Krieg und Tanz im osteuropäischen Kino
Dzoni ist ein Serbe in Uniform, ein frisch vereidigter Berufssoldat. An einem sengend heißen Tag wird seine Einheit zu einem verlassenen Landwirtschaftsgelände kutschiert. Dort muss der 20-Jährige stundenlang ausharren, bis ein Kleintransporter den „Feind“ anliefert. Der Befehl: liquidieren! Aber aus dem Wagen steigen Zivilisten, ganz gewöhnliche Menschen wie du und ich, männliche Studenten, Kinder und Alte.
Serbischer Kriegsfilm „Ordinary people“
Der serbische Film „Ordinary people“ verzichtet auf Effekthascherei und ist stattdessen nach einem streng kalkulierten Konzept inszeniert. Der Zuschauer spürt die große Hitze und die extreme Anspannung, die Dzoni belastet. Wie würde man selbst in so einer Situation handeln? Das ist die unbequeme Frage, die Regisseur Vladimir Perisic dem Zuschauer stellt.
Weitere unangenehme Fragen folgen: Auf dem 19. Festival des osteuropäischen Films in Cottbus beschäftigen sich vier von zehn Beiträgen im Hauptwettbewerb mit dem Krieg. Dieser Trend im osteuropäischen Kino ist nicht verwunderlich, beginnen doch seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion im südlichen Kaukasus immer wieder neue Gefechte und liegen die jüngsten Kämpfe auf dem Balkan noch nicht einmal zehn Jahre zurück.
Alte Feindbilder werden auf der Leinwand meist nicht wiederbelebt. Stattdessen beleuchten Regisseure unterschiedlicher Herkunft Kriege aus verschiedenen Perspektiven. So stellen mehrere Filmemacher aus dem ehemaligen Jugoslawien in ihren Beiträgen dieselben Fragen nach dem Sinn der blutigen Konflikte. „Das zeigt doch ganz schön, wie nah sich Regisseure unterschiedlicher Nationen sind“, sagt Roland Rust.
"Die Schwarzen" aus Kroatien
Der Festivaldirektor wollte sich nicht auf eine Seite des Balkankonflikts stellen und nahm deshalb auch den Film „Die Schwarzen“ der Kroaten Zvonimir Juric und Goran Devic in den Wettbewerb. Die beiden zeigen eine paramilitärische kroatische Spezialeinheit bei der Arbeit: Während im Radio schon der Waffenstillstand verkündet wird, will der Kommandant mit seinen Männern noch einen Staudamm sprengen und tote Kameraden bergen. Die Stimmung ist gereizt, die Truppe des Kämpfens müde. Ihr Weg durch vermintes Gelände führt sie zu ihrem wahrend Feind – und der lauert in ihnen selbst. In langen Einstellungen zeichnen die Filmemacher ein von Aggressionen, Zweifeln und Schuldgefühlen geprägtes Psychogramm der Soldaten und liefern damit eine Arbeit ab, die ohne große Gesten überzeugt.
Noch näher an der Realität, weil auf wahren Begebenheiten basierend, erzählt der Georgier Vano Burduli in „Konfliktzone“ vom georgischen Scharfschützen Spartak und dem drogenabhängigen Kleinkriminellen Gogliko. Beide treffen zu einer Zeit aufeinander, als im südlichen Kaukasus unzählige Streitereien um Land und Bodenschätze ausgefochten werden. Als die Kämpfe von Spartaks Truppe erfolglos bleiben und auch Gogliko sich nicht aus dem Kleinkriminellen-Mileu befreien kann, werden die beiden zu einer ungleichen Schicksalsgemeinschaft.
Russischer Animationsfilm "Der Trupp"
Ganz anders der russische Animationsfilm „Erster Trupp“: Hier geht es um die 14-jährige Nadja, eine Spezialagentin der Roten Armee, die die Zukunft vorhersagen kann. Sie sieht, wie eine Truppe aus toten Rittern die Nazis stärkt und soll daraufhin die okkulte SS-Gruppe „Ahnenerbe“ ausschalten. Ihr Ziel ist der Sieg der Roten Armee. Auch wenn diese Gemeinschaftsarbeit dreier Regisseure auf die altbewährte Geschichte vom „Großen Vaterländischen Krieg“ setzt, wagen sie bei der Umsetzung einen großen Schritt auf neues Terrain: Die Haupthandlung kommt als manga-inspiriertes russisches Animationsmärchen daher, das immer wieder unterbrochen wird von Experten-Interviews à la Guido Knopp. Die Illusion eines gezeichneten Geschichtsfilmes im Dokumentarstil funktioniert und macht Lust auf neue filmische Experimente abseits ausgetretener Pfade.
Leichte Kost: Tanz und Liebe
Die ambitioniertesten Produktionen sind nur selten auch die erfolgreichsten: Auf in westlichen Gefilden bereits bekanntem Territorium bewegen sich die Filme in der Sparte „Nationale Hits“ aus Osteuropa: „Liebe und Tanz“, „Swing Kids“ und „Fast Amerika 2“ – so heißen einige der Streifen, die das einheimische Publikum in Scharen in die Kinosäle zogen. Dabei waren die polnische Variante von „Dirty dancing“, das swingende 50er-Jahre-Porträt aus Russland und die ungarische Amerika-Persiflage vielfach erfolgreicher als Blockbuster aus Hollywood.
„Weg von den schweren Stoffen und hin zur Unterhaltung“ schreit es nun immer öfter auch von osteuropäischen Leinwänden. So hat das polnische Werk „Liebe und Tanz“ von der Popularität jüngster TV-Formate wie „You can dance“ oder „Dancing with stars“ profitiert. Die Stettiner Journalistin Monika Stefanek sagt: „In Polen ist mit Beginn der Fernsehshows eine regelrechte Tanzwelle ausgebrochen und die Tanzschulen werden überrannt.“
Dass leichte Unterhaltung nicht anspruchslos sein muss, zeigt die Moskauer Mischung aus „Swing Kids“ und „High School Musical“ von Valeri Todorowski. Er präsentiert in seinem Film „Hipsters“ junge Menschen, die in den 1950er Jahren den amerikanischen Traum mit schriller Kleidung, wuchtigen Haartollen, hohen Plateauschuhen und wehenden Petticoats leben – allerdings in der Sowjetunion.
Ob Filme wie diese auch 2010 den Weg ins Kino finden werden, ist unsicher. Die größte Filmschmiede Osteuropas steckt gewaltig in der Krise. Wurden 2008 noch annähernd 200 Drehbücher verfilmt, waren es in diesem Jahr noch etwa 70. „Hier rechnen wir weiterhin mit Einbrüchen, weil die Finanzkrise in Russland ein ganz anderes Gesicht hat als hier“, sagt Roland Rust.