Geheimnis um den Tod eines Helden
47 Jahre nach seinem Weltraumflug ist der Tod des Kosmonauten Juri Gagarin noch immer ein Rätsel und bietet Stoff für wilde Verschwörungstheorien(n-ost) – Der Russe Juri Gagarin bezwang als erster Mensch den Weltraum. Am 12. April 1961 umrundete er mit dem Raumschiff Wostok 1 in 108 Minuten einmal die Erde, erreichte dabei für damalige Zeiten gigantische Höhen von 181 bis 327 Kilometern. So hoch war noch kein Mensch hinausgeflogen. Der Kosmonaut hatte bei der Landung heldenhaftes Glück: Die Raumkapsel war wegen Problemen bei der Abtrennung der Gerätesektion über das eigentliche Landeziel hinausgeschossen. Dennoch setzte Gagarin mit seinem Fallschirm wohlbehalten auf einem Acker in der Wolga-Region auf. Umso tragischer erscheint deswegen der Tod des 34-jährigen Piloten am 27. März 1968. Seine MIG-15 UTI stürzte bei einem simplen Übungsflug in der Nähe von Moskau ab. Mit an Bord war der erfahrene Kommandeur des Pilotentrainingscenters Wladimir Serjogin. Die offizielle Ursache des Absturzes lautete: „Eine unglückliche Verkettung verhängnisvoller Umstände.“ Da die MIGs zu jener Zeit noch nicht mit einem Flugschreiber ausgestattet waren, konnten die Angaben der Untersuchungskommission nicht bewiesen werden. Der 30-seitige Report wurde zum Staatsgeheimnis erklärt, er wanderte direkt ins Archiv. Klar war nur eins: Menschliche und technische Fehler galten als ausgeschlossen. Gemunkelt wurde über einen Beinahe-Zusammenstoß mit einem Testballon oder schlechtes Wetter. Seitdem werden die wildesten Verschwörungstheorien um den Tod des Sowjethelden gesponnen: Nach seinem Raumflug sei er dem Alkohol verfallen und habe im Vollrausch das Flugzeug nicht mehr steuern können. Er habe angeblich seinen Tod nur vorgetäuscht, um sich dem Medienrummel zu entziehen. Der Generalsekretär Leonid Breschnew habe den Unfall eingefädelt, weil er sich bedroht fühlte. Oder sein Kopilot habe die beiden aus Eifersucht absichtlich in den Tod gestürzt. Eventuell seien sie sogar von Aliens entführt worden, die Gagarin im Weltall aufgeschreckt hatte. Mit diesen Theorien wollen russische Luftfahrtexperten jetzt Schluss machen. Ehemalige Mitglieder der staatlichen Kommission, die das Unglück vor 40 Jahren untersuchte, behaupten nun, die wahren Gründe zu kennen. In einem Interview mit der britischen Zeitung „The Independent“ stellt der Luftfahrtingenieur Igor Kusnetzow die These auf: Das Cockpit sei nicht hermetisch verschlossen gewesen. Das habe die Piloten gezwungen, in einer Höhe von 4.200 Metern in einen plötzlichen Steilflug überzugehen. Dabei seien sie beide ohnmächtig geworden. Von diesen technischen Erklärungen hält Eduard Scherscher wiederum nicht viel. Der Luftfahrtgeneral untersuchte für das Forschungszentrum der sowjetischen Luftwaffe den Absturz der MIG. In einem Interview mit einer russischen Militär-Zeitschrift erinnert er sich an den Nachmittag des 27. März 1968: Die Institutsleitung habe ihm befohlen, alles stehen und liegen zu lassen. Es gebe einen dringenden Auftrag von der Regierung. Gagarins Flugzeug sei abgestürzt. Er machte sich sofort an die Arbeit, erzählt er. Und fand heraus: Die beiden Piloten hatten leichtsinnig zahlreiche Regeln missachtet. Doch das durfte damals nicht veröffentlicht werden, sagt er. Immerhin sei Gagarin ein Nationalheld und Träger des Leninordens und des Titels Held der Sowjetunion gewesen. Und „Helden begehen keine Fehler“ – lautete die politische Order, berichtet Scherscher. Deswegen habe die Untersuchungskommission äußere Umstände als Ursache angeben müssen. Doch für Scherscher ist klar: Der Absturz ist auf menschliches Versagen zurückzuführen, Schuld sei der erfahrene Kopilot Serjogin. Gagarins Instrukteur hätte sich an diesem Tag über sämtliche Sicherheitsvorschriften hinweggesetzt. Mit überfüllten Außenbord-Tanks seien sie waghalsige Manöver geflogen, obwohl das ausdrücklich untersagt war. Gagarin habe das eigentliche Übungsprogramm von 20 Minuten schon nach vier Minuten und 20 Sekunden abgebrochen und sei dann eine viertel Stunde lang „frei“ geflogen. Für solche Freiflüge, so Scherscher, mangelte es dem Kosmonauten jedoch schlicht an Erfahrung. Deswegen konnte er die Maschine nicht rechtzeitig abfangen, als er einen Sturzflug erprobte. Insgesamt 13 Gründe zählt Scherscher im Interview auf, die letztlich zum Absturz führten. Alkohol im Blut, ein Testballon im Anflug oder schlechte Wetterbedingungen sind nicht darunter. Jetzt sei es endlich an der Zeit, den Fall aufzuklären, fordert Scherscher. „Die Wahrheit über Gagarins Tod kann zu einem gewissen Grad auch zur Sicherheit in der militärischen und zivilen Luftfahrt beitragen“, hofft er. Denn auch heute werden immer noch Regeln missachtet und Risiken falsch eingeschätzt. Gegenüber der britischen Zeitung „The Independent“ behauptet Luftfahrtingenieur Kusnetzow, er habe gemeinsam mit 30 weiteren Experten eine Petition beim Kreml eingereicht: Ein offizielles Untersuchungskomitee solle den neuen Ergebnissen nachgehen. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow gibt sich überrascht. „Von einer solchen Forderung habe ich nichts gehört“, erklärt er. Es gebe viele Untersuchungen: Die Presse und auch Privatpersonen würden regelmäßig verschiedene Theorien veröffentlichen. „Doch solange kein Gericht eine gegenteilige Version verabschiedet hat, hält der Kreml an den ursprünglichen Ergebnissen der Untersuchung von 1968 fest“, erklärt er. So wird es wohl weiter Spekulationen um den Tod des ersten Kosmonauten geben.
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