Putins unterschätzter Kronprinz
Russlands zukünftiger Präsident Dmitrij Medwedew ist ein gewiefter Taktiker, der sich leise nach oben gearbeitet hatEr sieht aus wie der erwachsene Kinderstar Heintje. Doch anstatt auf schmalzige Schlager steht der wahrscheinliche zukünftige Präsident Russlands, Dmitrij Medwedew, auf die Hardrocker von Deep Purple. Die Liebe Medwedews zu der Band begann bereits im Alter von 13 Jahren. Damals war die Musik in der Sowjetunion noch verboten. "Ich hätte mir nie träumen lassen, dass ich diese berühmte Gruppe im Kreml treffe", freut sich der 42-Jährige auf der Jahresfeier des Energiekonzerns Gasprom und posiert mit zugekniffenem Auge gemeinsam mit den Bandmitgliedern in die Kamera. Der Auftritt der Altrocker war ein persönliches Geschenk an Medwedew, den scheidenden Leiter des Gasprom-Direktorenrates.
Der Thronnachfolger Wladimir Putins hätte sich wohl so einiges niemals träumen lassen. Dass er einmal Russlands Präsident werden würde, zum Beispiel. Doch der gelernte Jurist aus St. Petersburg wird an diesem Sonntag wohl im ersten Wahlgang als der mächtigste Mann des größten Flächenlandes der Erde in den Kreml einziehen. Neueste Umfragen prophezeien ihm rund 70 Prozent der Stimmen. Sein Vorgänger Wladimir Putin wird, falls er das ihm vorgeschlagene Amt des Premierministers annimmt, dann unter Medwedews Portrait Platz nehmen müssen. Beim russischen Machtwechsel verläuft derzeit alles nach Putins Plan. Die einzige Frage, die den Wahlkampf noch spannend macht, ist: Wird Medwedew am Sonntag mehr Stimmen als Putin im Jahr 2004 einfahren? Putin erhielt damals im ersten Wahlgang bemerkenswerte 71,4 Prozent. Darauf fußt bis heute seine Legitimation, die ihm sein Kronprinz nun auch nicht streitig machen soll. Wer aber steht in der russischen Machtvertikale in Zukunft an oberster Stelle? Russlandkenner runzeln bei der Vorstellung die Stirn, dass Zar Putin seinem Ziehsohn das Zepter in die Hand gibt. Dass Putin Medwedew freiwillig den Knopf für das zweitmächtigste Atombombenarsenal der Welt überlässt, scheint noch fast undenkbar - wirkt der jungenhafte, sanfte Medwedew doch so "schwach" und "wenig durchsetzungsfähig", wie ihn manche Zeitungsberichte beschreiben. Die Vermutung liegt deswegen nahe, Putin habe sich für ihn als Wunschnachfolger entschieden, um als Puppenspieler über eine ihm ergebene Marionette weiter die Fäden im Staat in der Hand zu haben. Doch mimt Medwedew tatsächlich nur den Hampelmann? Hinter dem Schuljungengesicht, das auf eine Kinderschokoladen-Packung passen würde, steckt ein kluger Kopf, der sich und seine Interessen durchsetzen kann, gerade weil er unterschätzt wird. Das zeigt sich darin, wie er sich auf seiner gegenwärtigen Wahlkampftour als Mann mit tausend Gesichtern jeweils gekonnt in Szene setzt. Im ostsibirischen Barnaul tanzt er mit Rentnerinnen und verspricht eine Pensionserhöhung noch in diesem Jahr, in der Waffenschmiede in Ischewsk im Ural testet er gekonnt eine Kalaschnikow, in der Flieger-Stadt Schukowskij bei Moskau steigt er lässig in einen Kampfjet.Mag sein, dass der Mann, dessen Grundschullehrerin behauptet, er habe einst fleißig geübt, ihre Handschrift zu imitieren, auch seinen Vorgänger Putin nur nachahmt. Doch eins ist gewiss: Das Lächeln, der schwungvolle Gang, die Moderatoren-Rolle - all das, was sich der Geheimdienstmann nach seinem Amtsantritt erst antrainieren musste, das hat Medwedew schon lange drauf."Medwedews Persönlichkeit ist von Putins starkem Einfluss geprägt", erklärt Medwedews ehemaliger Rechtsprofessor an der Leningrader Staatsuniversität, Walerij Musin. Und ähnlich wie ein kleiner Bruder seinem größeren Vorbild immer einen Schritt auf den Fersen ist, so folgte auch Medwedew seiner Leitfigur Schritt für Schritt die Karriereleiter hinauf. Beide besuchten den Unterricht an der juristischen Fakultät bei Anatolij Sobtschak, dem späteren Bürgermeister von St. Petersburg. Dieser rief seine Studenten nach Amtsantritt zu sich ins Rathaus. Medwedew arbeitete als Rechtsberater im Komitee für Auslandsbeziehungen, das Putin leitete. 