Russland

Wahl in Russland: Alles nach Plan

Die russische Führung hat die Abstimmung am Sonntag generalstabsmäßig vorbereitetAm Sonntag wählt die russische Bevölkerung eine neue Staatsduma. Die Wahlen wurden im "neuen Russland" unter Präsident Putin generalstabsmäßig vorbereitet - vom intensiven Aufbau der Kremlpartei bis hin zur systematischen Ausschaltung der Opposition. Planungsziel: Putins Partei "Einiges Russland" soll mehr als 70 Prozent der Stimmen bekommen, damit sich der Präsident nach seinem Abtritt im März auf eine starke Hausmacht stützen kann. Dass dies gelingt, bezweifelt in Russland kaum jemand. Die Frage ist nur, welche Rolle es für die Zukunft von Präsident Putin spielt.Das letzte Zucken der russischen Opposition ist den kremlhörigen Medien eine kurze Meldung wert: Von "gewaltbereiten Extremisten" spricht der Reporter des ersten staatlichen Fernsehkanals, während für ein paar Sekunden Bilder von jungen Demonstranten des "Marschs der Nichteinverstandenen" über den Schirm laufen. Die kremltreue Tageszeitung "Iswestija" widmet dem Protestmarsch am Montag einen kurzen Dreizeiler, der auf einer der mittleren Seiten ganz unten steht - neben einem ausführlichen Bericht über die zeitgleiche Demonstration von Putin-Anhängern. Derweil sitzen Hunderte der rund 4.000 Nichteinverstandenen zu Hause und kurieren Blessuren aus, die ihnen brutale Spezialeinheiten der Polizei mit Schlagstöcken und heftigem Schubsen beigebracht haben. Schachweltmeister Garri Kasparow sitzt zu dieser Zeit längst im Gefängnis, ebenso wie andere führende Köpfe des Widerstands. Der ohnehin schwachen Opposition wurde der letzte Zahn gezogen. Die letzten Tage im Wahlkampf laufen so, wie es sich die Strategen im Kreml vorgestellt haben: Voll nach Plan. Auf dem Puschkin-Platz schwenken am Mittwoch ein paar Chinesen und Kaukasier die russische Fahne. "Russland - unsere zweite Heimat" steht darauf. Nur zwei Polizisten beobachten die Versammlung, denn für den Staat kann sie nicht gefährlich werden. Die Einwanderer demonstrieren im Auftrag der Kremlpartei "Einiges Russland" und sollen zeigen, dass die Integration von Immigranten in Putins Russland klappt. Am Abend feiert diese Partei, deren Liste der bisher parteilose Präsident anführt, ihren Wahlkampfendspurt im ganzen Land. Anhänger stimmen patriotische Lieder an und bringen ihren ganzen Stolz auf Russland vor laufenden Kameras zum Aus-druck. Die anderen sieben Parteien haben die Wahlkämpfe weitgehend eingestellt - entweder, weil sie keine Räume bekommen oder weil es sowieso keinen Sinn macht. Nur ein paar einsame Zettelverteiler der Liberaldemokratischen Partei stehen an den Moskauer Metroeingängen und verteilen Flugblätter, auf denen der Nationalpopulist Wladimir Schirinowski unter dumpfen Sprüchen gegen Einwanderer abgebildet ist.


