Russland

"ICH DANKE GOTT, DASS ES DIE NATO AN RUSSLANDS SEITE GIBT"

Auf einer Gesprächsrunde in Moskau gehen Russland und die Nato auf Schmusekurs Russland braucht die Nato und die Nato braucht Russland. Das ist die gemeinsame Botschaft, die der Vertreter des russischen Außenministeriums und die Chefin des Nato-Büros in Moskau verkünden. Der Tenor ist eindeutig: Nach dem Säbelrasseln um potenzielle atomare Erstschlag-Strategien und der Entsendung des Ultranationalisten Dmitrij Rogosin als Russlands neuer Nato-Botschafter in Brüssel bemühen sich nun beide Seiten, die Wogen zu glätten. Kooperation statt Konfrontation - so lautet das Ergebnis der Gesprächsrunde, an welcher auch russische Politikwissenschaftler und Militärexperten teilnahmen. Im komplizierten Verhältnis zwischen Russland und dem Verteidigungsbündnis wird vieles heiß gekocht - aber dann doch nicht so heiß gegessen.Und in den vergangenen Tagen ist auf beiden Seiten die Suppe wieder heiß gekocht. Der russische Generalstabschef Jurij Balujewski drohte auf einer Konferenz über die nationale Sicherheit in Moskau, zur Verteidigung des Landes präventiv Atomwaffen einsetzen zu wollen. Fünf ehemalige Nato-Kommandeure forderten daraufhin die Allianz auf, ebenfalls ein Konzept für den nuklearen Erstschlag auszuarbeiten. Diese verbalen Kampfansagen sind Drohgebärden, die das reale Verhältnis zwischen Russland und der Nato in keiner Weise widerspiegeln. Vielmehr gilt hier das Motto: Hunde, die bellen, beißen nicht.   Sergej Ryabkow, zuständig für die europäische Kooperation im russischen Außenministerium, betonte gegenüber der Nato-Sprecherin in Moskau, Isabelle Fransois, beschwichtigend: "Die Nato ist ein rationaler und logischer Partner für Russland. Wir können unsere Sicherheitsprobleme nicht ohne die Nato lösen."  Der Politologe Mark Urnow, Vorsitzender der "Analyse"-Stiftung, dankte sogar Gott dafür, dass es die Nato an Russlands Seite gibt. "Wir Russen müssen endlich einsehen, wir brauchen Verbündete! Und diejenigen, die uns kulturell am nächsten stehen, sind die Nato-Partner", sagte er und kritisierte die Hardliner im Militär, die Russland noch immer als Weltmacht betrachten. Das mache doch keinen Sinn, seufzt er. Russland sei keine militärische Supermacht mehr, sondern ein schwaches Land. Das Militärbudget der USA sei um das Zwanzigfache höher. "Damit können wir uns nicht messen, ohne unsere Wirtschaft zu ruinieren. Deswegen brauchen wir Verbündete wie die Nato", unterstreicht Urnow. Wenn das russische Militär auf dem Recht beharre, nukleare Erstschläge auszuführen, dann dürfe man sich über angemessene Antworten der Nachbarn nicht wundern. Mit diesem Seitenhieb wendete er sich an den Generalmajor Pawel Solotarew, Direktor der Stiftung für Militärreformen, der ausdrücklich betonte, dass weder Russland die Nato, noch die Nato Russland brauche.    Auf der Konferenz über die Zukunft der Beziehungen Russlands zur Nato wurde deutlich: Die russische Politszene ist sich ganz und gar nicht einig, wie sie sich gegenüber dem nordatlantischen Verteidigungsbündnis verhalten soll. Die Meinungen in der russischen Regierung gehen weit auseinander. Und nicht immer ist das, was in Moskau über die Nato gesagt wird, auch an Brüssel adressiert. Wenn russische Generalstabschefs den Zeigefinger erheben und damit drohen, den roten Knopf zum atomaren Erstschlag zu drücken, dann spielen Eigeninteressen und innenpolitische Querelen zwischen Hardlinern und Liberalen mitunter eine größere Rolle als man im Westen ahnt oder wahrnehmen will. Die Kampfansage Belujewskijs kann auch als politischer Querschläger des Militärs gegenüber dem Kreml gedeutet werden - immerhin zeichnet sich ab, dass der Putin-Kronprinz Dmitrij Medwedew als zukünftiger außenpolitischer Vertreter Russlands eine nach Westen gewandte Außenpolitik einschlagen wird.  