1999 folgte er ihm nach Moskau, wo er ihn nun neun Jahre später im Präsidentenamt beerben soll.Auch ein kleiner Bruder wird einmal erwachsen. Der große Imitator Medwedew deutet bereits an, dass er sich nicht als Strohmann fernsteuern lassen wird. "Der Präsident lenkt Russland und das kann laut Verfassung nur einer sein", erklärte Medwedew in einem vom Kreml initiierten und bezahlten Interview mit der Zeitschrift "Itogi". Es werde unter ihm "keine zwei, drei oder fünf Machtzentren geben." Damit verweist Medwedew Putin eindeutig auf den Co-Pilotensitz.Alexander Woloschin, ehemaliger Chef der Kreml-Administration, warnt sogar vor Konflikten in einer solchen Machtkonstellation, in der sich Medwedew durchaus gegen Putin durchsetzen könnte. Immerhin hat er nach Amtsantritt im Mai übergangsweise gleich zwei entscheidende Machtpositionen inne: Russischer Präsident und Aufsichtsratschef von Gasprom. Der Gaskonzern wird erst im Sommer dessen Nachfolger ernennen. Konflikte zu meistern, das hat der Absolvent der ältesten Juristenschule des Landes von der Pike auf gelernt. "Er ist sehr sachlich und überhaupt nicht emotional", erklärt das deutsche Aufsichtsratsmitglied von Gasprom, Burckhard Bergmann. Bergemann kennt den moderaten Führungsstil des Aufsichtsratschefs des mächtigsten Staatskonzern seit vielen Jahren und warnt: Sanftheit dürfe man nicht mit Schwäche verwechseln. Im Gegenteil, bei Debatten in der Chefetage des Gasprom-Turms ließe Medwedew die Mitglieder zwar ausreden. "Aber er führt die Diskussion dann zum Ergebnis", erklärte Bergmann im Interview mit Spiegel-Online. Doch nicht nur im Gasprom-Aufsichtsrat, sondern auch in den Intrigen-Spielchen hinter den Kremlmauern weiß sich Medwedew durchzusetzen. Während Putins erster Amtszeit stieg er zum stellvertretenden Chef der Präsidialverwaltung auf, wurde 2003 sogar deren Leiter und koordinierte Putins Tagesgeschäfte. Er kennt also nicht nur die Routinen, sondern auch die Machtstrukturen in Russlands Black Box, in der Macht vor allem über persönliche Beziehungen ausgeübt wird.Und auch über ein solches Netz loyaler Genossen verfügt der Petersburger Zivilist im Moskauer Machtapparat bereits. Als jemand, der angeblich nie im Geheimdienst gedient hat, stützt er sich auf seine ehemaligen Kommilitonen der St. Petersburger Rechtsfakultät, die Putin an die Entscheidungsstellen in den Gerichten und bei Gasprom gehievt hatte. Darunter sind auch Medwedews engste Freunde aus Studienzeiten, mit denen er 1991 gemeinsam eines der ersten bürgerlichen Gesetzbücher in Russland veröffentlichte: der Vize-Verwaltungschef der Gazprom-Bank Ilja Jelisejew, der Chef des Schiedsgerichts Anton Iwanow und Michail Krotow, Gesandter des Präsidenten im Verfassungsgericht. Russische Politologen verheißen, dass Medwedew nach seiner Amtseinführung das politische Schachbrett mit weiteren ehemaligen Klassen-Kameraden bestücken wird. "Ziviliki" nennen sie seinen Clan bereits - ein konkurrierendes Netzwerk zu den Geheimdienstlern im Kreml, den "Silowiki". Als Medwedews größter Rivale gilt sein Nachfolger in der Präsidialverwaltung: Igor Setschin. Der Putin-loyale Geheimdienstmann und sogenannte graue Eminenz des Kremls ist gleichzeitig