Das Silicon-Valley Russlands
Die russische Chip-Produktion ist auf dem Sprung nach vorne – dank Hightech made in GermanySobald Maria Simonowa ihre Handtasche an den Detektor am Eingang der Moskauer Metro hält, blinkt ein grünes Licht auf. Dann kann die 24-Jährige durch die Kontrollstation gehen. Wenn die Studentin jedoch zu viele Bücher oder Kosmetik dabei hat, kann das Metro-Ticket in ihrer Tasche den Detektor nicht aktivieren und die Schranke knallt zu. Das ist Simonowa schon zwei Mal passiert. „Sieben Minuten muss man dann warten, bis der Fahrschein wieder funktioniert“, stöhnt sie – eine Sperre, damit nicht zwei Menschen hintereinander dieselbe Karte benutzen können. „Das ist Hightech, was da in den Dingern steckt“, sagt sie bewundernd. Der intelligente U-Bahnfahrschein im Kreditkarten-Format wird in einer Halbleiterfabrik dreißig Kilometer nördlich von Moskau hergestellt. Das russische Unternehmen Sitronics produziert bereits seit eineinhalb Jahren Verkehrstickets für die Großstädte Russlands: Fahrkarten für Busse, Trams, Metros aber auch Bank- und Kreditkarten sowie SIM-Karten für das Handy. In Zukunft wird Sitronics zudem zwei bis drei Millionen biometrische Reisepässe und Personalausweise pro Jahr produzieren, im Auftrag des russischen Staates. Auf den integrierten Mikrochips sind dann die Bio-Daten der Besitzer gespeichert: Größe, Augenfarbe, Gesichtskoordinaten, Fingerabdrücke.Fragt man Gennadij Kasnikow, Generaldirektor der Sitronics-Tochterfirma Mikron, ob sein Mikrochipunternehmen auch Militärtechnologie herstellt, bekommt man ein verschmitztes Lächeln als Antwort. „Kommunikationstechnik wie diese ist überall einsetzbar“, kommentiert er und will dazu nicht mehr sagen. Bislang hat der größte Halbleiterhersteller Europas, ST Microelectronics mit Sitz in der Schweiz, die winzig kleinen Chips nach Russland geliefert. Ab sofort produziert die Sitronics-Tochterfirma Mikron eigene Mini-Datenspeicher. „Das ist schon fast Nanotechnologie“, staunte der erste Vizepremier und ehemalige Verteidigungsminister Sergej Iwanow, der zum Produktionsstart die Fabrik besichtigte. In einem dunkelblauen Kittel und mit Plastiküberzieher über den Lackschuhen, damit kein Schmutz in den sterilen Räumen verteilt wird, beobachtete er durch Glasfenster hindurch die Ingenieure in hellblauen Schutzanzügen, Handschuhen und Atemschutzmasken wie sie an dem Computermonitoren den Herstellungsprozess überwachen.Russland gehört nun zu den sieben Hochtechnologie-Nationen der Welt, die diese 0,18-Mikrometer-Technologie herstellen. Daneben sind es Länder wie Deutschland, Frankreich, die USA, Taiwan, Japan und Singapur. Sitronics hat nun vor, sich auf dem Weltmarkt eine starke Position zu erobern. Langfristiges Ziel ist, die Chipgröße durch eigene Forschung weiter zu verkleinern: auf 0,045 Mikrometer. Doch erst müssen die Russen noch einige Entwicklungsgenerationen aufholen.Schon jetzt exportiert das größte IT-Unternehmen in Osteuropa Telekommunikationssysteme für Handys und Wireless Lan sowie Software und Mikrotechnologie in 60 Länder weltweit, vor allem in die Nachbarländer und nach Südkorea, China, Taiwan und Japan. Auch der deutsch-finnische Gemeinschaftskonzern Nokia Siemens Network integriert russische SIM-Karten in seine Handys. „Wir wollen in Zukunft mehr an deutsche Firmen wie Siemens liefern“, sagt Karina Abagjan. Die 25-Jährige arbeitet als Marketingfachfrau bei der Sitronics-Tochter Mikron. Deutsche Unternehmen wie Infineon sind wichtige Partner für Sitronics, ohne die zur Zeit noch keine unabhängige Produktion denkbar ist. Der Wasseraufbereiter Hager und Elsässer aus Stuttgart liefert das sterile Wasser, mit dem das bei 3000 Grad Celsius erhitzte Silizium abgekühlt wird. „Ohne die deutsche Technik wäre die Produktion dieser Mikrotechnologie in Russland überhaupt nicht möglich“, erklärt Abagjan und zeigt in die Fertigungshalle, wo am Ende der langen Fertigungsstraße die Metro-Fahrscheine vom Band rasseln. Der Einbau der Antenne in die Plastikkarte, die Verlinkung mit dem ein Quadratmillimeter