Russland

EIN NEUER ZAR FÜR RUSSLAND

Putins Erbe ist ein stabiles autoritäres System. Medwedew wird es kaum verändern könnenFür die Demokratieexporteure des Westens ist Putins Kronprinz Dmitri Medwedew Russlands letzte Hoffnung: Bei öffentlichen Auftritten verspricht er ehrliche Demokratie, einen funktionierenden Rechtsstaat und freie Marktwirtschaft. Dabei hat er selbst am Aufbau eines autoritären Regimes mitgewirkt, das nach dem Kontrollprinzip funktioniert und dessen Elemente der Demokratie bloße Fassade sind. Putins Regime, das Medwedew führen soll, hat sich als stabil und leistungsfähig erwiesen. Es wird im Land als "russische Demokratie" betrachtet und genießt die Unterstützung der Bevölkerung. Der neue Präsident wird keine Demokratie nach westlichem Muster einführen - selbst wenn er sich von Übervater und Vorgänger Wladimir Putin emanzipieren sollte. Neulich ist er sogar Bus gefahren: Der Präsidentschaftskandidat quetscht sich auf die Holzbank eines klapprigen Linienbusses und fährt mit Tante Olga und Onkel Iwan durch die Stadt. So als würde er das jeden Tag machen. Natürlich waren die Fernsehleute dabei. Die haben ihn auch später gefilmt, als er in einer Klinik ein Neugeborenes auf dem Arm trug. Dmitri Medwedew ist der Hauptdarsteller der russischen Nachrichten. Doch nicht jeden Abend demonstriert er Bürgernähe ohne Inhalt. Manchmal sagt er Substanzielles, was auch den Westen aufhorchen lässt. "Freiheit ist besser als keine Freiheit", startete er kürzlich ein Plädoyer für Demokratie: "Wir reden über Freiheit in allen Formen: Persönliche Freiheit, wirtschaftliche Freiheit und am Ende die Meinungsfreiheit." So viel Freiheit hatte es in der russischen Politik schon lange nicht mehr gegeben. Die unter Putin zuletzt stark angeschlagenen Beziehungen zur USA kommentierte er so: "In der globalisierten Welt, in der unsere beiden Staaten im Wesentlichen für das gleiche Wertesystem eintreten, muss eine solche Kooperation fortgeführt werden." Will Putins Kronprinz in der Innen- und Außenpolitik etwa auf die Reset-Taste drücken?Unterdessen grübeln die Moskauer Kreml-Astrologen: Kann sich Medwedew von seinem Übervater Putin emanzipieren? Wird er eine eigene politische Linie finden? Sie fragen sich auch, ob es dem Liberalen gelingen wird, die "Silowiki" in Schach zu halten, die mit den liberalen Reformern konkurrierende Kremlgruppe, die einen starken Staat mit regulierter Wirtschaft fordert. Bislang hat Wladimir Putin zwischen "Petersburger Reformern" und den aus dem Geheimdienst rekrutierten "Silowiki" moderiert. Diese Rolle könnte der scheidende Präsident auch vom Posten des Premierministers aus fortführen. Doch von den Machtspielchen einmal abgesehen: Der 42-Jährige hat seinem Gönner Putin in dessen achtjähriger Amtszeit beim Aufbau des autoritären Kontrollstaats tatkräftig geholfen. "Medwedew wird ein konsolidiertes System vorfinden", sagt die Politologin Lilja Schewzowa vom Carnegie-Zentrum in Moskau. Es werde schwer sein, die Machtstrukturen entscheidend zu verändern. "Er wird dieses System nur umbauen, wenn es aus irgendeinem Grund eine Krise gibt." Für echte Demokratie, meint die Wissenschaftlerin, sehe es schlecht aus. Nur auf dem Papier ist Russland ein demokratischer Rechtsstaat. Putin hat das Regierungssystem mit Hilfe seiner Politstrategen so umgestaltet, dass alle Fäden der Macht im Kreml zusammenlaufen. Die Kremlpartei "Einiges Russland" dominiert die Duma, deren Abgeordnete die Gesetze von Ministerialbürokraten bloß absegnen und keine Kontrollfunktionen mehr ausüben. Die