Hampelmänner in der russischen Puppenkiste
Mit lächerlichen Aktionen versuchen die Oppositionskandidaten den Wahlkampf unterhaltsam zu machen(n-ost) - Verdutzt guckt Natalja Walejewa auf ihr Handy und verdreht die Augen. Über SMS fordern Telefonanbieter in Russland derzeit die Bürger auf, zur Wahl zu gehen: "Ihre Stimme ist wichtig für das Land!" steht in Großbuchstaben im Display. "Warum soll ich da hingehen?", schüttelt die 26-Jährige den Kopf, "ist doch schon klar wer gewinnt!", sagt sie und außerdem könne man derzeit ja nur für Medwedew stimmen, denn "die anderen Kandidaten sind doch nur Hampelmänner".Bei den russischen Präsidentschaftswahlen am Sonntag steht die selbsternannte "Souveräne Demokratie" vor einem schwierigen Dilemma: Der vom Kreml ferngesteuerte Wahlkampf entpuppte sich als langweilige Inszenierung eines politischen Schein-Pluralismus. Die Zahl der Präsidentschaftskandidaten neben Wladimir Putins Wunschnachfolger Dmitri Medwedew reduzierten die Puppenspieler im Kreml mithilfe dubioser Wahlkriterien auf drei Gegenspieler - von denen dem Thronfolger keiner wirklich gefährlich werden kann und soll.Medwedew bestreitet derweil in den Nachrichten der staatlichen Kanäle und auf den Titelseiten der Zeitungen mit Putins Beistand ein lockeres Heimspiel. Die aktuellen Umfragewerte schätzen, dass er mit über 70 Prozent den ersten Wahlgang gewinnen wird. Seine Legitimität kann also nur eines gefährden: Die gewaltige Zahl von Nichtwählern wie der Doktorandin Natalja, die keinen Sinn darin sehen, ihren Sonntagnachmittag in den Warteschlangen vor den Wahllokalen zu verbringen. Dabei geben sich Medwedews tapfere Mitstreiter im Rennen um die restlichen 20 bis 30 Prozent der Stimmen alle Mühe, den Wahlkampf zumindest in der letzten Phase noch einmal unterhaltsam zu machen. Während der Fast-Präsident es nicht nötig hat, an Polit-Debatten im Fernsehen teilzunehmen, sondern stattdessen Staatsoberhäuptern im Ausland die Hände schüttelt, versucht jeder der drei Daheimgebliebenen in Moskaus Puppenkiste vor den Fernsehkameras herumzuhampeln. Für sie geht es immerhin um den zweiten Platz.
Der Ultranationalist Wladimir Schirinowski legt sich dabei gekonnt ins Zeug. Auf einem Schießstand bei Moskau ballert der Provokateur, umringt von Kameraleuten und Fotografen, auf Pappkameraden. In einer Fernsehdebatte prügelt er seinen Gesprächspartner der Demokratischen Partei Russlands aus dem Studio und beschimpft ihn wüst als "Vollidiot" - in solchen Situationen ist der Scharfmacher in seinem Element und reagiert als Politclown ganz so, wie der Kreml ihn haben will. Seine Liberaldemokratische Partei, die weder liberal noch demokratisch ist, hob der Geheimdienst in den frühen 90ern aus der Taufe. Seitdem hetzt der "Führer", wie ihn seine Anhänger nennen, gegen den Westen in konkreter Mission: um die Extremisten am rechten Rand des Wahlspektrums einzufangen und ihre Stimmen ins Kreml-treue Fahrwasser zu kanalisieren. So hat Schirinowski auch in diesem Wahlkampf letztlich Medwedew seine Unterstützung zugesagt. Auch der schüchterne und kleinlaute Andrej Bogdanow spielt im Wahlkampf-Theater seine Rolle meisterhaft. Als ehemaliger Mitarbeiter der Putin-Partei "Einiges Russland" schickte ihn der Kreml als Vorsitzenden einer pseudo-demokratischen Partei ins Rennen, um die Demokratie in Russland endgültig zu diskreditieren. Nachdem die liberalen Parteien "Jabloko" und "Union der Rechten Kräfte" ihre Kandidaten wegen fehlender oder angeblich gefälschter Unterschriften nicht für