"Mit Medwedew beginnt das Tauwetter"
Es gilt als ausgemacht, dass Putins Ziehsohn Dmitrij Medwedew, 42, nach den Wahlen am 2. März Russlands neuer Präsident wird. Der Stabwechsel im Kreml wird die festgefahrenen Beziehungen zwischen Russland und Europa auflockern, glaubt Russlandexperte Alexander Rahr, der gerade ein Buch über Russlands Rückkehr als Großmacht veröffentlicht hat. Rahr ist Programmdirektor bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), eines in Berlin sehr einflussreichen Thinktanks. Außerdem gehört er zu den wichtigsten Köpfen des Petersburger Dialogs, einer regelmäßigen Konsultationsrunde zwischen Deutschland und Russland. Mit Rahr sprach unser Korrespondent Florian Willershausen. Frage: Herr Rahr, zum Ende der achtjährigen Präsidentschaft Wladimir Putins herrscht Eiszeit zwischen Europa und Russland. Was ist schief gelaufen?Rahr: Es sind Verständigungsprobleme. Moskau hat das Gebilde der Europäischen Union nie wirklich verstanden. Und der Westen weigert sich zu akzeptieren, dass aus dem chaotischen Russland der 90er Jahre ein moderner und ernstzunehmender Staat geworden ist. Ich glaube aber, dass unter einem Präsidenten Medwedew das Tauwetter beginnt. Frage: Die EU fördert mehrheitlich ung gegen den Willen Moskaus die Unabhängigkeit des Kosovo, Moskau kündigt den KSE-Abrüstungsvertrag auf, Polen und Tschechien wollen ein US-Raketenabwehrsystem in Russlands Nachbarschaft installieren. Streitpunkte gibt es genug. Glauben Sie, dass Medwedew die russisch-europäischen Beziehungen trotzdem enteisen kann?Rahr: Manche vergleichen Medwedew schon mit dem jungen Gorbatschow, der die Parameter der Beziehungen zum Westen radikal verändert. In der Tat hat er seit seiner Nominierung nicht ein einziges kritisches Wort gegenüber dem Westen in den Mund genommen. Er betont immer wieder, dass Russland eine ehrliche Demokratie aufbauen soll, die sich an der liberalen Zivilisation Europas orientiert. Solche Ansichten vertritt sonst niemand in der obersten Führungsspitze des Kremls. Doch die Europäer müssen Russland entgegen kommen. Bei all den Fehlern, die Putin mit der Abkehr von der Demokratie gemacht hat - der Westen hätte ihm nie so demonstrativ die kalte Schulter zeigen dürfen. Im Prinzip hat der Westen Russland aus Europa heraus gestoßen. Frage: Können Sie das erläutern?Rahr: Es gibt zwei Denkschulen im Westen: Die einen sagen, wir müssen mit Russland kooperieren. Die anderen vertreten den Standpunkt, dass wir wieder einen kalten Krieg haben und Russland unser Gegner ist. Diese Sicht findet in der öffentlichen Meinung leider großen Widerhall. Das ärgert Russland und führt zu Überreaktionen. Diese Emotionen müssen raus aus dem Dialog zwischen Russland und Europa.
Alexander Rahr
privatFrage: Ist Russlands Groll auf Brüssel so stark, dass Moskau sich künftig in der Energiepolitik mit China oder "Schurkenstaaten" wie Iran und Syrien arrangieren wird? Zum Beispiel in einer Art Gas-OPEC, die Sie in Ihrem neuen Buch "Russland gibt Gas" als Zukunftsszenario beschreiben.Rahr: Das Szenario der Gas-OPEC bedeutet nicht gleich die Abkehr Russlands von Europa. Es ist der Versuch der Gas exportierenden Länder, gemeinsam gegen das Konsumentenkartell im Westen aufzutreten. Aber natürlich hat Russland langfristig eine Doppelstrategie: Falls die Europäische Union auf russisches Gas verzichten will, könnten sehr schnell neue Pipelines in Richtung Pazifik verlegt werden. Frage: Das wäre das Ende der russisch-europäischen Zusammenarbeit. Leben Deutsche und Russen in solch unterschiedlichen Welten?Rahr: Ich glaube, dass Westeuropäer und Russen gar nicht so verschieden sind. Wir Journalisten reden diese Unterschiede gern herbei. Das Hauptproblem liegt darin, dass die Russen einen Komplex aus den 90er Jahren mitgenommen haben, als sie politisch gedemütigt wurden. Das führt heute zu irrationalen Handlungen, die dadurch verstärkt werden, dass die EU Russland als ihren Schüler betrachtet. Das ist bei unseren Eliten zu einem traditionellen Verhalten gegenüber Russland ausgeartet - und darin besteht die eigentliche Schieflage. Vieles was in Russland geschieht, muss kritisiert werden. Die Russen akzeptieren auch Kritik, aber nicht im Ton des moralischen Belehrens, voller Häme, Verachtung und Arroganz. Die EU muss anerkennen, dass Russland einen eigenen Weg zur Demokratie