Verwaltungsratschef des größten russischen Ölkonzerns Rosneft. Der Ölgigant Rosneft und Gasprom zanken sich seit Jahren um den mächtigsten Einfluss im Staatsbusiness. Die von Setschin angestrebte Megafusion der beiden Energieriesen scheiterte 2005 am klaren Nein Medwedews. Das hat ihm der Hardliner Setschin offenkundig nie verziehen und setzte im Machtkampf um die Präsidentennachfolge auf dessen schärfsten Konkurrenten: Sergej Iwanow, der zweite Vizepremier neben Medwedew in der Regierung.Kreml-Astrologen halten aus diesem Grund Medwedew für den Auftraggeber eines ominösen Interviews. In der Wirtschaftszeitung "Kommersant" plauderte ein zuvor wenig bekannter Finanzmanager, Oleg Schwarzmann, über eine angebliche "samtene Verstaatlichungskampagne" durch die Geheimdienstler im Kreml. Namentlich beschuldigte er Setschin, "alle möglichen Chodorkowskis niederzudrücken, zu beugen und zu quälen". Das war ein direkter Angriff auf den Rosneft-Chef, der auch schon bei der Zerschlagung des Jukos-Konzerns von Michail Chodorkowski die Finger im Spiel gehabt haben soll. Der geschwätzige Schwarzmann dementierte zwar hinterher seine Aussagen, doch der "Kommersant" landeten damit einen gewaltigen Coup gegen die "Silowiki" im Kreml. Woher dieser Angriff kam, ist nur zu erahnen: Die größte Wirtschaftszeitung Russlands gehört Alischer Usmanow, dem Chef der Gasprom-Tochter Gasprominvestholding. Auch im Zusammenhang mit einem dubiosen Mordfall fiel Medwedews Name. Stranguliert und gefesselt wurde der Bankier Oleg Schukowskij aus seinem Swimmingpool gefischt - nachdem der Finanzspezialist im Holzgeschäft Anteile an einen amerikanischen Investor verkauft hatte. Aktien, die einst dem russischen Holzriesen Ilim Pulp gehörten - einer Petersburger Firma, für die Medwedew als Rechtsberater tätig war und an welcher er bis 1999 Anteile besaß. Als vor einigen Wochen dann der Chef der Kosmetikkette Arbat Prestige sowie der vom FBI gesuchte Geschäftsmann Semjon Mogiljowitsch gleichzeitig in Moskau festgenommen wurden, kochte die Gerüchteküche hoch. Mogiljowitsch scheint auf undurchsichtige Weise mit dem in der Schweiz registrierten Gaszwischenhändler RosUkrEnergo verbandelt zu sein. Einer der drei Direktoren dieser Gasprom-Mittlerfirma für zentralasiatisches Gas in die Ukraine ist kein anderer als Medwedews Studienkollege Konstantin Tschuitschenko, gleichzeitig Chef der Gasprom-Rechtsabteilung.Das investigative Internetmagazin "Russia-Intelligence" vermutet hinter der Festnahme durch Einheiten des Innenministeriums einen strategischen Schritt Medwedews: Vize-Innenminister Jewgenij Schkolow, ein Freund und Geheimdienstkollege Putins sowie Berater Medwedews in der Präsidialadministration, habe den Mafioso Mogiljowitsch wegen Steuerhinterziehung verhaften lassen, damit er nicht in die Hände des Geheimdienstes FSB und des Generalstaatsanwaltes gerate. So stehe er jetzt "unter Medwedews Kontrolle und Schutz, zumindest für eine Weile", schreibt "Russia-Intelligence" und vermutet dahinter Medwedews Revanche für die Intrigen des Setschin-Clans. Während also der offizielle Wahlkampf in Russland vor sich hin dümpelt und Medwedew sich nicht gegen ernsthafte Gegner behaupten muss, sind die Machtkämpfe hinter den Kremlmauern noch nicht ausgetragen. Putin kommt bei diesem Politpoker jedoch eine entscheidende Rolle zu: Er spielt den Moderator zwischen den beiden Interessengruppen, den "Silowiki" und Medwedews "Ziviliki". Diese Position könnte auch in Zukunft Putins größter Trumpf darstellen. ENDENachdruck und Weiterverwertung dieses Artikels sind kostenpflichtig. Informationen im n-ost-Büro unter (030) 30 83 11 87