"Kreml-Forscher" spekulieren über Putins Zukunft
Wie geht es nach dem eindeutigen Wahlsieg der Partei "Einiges Russland" weiter?Wie jeden Morgen steht die Verkäuferin Irina in ihrem engen Zeitungskiosk an der Unterführung zur Metrostation "Konkowo". "Natürlich habe ich für Putin gestimmt", erzählt die 54-Jährige, "ich möchte nicht, dass sich die Politik im Land schon wieder ändert." Sie lobt die Stabilität, die der russische Präsident seit seinem Amtsantritt im Jahr 2000 geschaffen habe. "Wer weiß was kommt, wenn Putin einmal nicht mehr da ist", fragt die Zeitungsverkäuferin. In Dutzenden Zeitungen und Zeitschriften, die sich um Irina herum auf zwei Quadratmetern Verkaufsfläche stapeln, wird diese Frage bereits heiß diskutiert.
Auch nach dem haushohen Wahlsieg der Putin-Partei "Einiges Russland" bleibt die Zukunft des Präsidenten offen. Vielmehr fragt sich manch ein Kommentator, ob die Wahl aus Sicht von "Einiges Russland" nicht als gescheitert betrachten werden muss.Boris Gryslow, Parteichef von "Einiges Russland" hatte die Duma-Wahlen zum "Referendum für Putin" erklärt - und mit Putin als dem Spitzenkandidaten 64 Prozent der Wählerstimmen errungen. Dieses Ergebnis liegt fast zehn Prozent unter den aktuellen Zustimmungsraten des Präsidenten. Und die Parteiführung hat ihr intern abgestecktes Wahlziel von 70 bis 80 Prozent Stimmanteil verfehlt. Reicht diese Parlamentsmehrheit, um die Macht Putins nach seiner Amtszeit als Präsident abzusichern?Wahrscheinlich wird Wladimir Putin den Plan für seine politische Zukunft am 17. Dezember bekannt geben. An diesem Tag lädt die Partei "Einiges Russland" zum Parteitag. Ihr Spitzenkandidat und Staatspräsident muss erklären, ob er sein Mandat im Parlament wahrnehmen oder einen anderen auf diesen Posten setzen möchte. Jedenfalls glauben die Kremologen, dass der künftige Präsident Russlands den ersten Listenplatz der "Einheitsrussen" übernehmen wird. Wenn Putin sein Versprechen hält und im März nicht noch einmal zu den Präsidentschaftswahlen antritt, müsste er dieser Theorie zufolge seinen auf seinen Listenplatz verzichten. Als neuer starker Mann im Machtgefüge Russlands wird vielfach Sergej Iwanow genannt, einer der ersten stellvertretenden Ministerpräsidenten. Der ehemalige Geheimdienstchef gehört zur Gruppe der "Silowiki", die in Partei, Kreml und Ministerien die Hardliner stellen und sich überwiegend aus der Verwaltungs- und Geheimdienstelite zusammensetzen. Kremologen gehen davon aus, dass sie innerhalb der Kreml-Mauern über beachtliche Macht verfügen, die sie vor wenigen Wochen zur Verhaftung eines stellvertretenden Finanzministers einsetzen konnten. Während die Gründe für diesen Coup im Dunkeln bleiben, erscheint als logisch: Wenn die "Silowiki" mit Iwanow "ihren Mann" ins Amt des Präsidenten gehoben haben, werden sie einen allzu mächtigen Putin weder in Partei-, noch in Kreml- oder Verwaltungskreisen dulden. Beliebt ist unter den Kreml-Forschern auch folgendes Szenario: Putin und seine "Einheitsrussen" schicken einen schwachen Präsidenten zur Wahl. Putin könnte im Amt des Ministerpräsidenten überwintern, während ihm sein schwacher Nachfolger für ein paar Monate den Sessel warm hält. Viktor Subkow, der im September von Putin als Unbekannter in das Amt des Ministerpräsidenten befördert wurde, gilt für diesen Schachzug die optimale Figur. Der Mann ist Putin gegenüber absolut loyal, ist eine keine Schlüsselfigur in einem der untereinander verfeindeten Kreml-Clans, er wird in den Medien als hemdsärmeliger Politiker in Szene gesetzt und erntet deswegen hohe Zustimmungsraten in der Bevölkerung. Vor allem ist der frühere Steuerbeamte bereits 65 Jahre alt - er könnte nach ein paar Monaten freiwillig abtreten und Putin die verfassungsmäßig saubere Rückkehr auf den Posten ermöglichen. Es bleibt noch die Theorie des "Rückzugs auf Raten". Demnach strebt Putin aus persönlichen Gründen keine aktive Rolle in der Politik mehr an. Schließlich könnte er es sich mit seinem Vermögen und nach Erreichen des politischen Zenits auch gut auf der Datscha bequem machen. Doch sein Umfeld will, dass er der politischen Reserve erhalten bleibt - als "nationaler Führer" etwa, wie es sich Teile der Partei "Einiges Russland" vorstellen. Oder auch als Anführer der Parlamentsfraktion. Putin würde dadurch viel von seiner Macht aufgeben, die in Russland im Amt des Präsidenten konzentriert ist. Wie auch immer der Masterplan aussieht, der vermutlich schon in einem Safe des Kreml verschlossen ist - eines ist sicher: Wenn Putin nach seiner zweiten Amtszeit tatsächlich als Präsident abtritt, wird es Umwälzungen im russischen Machtgefüge geben. Die Strippenzieher hinter Putins Rücken werden versuchen, ihre Macht zu erhalten oder auszubauen. Ob damit wirklich die Stabilität erhalten bleibt, wie es Zeitungsverkäuferin Irina mit ihrem Kreuzchen für Putin bezwecken wollte, bleibt abzuwarten. ENDE