Mit Brandschutzbestimmungen gegen freie Lehre
Die Europäische Universität in St. Petersburg wird dichtgemacht - sie hatte Wahlbeobachter trainieren wollen. Die Klassenräume der Europäischen Universität in
St. Petersburg sind verwaist. Professoren halten ihre Vorlesungen zu Hause oder in öffentlichen Cafés ab. Nur die Verwaltung und die Direktion bevölkert noch das Unigebäude in der Gagarin-Straße im Stadtzentrum. Wie lange das Personal das Institut noch betreten darf, ist fraglich. Für Vorlesungen bleibt die Uni jedenfalls mindestens drei Monate geschlossen - das hat ein Petersburger Gericht entschieden. Der offizielle Grund: Bei der jährlichen Routineuntersuchung entdeckt die Feuerschutzbehörde 52 technische Mängel, Verstöße gegen die Brandschutzbestimmungen. Ist das alles nur ein Vorwand? Universitätsangehörige vermuten dahinter sowjetische Methoden, dem liberalen Geist des nicht-staatlichen Instituts den Garaus zu machen. "Dies ist eine weitere anti-westliche Offensive der Putin-Administration", erklärt Artemy Magun von der Fakultät für Politikwissenschaft und Soziologie. Und auch der Direktor Nikolaj Wachtin mutmaßt: "Jemand will der Universität maximale Schwierigkeiten bereiten." Die Universität hatte im Vorfeld der Parlaments- und Präsidentenwahl ein Trainingsseminar für Wahlbeobachter geplant. Die Europäische Union war bereit, die Finanzierung zu übernehmen. An dem Projekt sollten Mitglieder der Oppositions-Parteien teilnehmen. Und für Maxim Resnik, Vorsitzender der oppositionellen Jabloko-Partei in St. Petersburg, ist der politische Hintergrund der Entscheidung offensichtlich: "Die Brandschutzbestimmungen sind nur eine Entschuldigung", erklärt er. Doch das Wahlbeobachtungs-Projekt hat tatsächlich nie stattgefunden. Der Universitätsdirektor Wachtin gibt zu, dass er frühzeitig Warnschüsse der Obrigkeit vernommen hatte. Er zog daraufhin den Kopf ein: "Nach der Prüfung durch das Komitee für Wissenschaft in St. Petersburg ist dieses Bildungsprogramm auf meine Order hin gestoppt worden", erklärt Wachtin. Nach dem endgültigen Gerichtsentscheid gibt sich der Direktor jetzt mutiger: "Es ist kein Geheimnis und allen ist sehr wohl bewusst, dass diese Dinge kurz vor den Präsidentschaftswahlen passieren", sagt er und erwähnt im selben Atemzug die vorübergehende Schließung der Büroräume des Journalistenverbandes in Moskau. Dort sind 14 Verletzungen der Brandschutzverordnung gefunden worden. "Da arbeiten die Petersburger Inspektoren besser", spottet Wachtin. Immerhin hätten sie in der Universität 52 Mängel entdeckt. Die Universitätsverwaltung hat sich in den vergangenen Wochen an die Arbeit gemacht, die Punkte auf der Liste zu beheben. Doch mit mäßigem Erfolg. Um die Jahrhunderte alte schmale Seitentreppe zu versetzen oder auszubauen, benötigt die Uni die Genehmigung des Komitees für Denkmalschutz. Das kann dauern, falls sie überhaupt erteilt wird. Bis dahin muss die Universität geschlossen bleiben. Zwei Fragen liegen also auf der Hand: Warum sind den Behörden diese Sicherheitsmängel erst in diesem Jahr aufgefallen? Immerhin wird die Inspektion jährlich durchgeführt. Und: Hat hier jemand in der Vergangenheit beide Augen zugedrückt? Das Institut erhielt im Jahr 1994 von der St. Petersburger Stadtversammlung die Pacht des Altstadt-Gebäudes am Newa-Fluss. Mitinitiator der Universitätsgründung war der damalige Bürgermeister Anatolij Sobtschak - der ehemalige Vorgesetzte Wladimir Putins. Ganz in dieser Tradition wendet sich Wachtin auf der Pressekonferenz an den wahrscheinlichen Präsidenten-Nachfolger Dmitrij Medwedew. Als erster Vizepremier und Verantwortlicher für die Bildung setzt er sich seit Jahren für international ausgerichtete Hochschulen ein. "Der Angriff auf die Europäische Universität wird dazu führen", droht der Direktor indirekt, "dass jemand den Eindruck bekommt, der potenzielle Präsident lässt seinen Worten keine Taten folgen." Immerhin entspreche die nicht-staatliche Hochschule der Idee von innovativen Bildungseinrichtungen in Russland, fügt Magun hinzu. Derzeit studieren dort rund 130 russische und 20 ausländische Doktoranden, die ein dreijähriges Aufbaustudium in Sozial- und Geisteswissenschaften ablegen. Finanziert wird das Programm von verschiedenen Stiftungen - darunter auch die bei den Russen unbeliebte amerikanische Soros-Stiftung. Die westlich orientierte Universität unterhält Austauschprogramme mit Partnerinstituten in Paris, London, und Glasgow. "Unsere Regierung ist überzeugt, dass jeglicher westliche Einfluss reine Eigeninteressen vertritt und dass alle, die von westlichen Geldern bezahlt werden, Agenten sind", erklärt Magun.Die vorübergehende Schließung der Europäischen Universität weckt Erinnerungen. Auch die weißrussische Regierung verwehrte 2004 der Europäischen Humanistischen Universität in Minsk die Nutzungserlaubnis für ihr Unterrichtsgebäude. Die einzigartige Bildungseinrichtung verlor ihre Lizenz und musste schließen. Professoren hielten ihren Unterricht zu Hause ab, Studenten suchten Unterschlupf im benachbarten Litauen - das war damals das Ende der freien Lehre in Weißrussland. Um dies zu verhindern, verschicken Universitätsmitglieder nun offene Briefe an Partnerinstitute in Russland, Europa und den USA. Vielleicht organisieren die Studenten auch öffentliche Proteste wie damals in Weißrussland. "Wir brauchen jetzt jegliche Unterstützung der Zivilgesellschaft", seufzt Direktor Wachtin.ENDENachdruck und Weiterverwertung dieses Artikels sind kostenpflichtig. Informationen im n-ost-Büro unter (030) 30 83 11 87