Russland

Moskau verliert seine Seele

Sechs Künstler trotzen in einer eigenwilligen WG den Bauplänen russischer Millionäre(n-ost) – Der Brand liegt 15 Jahre zurück. Doch bis heute sind die Spuren der Verwüstung deutlich zu sehen. Michail Plochozkij zeigt auf den verkohlten Dachstuhl über der klapprigen Wendeltreppe, die zu seinem Atelier führt. „Unsere ‚Masterskaja’ stand lichterloh in Flammen“, erinnert sich der Skulpturenbauer, „doch abgebrannt ist sie nicht.“ Der 58-Jährige kam während der Löscharbeiten zum Brandort, in den Trümmern fand er die Reste von Molotowcocktails. Es war der Versuch, die sechs Künstler aus ihrer über 200 Jahre alten Werkstatt zu vertreiben. Die „Masterskaja“, wie die Männer ihre WG liebevoll nennen, liegt mitten im Moskauer Meschtschanski-Viertel, in dem die Reichen ihre Villen bauen lassen. Jeden Quadratmeter, auf dem das Holzhäuschen aus der Napoleonzeit steht, könnte die Stadt als Eigentümerin für weit mehr als 10.000 Euro verkaufen.
Das Holzhaus aus der Napoleonzeit ist Heimat für sechs Künstler.
Florian WillershausenAls es brannte, war Michails Mitbewohner Alexander („Sascha“) Chomko gerade auf Vernissage in Venedig. In den italienischen Fernsehnachrichten musste der Maler mit ansehen, wie seine Werkstatt in Flammen stand. Viele seiner Kunstwerke verbrannten, monatelang waren die Ateliers ohne Strom. Doch irgendwie haben die sechs Männer sie wieder bewohnbar gemacht. Nur für die Sanierung des pechschwarzen Dachstuhls fehlt bis heute das Geld. Aber die Hauptsache ist, dass er nicht in sich zusammenbricht. Ansonsten können die Künstler auf Behaglichkeit gut verzichten. Das Atelier von Sascha sieht auch nach der notdürftigen Renovierung noch aus wie eine Scheune. Staubige Balken durchkreuzen den Raum, rostige Nägel sind darin eingeschlagen. Unter jedem Schritt knirschen abgetretene Holzpaneele. Wasserrohre liegen frei, vom Fensterrahmen bröckelt der Lack. In einer Scheune wäre der 62-Jährige auch gut aufgehoben. Mit der braunen Lederschürze, die vor seinem fülligen Bauch hängt, sieht er aus wie ein Schmied. Doch Sascha ist ein hervorragender Künstler, so wie alle seine Kollegen. Mit vielen Bildern hat er Preise gewonnen, zuletzt schaffte er es auf den zweiten Platz bei der Biennale in Rom. Das war 2002. Seither ist er in Moskau geblieben.
Der Maler Alexander Chomko in seinem Atelier.
Florian WillershausenSascha hockt an einem runden Tisch, der auf drei wackligen Eisenbeinen steht und jeden Moment umzukippen droht. Neben ihm sitzt Anatoli Schmuljukin, 60, ein Fotograf. Anatoli hat ein Glas russischen Krautsalat mitgebracht. Dazu essen die beiden eingelegte Dosenfische und spülen sie mit selbst gebranntem Wodka hinunter. Sascha hat seine Rumpelkammer mit einer drei Meter breiten Sowjetflagge abgedeckt. Nicht aus Nostalgie, sondern weil er keinen größeren Stofflappen hat.Dem Sozialismus trauere er nicht nach, sagt der stämmige Maler und pustet durch eine Zahnlücke Zigarettenqualm, der seinen Schnurrbart gelb färbt. Der hagere Anatoli beißt einer eingelegten Sprotte den Kopf ab, spuckt ihn aus und würgt den kopflosen Dosenfisch hinunter. Das heutige Russland sei der Sowjetunion ähnlich, meint Sascha: „Wir haben wieder eine Nomenklatura, eine herrschende Klasse. Sie hat nur andere Prinzipien angenommen. Nämlich die des Geldes.