Putin bleibt der Star
Moskau rätselt, ob Medwedew eine eigenständige Politik führen wird (n-ost) - Auf der Rockbühne neben der Basilius-Kathedrale am Roten Platz lässt er sich feiern wie ein Rockstar. "Friert ihr?", ruft der Kremlherr in die Menge jugendlicher Rockfans, die seine Frage lautstark verneinen. "Gebt ihr mir eine Minute?" - "Jaaa!", kreischen die Fans, die den Wahlausgang feiern. Dann erzählt Russlands Polit-Star von Stabilität, Demokratie und Wirtschaftsentwicklung. Es scheint, als habe er, Wladimir Putin, an diesem Sonntag die Wahlen gewonnen. Der eigentliche Wahlsieger, Dmitri Medwedew, steht in brauner Lederjacke und blauer Jeans neben seinem Ziehvater. Als Putin ihm zum Wahlsieg gratuliert, skandieren die 40.000 Zuhörer: "Putin! Putin! Putin!"Kronprinz Dmitri Medwedew hat den Thron des russischen Präsidenten im Sturm erobert. 70 Prozent der Russen machten am Sonntag ihr Kreuzchen für den Juristen aus Sankt Petersburg. Der 42-Jährige erreichte fast dasselbe Wahlergebnis wie sein Vorhänger, der im Jahr 2004 auf 71,3 Prozent der Stimmen kam. Damit hat der Neue im Kreml die nötige Legitimation, um das Land als Staatsoberhaupt in die Zukunft zu führen. Doch längst rätselt Moskau angestrengt, ob er sich von seinem Ziehvater emanzipieren und eine eigenständige Politik verfolgen kann. Auf der Rockbühne am Roten Platz sieht es jedenfalls nicht danach aus. "Die Wahlkampagne 2008 endete nicht am Sonntag, sondern im Dezember letzten Jahres, als Medwedews Kandidatur auf dem Parteitag von ‚Einiges Russland' bestätigt wurde", schrieb die liberale Wirtschaftszeitung "RBK Daily" nach dem regnerischen Sonntag. Bei den Dumawahlen im vergangenen Dezember stimmten die Wähler für die Kremlpartei "Einiges Russland", weil Putin als ihr Spitzenkandidat antrat. Am Sonntag schenkten die meisten der 109 Millionen Wahlberechtigten Medwedew ihre Stimme, da dieser ohne Abstriche als Putins Kandidat präsentiert wurde. Der Star der russischen Politik ist eben Wladimir Wladimirowitsch Putin - und das dürfte erst einmal so bleiben. Dabei hat sich Medwedew im Vorfeld des Urnengangs große Mühe gegeben, ein eigenes Profil zu entwickeln. "Freiheit ist besser als Unfreiheit", sagte er auf einem Wirtschaftsforum in Krasnojarsk. Und weiter: "Wir müssen die Unabhängigkeit der Massenmedien verteidigen." Der Wahlkämpfer versprach, den Rechtsnihilismus zu bekämpfen, eine ehrliche Demokratie zu schaffen und den Staatseinfluss auf die Wirtschaft zurückzudrängen. An der Reformierung des verfilzten Rechtssystems hatte sich schon Putin versucht, war aber an überbordender Korruption und undurchsichtiger Bürokratie gescheitert. Politik und Wirtschaft der Kontrolle des Kremls zu unterwerfen, ist dagegen Teil von Putins Plan gewesen. Und den hat Medwedew mitgetragen, wenn nicht gar mit ausgearbeitet. Der scheidende Präsident wird voraussichtlich aus dem Kreml ins Weiße Haus wechseln, wo der Ministerpräsident seinen Sitz hat. Doch wie werden die beiden Männer Russlands Macht unter sich aufteilen? Auf einer Pressekonferenz in Moskau versprach Dmitri Medwedew, dass der Präsident weiterhin die Außenpolitik gestalten werde, so wie es auch in der Verfassung steht. Das dürfte Politiker im Westen freuen, die auf eine Entspannung der West-Ost-Beziehungen hoffen. Andreas Schockenhoff, russlandpolitischer Koordinator der CDU, mutmaßte im Interview mit der Süddeutschen Zeitung, Medwedew werde "sich emanzipieren und vor allem in der Außenpolitik die Richtlinien bestimmen". Der neue Präsident wisse sehr genau, dass er den Westen für seine Modernisierungspläne brauche. Schon am kommenden Samstag wird Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) dem neuen Kremlherrn einen Besuch abstatten - und vorfühlen, ob in den angespannten Beziehungen zwischen Russland und dem Westen ein Neustart möglich ist.Zu diesem Zeitpunkt dürften die kremlinternen Machtkämpfe schon in vollem Gange sein. "Es beginnt jetzt ein Krieg aller gegen alle", sagte Stanislaw Belkowski in Moskau. Die Bürokraten würden die Machtverhältnisse unter sich aufteilen. "Zwei Monate zwischen den beiden Zaren sind unzulässiger Luxus", kritisierte der Politologe, der das Moskauer Institut für nationale Strategien leitet. Zu den Gegnern Medwedews zählen vor allem die "Silowiki", deren Mitglieder aus den Geheimdiensten stammen. Einer von ihnen ist der erste Vizepremier Sergej Iwanow, der vor Bekanntgabe der Kandidatur Medwedews als aussichtsreichster Anwärter für das Präsidentenamt gehandelt worden war. Er gab sich gegenüber Interfax versöhnlich: "Medwedew ist jung, hat fortschrittliche Ansichten und er wird sich an der langfristigen demokratischen Entwicklung Russlands orientieren." Die Umsetzung der "großen Pläne, die wir uns vorgenommen haben", erfordere künftig eine sehr enge Zusammenarbeit zwischen Präsidenten und Premierminister. Iwanow sieht kein Problem in der psychologisch neuen Konstellation, dass Medwedew, der jahrelang dem bisherigen Präsidenten diente, plötzlich dessen "Boss" sei. An diese Formalie wird sich der neue Präsident selbst erst einmal gewöhnen müssen. Auf der Bühne vor den Kremlmauern schien er sich einfach nur leicht grinsend zu freuen, dass ihm Putin die Tore in den Olymp der Macht geöffnet hat. ENDENachdruck und Weiterverwertung dieses Artikels sind kostenpflichtig. Informationen im n-ost-Büro unter (030) 30 83 11 87