Polizeisperren vor der Zentrale der Wahlkommission
Timo VogtDer Ausgang der Wahlen ist klar: Nach aktuellen Umfragen des Levada-Zentrums, des unabhängigen Meinungsforschungsinstituts in Russland, wird Putins Partei "Einiges Russland" rund 67 Prozent der Stimmen erhalten. "Wir können mit einem Zweiparteiensystem rechnen", sagt der Chef des Instituts, Lew Gudkow. Außer der Kremlpartei dürften es wohl lediglich die Kommunisten ins Parlament schaffen. Dies ist vor allem den neuen Wahlgesetzen zu verdanken, die die noch amtierenden Duma-Abgeordneten auf Weisung des Kreml selbst beschlossen haben: Sieben Prozent müssen Parteien mindestens erreichen, um Plätze in der Kammer zu bekommen. Die Direktwahl von Kandidaten wurde abgeschafft. Alle Parteien mussten sich bei einer neu eingerichteten Wahlbehörde aufwändig registrieren lassen. Ein Dutzend kleinerer Parteien sind an dieser Prozedur gescheitert, weil sie nicht die erforderlichen 50.000 Mitglieder in den Regionen vorweisen konnten. Andere wurden vom Landeswahlleiter und Putin-Vertrauten Wladimir Tschurow aus fadenscheinigen Gründen nicht zugelassen. Für Putins politische Zukunft bleibt die Dumawahl trotz dieser Klarheit spannend. Wie der Präsident nicht müde wird zu versichern, will er im kommenden März kein drittes Mal um das höchste Amt im Land kandidieren, was mit der Verfassung auch nicht vereinbar wäre. Da ihn aber die Mehrheit der Bevölkerung - nicht zuletzt mangels Alternativen - weiter an der Macht sehen will, muss eine neue Position für ihn gefunden werden. Das erklärt die beispiellose Verschmelzung von Funktionen, die im Vorfeld der Dumawahlen stattgefunden hat: Der Präsident führt als parteiloser Bürger die Liste einer Partei bei den Parlamentswahlen an - und das, obwohl er sich als direkt gewählter Chef der Exekutive in der Wahl des Recht setzenden Organs laut Wahlrecht gar nicht einmischen dürfte. 70 Prozent der Stimmen sind das interne Ziel der Partei "Einiges Russland". Das würde ihr nicht nur eine komfortable Zwei-Drittel-Mehrheit garantieren, mit der sich die Staatsduma dirigieren ließe. Vor allem entspricht dies den aktuellen Zustimmungsraten des Präsidenten. Damit die Kremlpartei die Parlamentswahlen glaubhaft als ein "Referendum für Putin" verkaufen kann, muss dieses Planziel unbedingt erfüllt werden. Und um nichts anbrennen zu lassen, werden Mitarbeiter von Verwaltungen, Universitäten und staatlichen Betrieben von ihren Direktoren angewiesen, ihr Kreuzchen für  "Einiges Russland" zu machen - und dies mit einem Handyfoto nachzuweisen. Wer dem nicht nachkommt, riskiert den Job. Der Präsident, der am Donnerstag eine Fernsehansprache des Bürgers und Dumakandidaten Wladimir Putin geben lässt, argumentiert natürlich anders: "Bitte, bitte", bettelt er auf den staatlichen Kanälen, "glauben Sie nicht, dass sich unser Land automatisch weiterentwickeln." Das sei eine "gefährlich Illusion". Um die ausstehenden Aufgaben zu vollenden und Russland eine starke Rolle in der Welt zu verschaffen, habe er sich entschlossen, für die Partei "Einiges Russland" zu kandidieren, rechtfertigt Putin seine Kandidatur und schließt mit einem Wahlappell für seine Liste.


Polizisten in Zivil verhaften den Oppositionspolitiker Kasparow
Timo Vogt

Die Moskauer "Kremologen" spekulieren eifrig über die politische Zukunft des Präsidenten. Als Spitzenkandidat könnte er künftig nach Ablauf seiner Amtszeit in der Duma landen. Auch das Amt des Ministerpräsidenten wird als Ersatzposten für Putin diskutiert. Vielleicht käme er auch nach kurzer Zeit zurück, wenn ein nachfolgender Präsident freiwillig abtritt. Putin, der über Beteiligungen an den Energieunternehmen Surgutneftegas und Gasprom ein Milliardenvermögen besitzt, könnte es sich auf dem Höhepunkt seiner Popularität gut auf der Datscha bequem machen. Der Haken: "Putin wird mit Hilfe der Medien und gezielter Propaganda als Garant von Stabilität und sozialer Ordnung präsentiert", sagt Meinungsforscher Lew Gudkow, "nur ihm trauen die Russen zu, das Land erfolgreich zu regieren." Deswegen muss er weitermachen. Weder die politische Elite, noch die Bevölkerung können sich Putin aus der russischen Politik wegdenken. ENDE


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