Gouverneure werden nicht mehr direkt gewählt, sondern vom Präsidenten ernannt; ihr machtvolles Mitspracherecht über die zweite Kammer in Moskau haben sie verloren. Das Fernsehen macht Werbung für den Kreml und setzt dessen Vertreter in Szene - wenn es etwas Kritisches zu berichten gibt, schalten die meisten Medien ab. Stattdessen präsentieren sie Russland als starken Staat, dessen fähige Führung die Fehler der 90er Jahre behoben und das Land stabilisiert hat. Das Ganze verkaufen sie als eine "besondere russische Demokratie", die nun einmal anders funktioniere als die des Westens. Die Menschen glauben das. "62 Prozent der Bevölkerung sind der Meinung, dass Russland eine Demokratie ist", sagt Boris Dubin vom Moskauer Lewada-Zentrum. In der russischen Gesellschaft stellt der Soziologe selbst unter höher Gebildeten ein " sehr nebliges Verständnis von Demokratie" fest: Sie verstünden darunter nicht kritisches Fernsehen, Parteienwettbewerb und Gewaltenteilung, sondern Stabilität und Ordnung. Frei fühlen sie sich, aber das ist zweitrangig. Demokratische Verhältnisse herrschen, wenn das Land nicht im Chaos versinkt, sondern wenn es den Menschen gut geht, Renten pünktlich gezahlt werden, Familien Unterstützung bekommen, Schulabgänger mit staatlicher Hilfe studieren können, wenn das Lebensniveau steigt und es nicht schon wieder eine Revolution gibt. "Diesen Kompott", sagt Dubin, "nennt man hier Demokratie." Wohlgemerkt: russische Demokratie. Denn das liberale Modell des Westens, mit dem Jelzin herumexperimentiert hat, wird in Gesellschaft und politischer Elite bis heute als nicht vereinbar mit der russischen Seele abgelehnt. Europas Demokratie, angewandt auf Russland - das endet im Chaos, glaubt man in Russland. Die Russen fühlen sich wohl in ihrer Demokratie, die aus Sicht des Westens ein autoritärer Kontrollstaat ist. "Ich sehe derzeit keine Anzeichen für eine Krise", sagt Lilja Schewzowa, "die Bevölkerung akzeptiert alles, was ihr die Machthaber auftischen." Die Stabilität führt sie nicht nur auf die hohen Energiepreise zurück, die das Wirtschaftswachstum absichern. Auch die Erinnerung an die chaotischen Jelzin-Jahre, die Uneinigkeit der liberalen Opposition und Fähigkeit der Polittechnologen zur Lenkung der Gesellschaft trügen dazu bei, dass die Russen mit ihrem politischen System zufrieden sind. Für Medwedew gibt es keinen Anlass, das System zu verändern. Russland will offenbar keinen echten Demokraten, der die Wähler mit handfesten politischen Ideen überzeugt. Russland braucht einen Zaren, sagt ein Großteil der Bevölkerung. Dass Medwedew in denselben autoritären Strukturen regieren wird wie sein Vorgänger, schließt einen außenpolitischen Kurswechsel indes nicht aus. Die Vorstellung mutet seltsam an, dass der zierliche Medwedew mit seinem jugendlichen Aussehen die zuletzt aggressive Rhetorik von Wladimir Putin übernimmt. Der Mann, der am 2. März zum Präsidenten gewählt werden soll, ist ein ruhiger und besonnener Bürokrat, der vermitteln kann und Konflikte entschärfen will. Vermutlich meint er es auch ernst, wenn er mehr Freiheit verspricht. Das kann Bürokratieabbau und effektive Korruptionsbekämpfung bedeuten. Mag sein, dass seine Administration den Medien mehr Kritik gestattet. Doch die Kontrolle des politischen Prozesses wird die Kreml-Führung auch unter der Regie des neuen Hausherrn behalten wollen. Damit wird sich der Westen nur schwer abfinden können. ENDENachdruck und Weiterverwertung dieses Artikels sind kostenpflichtig. Informationen im n-ost-Büro unter (030) 30 83 11 87


Weitere Artikel