kleinen Chip – das alles geht dank der Apparatur des Hightechunternehmens Mühlbauer mit Sitz in Roding bei München vollautomatisch.Alexander Markin überwacht am Computermonitor neben der gläsernen Mühlbauer-Box, in welcher blitzschnelle Roboterarme den Antennendraht in Millimeterarbeit verlöten, eine bunte Schaltanzeige mit Zahlen und Parametern. Der 27-Jährige hat vor vier Jahren sein Ingenieursstudium an der Moskauer Fakultät für elektrotechnische Geräte abgeschlossen. Seit eineinhalb Jahren arbeitet Markin bei Sitronics. „Ich durfte zusammen mit fünf Kollegen bei Mühlbauer ein einmonatiges Praktikum machen“, erzählt er stolz in fließendem Englisch. „Das war eine großartige Erfahrung“, sagt er.Junge Ingenieure wie Markin sind für Sitronics fast unersetzbar. Nur sie können die ausländischen Maschinen bedienen und zur Not auch kleine Fehler beheben. 120 Ingenieure hat Sitronics in den vergangenen 18 Monaten zu den ausländischen Partnerfirmen geschickt. Damit will das in Russland führende Halbleiterunternehmen den im Vergleich zum Weltmarkt technologischen Rückstand schnell aufholen. Vor allem die junge Generation ist hier gefragt. Sie ist mit modernen Computern und westlichen Technologien aufgewachsen und hat dadurch einen Vorsprung. Das Durchschnittsalter in Markins Team beträgt 25 Jahre.Markin und seine fünf Mitpraktikanten arbeiten im Schichtbetrieb an der Mühlbauer-Apparatur. „Die Produktion läuft ununterbrochen, deswegen muss immer einer von uns hier sein“, erklärt er. Wegen den vielen Nachtschichten lebt der Vater einer einjährigen Tochter wieder in seiner Heimatstadt Selenograd und nicht mehr in Moskau wie noch zu Studienzeiten. Von seinem für russische Verhältnisse recht guten Gehalt, umgerechnet rund 1150 Euro, kann er sich ein Auto leisten, um zur Arbeit zu fahren. „Ich lebe gerne hier in der Technologiestadt Selenograd – das ist das Selecon-Valley Russlands“, lacht er und strahlt.Dazu hat er allen Grund. Die erst 50 Jahre alte Stadt hat durch die Mirkoelektronikindustrie einen deutlichen Aufschwung erfahren. Vor den Toren Moskaus ist ein Hightech-Cluster entstanden, auch eine Hochschule für Mikrotechnologie hat sich hier angesiedelt. Mehr als umgerechnet 200 Millionen Euro hat Sitronics in die neue Fabrikanlage am Stadtrand von Selenograd investiert. Nicht weit von den grün-blauen Fertigungshallen entfernt baut derzeit die Konkurrenzfirma Angstrem ihre Halbleiterfabrik auf – auch sie wird von deutschen Partnerfirmen wie M+W Zander aus Stuttgart in der Planung unterstützt. Der zweite Wettbewerber auf dem osteuropäischen Markt logiert in Minsk: die weißrussische Firma Integral.Das Unternehmen Sitronics mit rund 10.000 Angestellten und einem Jahresumsatz von mehr als 256 Millionen Euro gehört zu rund 64 Prozent dem russischen Telekommunikationsgiganten und Ölkonzern AFK Systema. Deren Gründer und Mehrheitseigner ist der Oligarch Wladimir Jeftuschenkow, der einst Pläne hegte, Aktienpakete der Telekom zu kaufen. Der Bundesnachrichtendienst hatte 2006 noch vor dem einflussreichen Jeftuschenkow gewarnt. Der Multimilliardär verfügt über exzellente Verbindungen zum Kreml und ist mit der Schwägerin des Putin-treuen Moskauer Bürgermeisters Jurij Luschkow verheiratet. Neben dem Mobilfunkmarkt, den der Systema-Anbieter MTS beherrscht, hat Jeftuschenkow nun mit Sitronics ein weiteres führendes Unternehmen in der Hochtechnologie etabliert. Der Geldsegen bleibt nicht aus. Das russische Industrieministerium will mit einem Sonderentwicklungsprogramm den zu Sowjetzeiten sehr fortschrittlichen Industriezweig wieder auf den neuesten Stand bringen. Für die Jahre 2007 bis 2011 investiert der Staat umgerechnet 1,1 Milliarden Euro. Überlegt wird auch, die zwei russischen sowie die weißrussische Halbleiterfirma zu einem Megakonzern zusammen zu legen, an dem der Staat mit 25 Prozent plus einer Aktie beteiligt sein sollte. Doch diese Idee besteht bislang nur auf dem Papier.ENDENachdruck und Weiterverwertung dieses Artikels sind kostenpflichtig.
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