die Präsidentschaftswahl aufstellen konnten, mimt der bekennende Freimaurer mit der schmierigen Langhaarfrisur den einzigen Traumfänger für westlich und liberal orientierte Wähler.Er verlangt in gelangweiltem Tonfall, Russland solle der Europäischen Union und der Nato beitreten. Er fordert die Privatisierung der Staatskonzerne sowie die Verteilung der Aktien an die russischen Bürger - und ruft damit die Geister der 90er Jahre wieder hervor. Keine zwei Prozent der Stimmen wird er mit diesen Parolen einfahren, sagen die aktuellen Umfragen voraus. Doch diese Verlierer-Strategie ist Teil von Putins Plan: Bogdanow eignet sich perfekt, um der Idee von westlicher Demokratie ein gespenstisches Gesicht zu verleihen - immerhin gelten Freimaurer in Russland als Drahtzieher der Weltverschwörung.So ist es auch kein Wunder, dass der Wahlkampf des 38-Jährigen in seiner Heimatstadt rund 100 Kilometer westlich von Moskau zur absoluten Lächerlichkeit verkommt: Während Schirinowski und der Kommunistenführer Sjuganow in der Hauptstadt mit ihren Anhängern die Prachtstraßen entlang marschieren, sammelt Bogdanow seine Geschwister, Eltern und die 85-jährige Großmutter zusammen. Der Wodka fließt reichlich an diesem Sonntagnachmittag, als sie gefolgt von einer Schar Reportern und Kameraleuten Blumen am Denkmal der Gefallenen russischen Soldaten in der Schlacht gegen Napoleon niederlegen. Stolz hält der Enkel das Zertifikat seiner Großmutter in die Kamera: Sie ist seine offizielle Wahlkampforganisatorin in seiner Heimatstadt.Der Kommunistenführer Gennadi Sjuganow kann sich hingegen wenigstens rühmen, der einzig wirkliche Oppositionelle in der Runde der Verlierer zu sein. Die Kommunisten gelten als die zweitstärkste Kraft in Russland und Sjuganow gelang es zumindest, 1996 den Kreml-Kandidaten Boris Jelzin und im Jahr 2000 Wladimir Putin mit rund 30 Prozent einzuheizen. Doch dieses Mal muss der 64-Jährige froh sein, wenn er sich im Kampf gegen Schirinowski den zweiten Platz ergattern kann.Die Kommunistische Partei steckt in einer tiefen Krise. Die boomende russische Wirtschaft bietet den Sowjetnostalgikern keine Angriffsfläche mehr, den Kapitalismus als Ursache des Niedergangs an den Pranger zu stellen. Da der Staat nun unter Putin bereits die Renten- und Sozialabgaben erhöht hat und Medwedew als der bisherige Beauftrage für soziale Projekte, Bildung und Landwirtschaft die Sozialreformen verstärkt angeht, wurde den Kommunisten der Wind aus den Segeln genommen. So schippert der rote Dampfer unter der Führung Sjuganows nun antriebslos vor sich hin. Passend dazu posiert Sjuganow unter einer spitzen Filzmütze mit rotem Sowjetstern vor der Kamera.Der Wahlkampf in Russland verkam in den vergangenen Wochen zu einer Schlacht. Dabei geht es jedoch in erster Linie um die Aufmerksamkeit der Kameras und Reporter und nur zweitrangig um Wählerstimmen. Denn Russland, das flächenmäßig größte Land der Erde, wird traditionell über das Fernsehen regiert. Doch in der russischen Puppenkiste können die oppositionellen Hampelmänner Medwedew keine Konkurrenz machen. Als Aufsichtsratschef des größten russischen Konzerns Gasprom dirigiert er ein gigantisches Medienimperium. Die Gasprom-Media-Holding orchestriert die einflussreichsten Zeitungen sowie Fernseh- und Radiosender Russlands. Und in diesen ist der "Bär", russisch: "Medwedj" als Spitzname für Medwedew, der alleinige Star. ENDENachdruck und Weiterverwertung dieses Artikels sind kostenpflichtig. Informationen im n-ost-Büro unter (030) 30 83 11 87