“ An der Wand hängt ein Zeitungsausschnitt mit einem Bild von Anna Politkowskaja, der kritischen Journalistin, die im Herbst 2006 erschossen wurde. „Viele Journalisten haben in Russland für die Wahrheit ihr Leben gelassen“, sagt Anatoli. Wenn er über Politik redet, schreit er fast, seine Mimik wirkt anklagend. Anatoli ist eigentlich Architekt, Fotografie war früher nur sein Hobby. In den 80er Jahren wurde er des Regimes überdrüssig. Er machte sich als Fotograf einen Namen, vor allen mit politischen Bildern. Als Präsident Boris Jelzins das Weiße Haus unter Beschuss nehmen ließ, stand Anatoli in der ersten Reihe. „Heute würden die mich erschießen“, sagt er nüchtern. Er fotografiert nur noch Landschaften.
Anatoli Schmuljukin - er fotografiert heute nur noch Landschaften.
Florian Willershausen„Wozu soll ich renovieren, wenn die mich morgen rausschmeißen?“, fragt der Maler Wladimir Paroschin. Sein Zimmer ist so marode wie das seiner Mitbewohner. Farbkleckse überziehen den Boden, Stockflecken sitzen auf der gelb gegerbten Tapete, durch das Holzfenster strömt Luft von draußen. Als Wladimir Anfang der 90er Jahre in die Meisterwerkstatt einziehen wollte, fragten sie ihn bei der Künstlerunion, die das Gebäude von der Stadt mietet, was er denn gelernt habe. „Nichts“, antwortete der Maler, der aus einem Dorf im westsibirischen Tjumen nach Moskau gekommen war und sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser hielt. Weil er trotzdem malen kann, durfte er einziehen. Mit 57 Jahren ist er der Jüngste in der „Masterskaja“. Thema seiner Werke ist „Moskau, wie es vergeht“. Wladimir malt die alten Holzhäuser und Straßenzüge des Meschtschanskij-Künstlerviertels, die in der historischen Bauweise nicht mehr existieren. „Moskau verliert seine Seele“, sagt der dürre Maler, „die Beamten kümmern sich nicht um das historische Erbe der Stadt.“ Also malt er es, solange es noch da ist. Normalerweise hört Nasar Tunutschnik die Kremlglocken läuten. In der oberen Etage hat es sich der Maler gemütlich eingerichtet. An den Fenstern seines Zimmers hängen blitzsaubere Gardinen, in der Ecke steht ein Farbfernseher, auf dem Sofa räkelt sich eine schwarz-weiße Katze. Es ist unübersehbar, dass der adrette Künstler mit dem graumelierten Haar nicht allein hier wohnt. Seine Frau hat das Zimmer wohnlich gestaltet. Der 65-Jährige singt gern Opern und gibt neben der Malerei Konzerte. Doch heute ist an Gesang nicht zu denken. Aus dem Hof dröhnt das monotone Geräusch einer Betonmaschine, die unablässig Mörtel in den benachbarten Rohbau pumpt. Ein sechsstöckiges Haus wird für drei Familien gebaut. Es sei nur eine Frage der Zeit, bis auch die „Masterskaja“ den Plänen des Kapitals zum Opfer falle, glauben die Bewohner. Michail Plochozkij hat zu Sowjetzeiten Lenin-Büsten wie am Fließband hergestellt. Selbst im fernsten Sibirien wollte die Parteiführung das Gesicht ihrer Ideologie auf den Sockel heben. „Ich habe schon lange keine Lenins mehr gemacht“, sagt der 58-Jährige ohne Bedauern. Neuerdings wechselt er sie durch monumentale Statuen aus. In Rublow, der Reichensiedlung am Rande der Stadt, hat er Lenin durch eine leicht bekleidete Jungfrau in römischem Gewandt ersetzt. Die sei viel kreativer als der öde Leninkopf, findet der Künstler. Natürlich lässt sich damit gutes Geld verdienen. Er will also nicht zu sehr über das Kapital wettern. Jedenfalls nicht, solange die „Masterskaja“ noch steht. ENDENachdruck und Weiterverwertung dieses Artikels sind kostenpflichtig. Informationen im n-ost-Büro unter (030) 30 83 11 87


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