Dasselbe Motiv verfolgte wohl auch der russische Außenminister Sergej Lawrow in seiner jährlichen Pressekonferenz, nur wenige Stunden vor der Diskussionsrunde. Er betonte, dass Russland in internationalen Streitigkeiten seinen harten Ton beibehalten werde und erwähnte in diesem Zusammenhang den Konflikt um den Status des Kosovo und die Nato-Erweiterung nach Osten. Auch seine Rede klang wie ein Schlagabtausch mit dem Präsidentschaftskandidaten Medwedew, der in seiner ersten offiziellen Ansprache am Dienstag mehr Bereitschaft zur Kooperation auf internationaler Ebene angekündigt hatte. Es ist Wahlkampf in Russland. Auch wenn der Putin-Nachfolger scheinbar schon feststeht, sind die Machtkämpfe hinter den Kreml-Mauern noch lange nicht endgültig ausgefochten. In diesem Licht betrachtet, traf das Schreiben der ukrainischen Führung an Nato-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer die Russen besonders hart. Darin bekundet die Regierung in Kiew ihren Beitrittswillen und will vom "Partner" zu einem offiziellen "Mitglied" aufsteigen: "Die Ukraine verstehe sich als Bestandteil des euroatlantischen Sicherheitsraums und ist bereit, gemeinsam mit der Nato und deren Partnern den allgemeinen Sicherheitsbedrohungen entgegen zu treten", wird darin betont. Das russische Außenministerium teilte daraufhin mit, Russland werde angemessene Gegenmaßnahmen ergreifen müssen, sollte sich der einstige Bruderstaat in die Allianz einbinden. Der Militärberater Solotarew erklärte die Drohgebärde gegenüber Kiew mit psychologischen Gründen. "Ich bin ein gutes Beispiel für unser Problem", führte er an. Er sei in der Ukraine geboren und dort zur Schule gegangen, viele seiner Freunde seien Ukrainer. "Stellen sie sich vor, meine früheren Schulkameraden wären dann auf Seiten der Nato. Ich kann nur hoffen, dass dieser Fall nie eintreffen wird", sagt er, offensichtlich bestürzt. Der Politologe Urnow nennt ein weiteres psychologisches Problem: Das getrübte Selbstbild der russischen Elite. Man müsse jedoch der Realität ins Auge sehen, forderte er. Im Gegensatz zu Russland sei Europa ein attraktives Zentrum, in welches sich auch die Ukraine integrieren wolle. "Russland ist kein solches Zentrum, jedenfalls nicht für die Ukraine. Hier gibt es zuviel Korruption und zuviel Nostalgie", sagt er. Die Nato-Sprecherin Isabelle Francois pflichtet ihm bei: "Wir verfolgen eine Politik der Offenen Tür", erklärt sie. "Wir laden Länder wie die Ukraine und Moldawien nicht offensiv ein, sondern diese Länder bitten uns um Aufnahme in das Bündnis."    In Anbetracht der Tatsache, dass sich zahlreiche ehemalige Verbündete von Russland abwenden, lässt sich erklären, warum Moskau in der Kosovo-Frage auf der Seite Serbiens steht. Die Balkan-Republik gilt als treuer Partner und hat dies erst in den vergangenen Tagen wieder unter Beweis gestellt: Die serbische Regierung verkauft ihre Gasgesellschaft NIS zu einem Spottpreis an den russischen Megakonzern Gazprom. Trotz der Auseinandersetzung um den Status des Kosovo waren sich am Ende der Nato-Russland-Gespräche in Moskau beide Seiten einig. Die Kooperation im Nato-Russland-Rat sei besonders in der Praxis äußerst wertvoll, unterstrich der Vertreter des Außenministeriums, Rjabkow. Er erwähnte dabei die gemeinsamen Anti-Terroroperationen im östlichen Mittelmeer und den zukünftigen Daten-Austausch zwischen dem russischen und dem Nato-Luftraumkontrollzentrum. "Wir haben zwar unsere eigenen Interessen, die nicht immer mit denen der Nato übereinstimmen", sagt Rjabkow.  Doch es gebe viele gemeinsame Interessen wie beispielsweise den Kampf gegen den Drogen-Schmuggel aus Afghanistan -diesem Problem könne man nur gemeinsam begegnen. Auch Rogosin erwähnte auf seiner Pressekonferenz kurz vor der Abreise nach Brüssel, dass er sich vor allem im Katastrophenschutz eine engere Zusammenarbeit vorstellen könne. So gingen die beiden Seiten im Einvernehmen auseinander, dass Russland die Einladung zum Nato-Gipfel in Bukarest im April prüfen werde. In diesem Rahmen soll eine Sitzung des Nato-Russland-Rates auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs stattfinden. Ob der Noch-Präsident Putin tatsächlich nach Bukarest reisen werde, knüpfte der neu ernannte russische Nato-Botschafter Rogosin an die Bedingung, dass es bis dahin "keine Überraschungen" gebe. Gemeint ist damit wohl die Aufnahme der Ukraine in den Aktionsplan für die Mitgliedschaft. 
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