisten. Von jedem Punkt der Erde sind so mindestens drei Satelliten „sichtbar“, um die exakte Position zu bestimmen. Nach dem Zerfall der Sowjetunion konnten noch weitere Satelliten gestartet werden, so dass 1995 schon 25 um die Erde schwirrten. Doch dann erschütterte die Wirtschaftskrise auch den Raumfahrtsektor und der ersten Satelliten-Generation ging in der Umlaufbahn nach und nach der Saft aus. So reduzierte sich die Zahl der funktionierenden Satelliten auf sieben im Jahr 2001. Erst die zweite Generation „Uragan-M“ hat eine Lebensdauer von rund sieben Jahren. 14 Satelliten dieser Version wurden bis 2007 in den Orbit gebracht. Die nächste Generation „Uragan-K“ soll noch dieses Jahr gestartet werden.  Derzeit kreisen 16 Glonass-Satelliten um die Erde, drei davon haben in den vergangenen Monaten nur teilweise funktioniert. Selbst Vizepremier Sergej Iwanow, der für den militärindustriellen Komplex zuständig ist, kritisierte kürzlich die russische Weltraumagentur Roskosmos für die millionenschwere Fehlkonstruktion. Die Abweichung sei zu groß, das Navigationsgerät für Fahrzeuge zu teuer und zu unhandlich, die passende Software fehle komplett, zeterte er.Um zumindest für militärische Zwecke einsetzbar zu sein, hat das russische Verteidigungsministerium die Umlaufbahnen einst so koordiniert, dass das System für die Navigation in Tschetschenien zuverlässig genug ist. Doch diese Zwischenlösung ging auf Kosten der restlichen Abdeckungsrate. Die Erreichbarkeit, gemessen an der Summe der Tage, in denen eine Position über Glonass bestimmt werden kann, liegt in Russland derzeit bei 66,2 Prozent und für den Rest der Welt bei 56 Prozent.      Damit kann Glonass dem amerikanischen GPS-System keine Konkurrenz machen. Seit vergangenem Jahr ist die Benutzung von GPS auch in Russland gesetzlich erlaubt. Aus der Sicht eines Autofahrers ist Glonass also keine Alternative, denn GPS gibt es mitunter schon eingebaut und es funktioniert einwandfrei. Allerdings wird Glonass wohl früher als das europäische Galileo-System konkurrenzfähig sein. Der erste Galileo-Satellit ist Ende 2006 im Orbit positioniert worden, der zweite folgt ihm Ende April diesen Jahres – insgesamt sind 30 Satelliten geplant. „Wir starten in einen hoch umstrittenen Markt“, bemerkt Pedro Pedreira von der GNSS Aufsichtsagentur der Europäischen Union.   Dennoch haben sich die Europäer viel früher um mögliche kommerzielle Anwendungen Gedanken gemacht. „Wir sind etwas hinterher“, gibt Sergej Pisarew, Generaldirektor des Instituts für Radionavigation und Zeit zu. Doch die Nachfrage nach Glonass-Geräten sei bislang zu gering, um eine Massenproduktion zu beginnen. „Die Regierung muss einen Nutzen schaffen, um die Nachfrage anzukurbeln“, fordert er.   Der Deutsche Gunter Ehm stellt auf dem Moskauer Forum eine solche Option vor: Das Maut-System „Toll Collect“. In Russland könnte man die 1,5 Millionen LKWs und 20 Millionen registrierte PKWs per Gesetz verpflichten, ein Glonass-Gerät zu installieren. Damit ließe sich dann nicht nur auf 47.000 Kilometern föderaler Straßen Maut erheben, sondern auch das Verkehrsproblem in den Großstädten in den Griff bekommen. Das Transport-Ministerium interessiert sich laut Ehm schon für die deutsche Idee. Die satellitengestützte Maut könnte auch den Absatzmarkt für die russischen Geräte in Schwung bringen. Muss man also Patriot sein, um sich für Glonass zu entscheiden? Jenseits der russischen Grenzen gibt es jedenfalls schon Interessenten für das Glonass-System: die arabischen Länder und so genannte „Schurken“-Staaten wie Iran, die mit den USA auf Kriegsfuß stehen und deswegen vom GPS-System ausgeschlossen sind.   ENDENachdruck und Weiterverwertung dieses Artikels sind kostenpflichtig. Informationen im n-ost-Büro unter (030) 30 83 11 87


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