geht, der sich von dem europäischen unterscheidet. Frage: Sie kritisieren in Ihrem Buch, dass kaum jemand Russland einen eigenen Weg zur Demokratie zubilligt. Wohin soll dieser russische Sonderweg führen?Rahr: Es gibt keinen russischen Sonderweg zur Demokratie. Auf der Basis von Freiheit, Stabilität, staatlicher Fürsorge und einer funktionierenden Marktwirtschaft kann sich ein demokratisches Staatswesen entfalten. Ich glaube, dass das auch in Russland eines Tages der Fall sein wird. Nur spielt sich die Entwicklung zur Demokratie in einem ganz anderen Zeitfenster ab. Auch Deutschland war 17 Jahre nach Einführung der Verfassung noch nicht die gefestigte und funktionierende Demokratie, die wir heute vorfinden. Wir müssen Russland Zeit geben. Frage: Putin hat die ansatzweise vorhandene Demokratie der 90er durch ein autoritäres Kontrollregime ersetzt. Seine Strategen nennen das "souveräne Demokratie". Das klingt wie eine Verhöhnung der liberal-demokratischen Werte des Westens. Rahr: Der Begriff "souveräne Demokratie" wird aus dem Sprachgebrauch verschwinden, wenn Medwedew Präsident ist. Aber in der Tat ist noch nicht entschieden, ob Russland den liberal-demokratischen Weg des Westens oder den eines fortgeschrittenen Kapitalismus wie China einschlagen wird. Es wäre verheerend, wenn Russland plötzlich das asiatische Modell annehmen würde. Dann hätten wir es mit einem schwierigen Partner zu tun. Wir werden in den nächsten Jahren einen starken Wettbewerb zwischen diesen beiden Typen feststellen. Die Phase des Triumphs westlicher Werte, die in den 90er Jahren zelebriert wurde, ist allerdings vorbei. Frage: Wie stabil ist das autoritäre Regime, das Putin geschaffen hat?Rahr: Es ist sehr stabil. Die russische Wirtschaft wächst und sie wird weiter wachsen. Russland ist nicht mehr allein abhängig von den hohen Energiepreisen. Die Investitionen in die Infrastruktur gehen voran. Es gibt keine ernsthafte Institution, die Russland in die Zeit des Faschismus zurück katapultieren will. Und ich bin sicher, dass Medwedew die gute Konjunktur nutzen wird, um Russland weiter nach vorne zu bringen. Frage: Einige Beobachter sehen die Stabilität des Regimes wegen der Kreml-internen Machtkämpfe zwischen Reformern und den aus Geheimdienstkreisen rekrutierten "Silowiki" gefährdet. Meinen Sie, dass die Fronten seit Entscheidung der Personalie Medwedew geklärt sind?Rahr: Die Petersburger Reformer um Medwedew haben in den ganzen acht Jahren der Putin-Ära entscheidend am Aufbau der Marktwirtschaft mitgewirkt. Sie hatten mehr zu sagen als die Silowiki, die erst in der zweiten Hälfte der Putin-Ära stark geworden sind. Jetzt hat Putin den Reformflügel gestärkt und die Silowiki geschwächt. Mich würde es nicht überraschen, wenn in den nächsten Tagen ein großer Deal ablaufen würde und Geheimdienstler wie Setschin hervorragende Posten in der Wirtschaft bekommen und die Schalthebel der Macht verlassen. Medwedew geht jetzt schon daran, seine Kommilitonen aus der Juristischen Fakultät in den Kreml zu holen. Frage: Welche Rolle wird Putin nach seinem Abgang als Präsident spielen?Rahr: Ich sehe zwei Möglichkeiten: Entweder wird Putin als Premierminister die Macht ins Weiße Haus verlagern und Medwedew als Statthalter im Kreml halten. Nach ein oder zwei Jahren würde Putin über vorgezogene Neuwahlen zurückkommen. Oder aber Medwedew emanzipiert sich Schritt für Schritt von Putin, nachdem dieser ihm in den Sattel geholfen hat. Dann würde sich Putin nach ein oder zwei Jahren zurückziehen und Medwedew die Macht überlassen. Frage: Wie groß ist die Chance, dass sich Medwedew von seinem Übervater absetzt?Rahr: 60 zu 40Alexander Rahr, 48, ist einer der bekanntesten Russlandexperten Deutschlands. Er ist Programmdirektor Russland/Eurasien bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) und sitzt im Lenkungsausschuss des Petersburger Dialogs. Von ihm erschienen Biografien über Gorbatschow (1986), Putin (2000) sowie das kürzlich veröffentlichte Buch "Russland gibt Gas - Die Rückkehr einer Weltmacht" (2008).Informationen zur Buchveröffentlichung: Alexander Rahr: Russland gibt Gas - Die Rückkehr einer Weltmacht. Hanser, Müchen 2008. 280 Seiten. ISBN: 978-3-446-41395-5, Preis: 19,90 EuroENDENachdruck und Weiterverwertung dieses Artikels sind kostenpflichtig. Informationen im n-ost-Büro unter (030) 30 83 11 87