Bulgarien

Die Blutdealer von Sofia

„Zutritt nur für Spender” steht auf dem braunen Schild am Gitterzaun, der das Gelände des Sofioter Transfusionszentrums zur Miladinovi-Straße hin absperrt. Vor ein paar Jahren hat man diese Absperrung gebaut, um die blutdealende Mafia vom Eingang fernzuhalten. Doch die "Bluthuren", wie man sie hier verächtlich nennt, sind einfach auf die andere Straßenseite weitergezogen. An warmen Sommertagen sitzen sie auf den Häusertreppen und unter den Bäumen und warten auf Kundschaft.

Die Mittagssonne scheint heiß auf die kaputten Gehwege in der Miladinovi-Straße, als Nevena, Mitte Zwanzig, mit langen braunen Haaren und enger Blue Jeans, auf einen der Blutdealer zugeht. Schnell bildet sich um sie eine Traube. Mehrere Männer reden auf sie ein, drängeln einander weg.

Ihre Mutter muss dringend operiert werden, erzählt Nevena. Das Blut, das für den Eingriff benötigt wird, müsse sie aber selbst besorgen, hatten ihr die Ärzte in einem Sofioter Krankenhaus gesagt. Da sei sie sofort zum Transfusionzentrum geeilt. Sie sollte 450 Milliliter spenden, und dafür eine Bescheinigung bekommen. Doch man schickte sie fort, denn ihr Blutdruck war zu niedrig. Um keine Zeit zu verlieren, blieb ihr schließlich keine andere Wahl, als mit einem der Blutdealer vor dem Transfusionszentrum ins Geschäft zu kommen.

Der notorische Blutmangel an bulgarischen Krankenhäusern ist ein Problem, das Dr. Andreew, einer der wenigen Hämatologie-Spezialisten in Bulgarien, in seinem Beruf stets begleitet hat. Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus fiel das Spendenwesen allmählich in sich zusammen. Die größten Blutlieferanten - die bulgarische Armee, die sozialistischen Gewerkschaften und Industriebetriebe - gaben ihr soziales Engagement nach und nach auf. Fehlende Reformen, Korruption und Misswirtschaft brachten schließlich viele Krankenhäuser in Bulgarien an den Rand des Überlebens. Anfang 2011 erreichte die Krise im Gesundheitswesen ihren vorläufigen Höhepunkt, als Krankenhäuser im ganzen Land geplante Operationen absagen und zeitweise sogar auf Kriegsvorräte zurückgreifen mussten, um Notfälle versorgen zu können.

Nach der Kontaktaufnahme vor dem Transfusionszentrum folgt Nevena einem der Männer zu einem nahegelegenen Café. Dort sitzt Assen, Mitte vierzig, mit Bierbauch, kurzen Hosen und buntem T-Shirt an einem der Plastiktische und nippt an seinem Espresso. Assen ist Blutdealer. „Wie viel brauchst du?“, fragt er und zieht einen Notizblock aus der Hemdtasche. „Einen Beutel, 450 Milliliter, für meine Mutter.“ Assen holt den jungen Mann heran, der Nevena begleitet und vor dem Café geduldig auf einen Wink gewartet hatte und drückt ihm einen Zettel in die Hand. Darauf hat Nevena Namen, Passnummer und das Krankenhaus ihrer Mutter geschrieben. „Komm in einer Stunde wieder”, sagt er zu ihr und schaut auf seine vergoldete Uhr. „Dann kriegst du deine Bescheinigung.”

Der illegale Bluthandel in Sofia ist gut organisiert. Blutdealer wie Assen haben auf der Straße das Sagen. Sie feilschen ums Geld und organisieren Spender . Meist sind es junge, arbeitslose Roma, die rund um das Transfusionszentrum in der Miladinovi-Straße auf Abruf bereitstehen und dafür einen kleinen Lohn bekommen.

Der Verkauf von Blut in Bulgarien ist streng verboten, doch ein Trick ermöglicht es den Blutdealern, leicht und ohne großes Risiko Kapital zu schlagen. Sobald sich ein Käufer findet, geht einer der Roma in die Blutbank, spendet legal und unentgeltlich auf den Namen des Bedürftigen und erhält dafür einen Spendennachweis. Ein kleiner brauner Zettel aus recyceltem Papier, den der Blutdealer wenig später auf dem Schwarzmarkt teuer weiter verkauft. „300 Leva habe ich dafür bezahlt“, sagt Nevena, umgerechnet 150 Euro. Das ist mehr als die Hälfte ihres Monatsgehalts.

Für das behandelnde Krankenhaus ist das Dokument eine notwendige Garantie, dass das für den Patienten verbrauchte Blut nach der Operation vom Transfusionszentrum zurückerstattet wird. Für den Kranken wiederum entscheidet es nicht selten über Leben und Tod.

Der Schwarzmarkt für Blut ist eine der vielen traurigen Folgen des maroden bulgarischen Gesundheitssystems, klagt der Arzt Andrej Andreew: „Die Roma nutzen eine Nische. Wo Nachfrage ist, ist auch ein Angebot.” Es sei allerdings Aufgabe der Polizei den illegalen Bluthandel zu unterbinden und nicht seine: „Ich bin Arzt und kein Leibwächter”, sagt er schulterzuckend. Er habe längst aufgegeben, die Roma im Transfusionszentrum anzusprechen. Wir wollen für einen Verwandten spenden, erklärten sie ihm stets. „Wie heißt denn dein Verwandter, frage ich sie dann. Da schauen sie auf ihren Zettel und lesen den Namen vor.”

Tatsächlich haben die Blutdealer auf dem Schwarzmarkt in der Miladinovi-Straße wenig zu befürchten. Laut Gesetz droht ihnen eine Geldstrafe von umgerechnet bis zu 5.000 Euro. Doch eine illegale Bluttransfusion ließe sich nur schwer nachweisen, erklärt ein Polizeibeamter von der nahegelegenen Polizeistation. Um jemanden festnehmen zu können, müsse eine Anzeige vorliegen von einem der Käufer.

Doch dies kommt für Nevana nicht in Frage. „Was soll das bringen?“, sie schüttelt den Kopf. Es sei zwar erniedrigend, was hier vor sich geht, sagt sie. Man könne aber nicht die „Bluthuren“ dafür verantwortlich machen. Im Gegenteil, sagt sie: „Sie haben meiner Mutter das Leben gerettet. Dafür bin ich ihnen dankbar.”


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