Wahl in Russland: "Eine bloße Inszenierung des Kreml"
Meinungsforscher Lew Gudkow: Bevölkerung sieht keine Alternative zu Putin In Putins Reich ist Wahlkampf. Am 2. Dezember wählen die Russen die neue Staatsduma. Das Ergebnis ist soweit absehbar: Die Kreml-Partei "Einiges Russland" wird die absolute Mehrheit holen, für die kremltreue "Opposition" werden wenige Sitze übrig bleiben. Wahlen sind in Russland eine bloße Inszenierung, meint Lew Gudkow, Direktor des unabhängigen Moskauer Meinungsforschungsinstituts Lewada-Zentrum. Im Interview spricht er über die Rolle des Parlaments, die Schwäche der Opposition und die politische Stimmung im Land.
Lew Gudkow
Florian WillershauesenFrage: Herr Gudkow, die Londoner Times hat Russlands Präsident Wladimir Putin mit Leonid Breschnew verglichen, der 18 Jahre Staatschef der Sowjetunion war und nicht abtreten wollte. Was würde die russische Bevölkerung davon halten, wenn Putin auf unbestimmte Zeit weitermachen würde?Gudkow: Noch im Sommer haben sich 56 Prozent für ehrliche Präsidentschaftswahlen und gegen eine erneute Kandidatur von Wladimir Putin ausgesprochen. Die dritte Amtszeit eines Präsidenten ist schließlich nicht mit der russischen Verfassung zu vereinbaren. Inzwischen hat sich die Stimmung deutlich verändert. Die Mehrheit der Russen spricht sich dafür aus, dass Putin an der Macht bleibt - egal auf welche Weise. Frage: Worauf führen Sie diesen Meinungsumschwung zurück?Gudkow: Vor wenigen Monaten hatten nur einige den Wunsch, dass Putin eine dritte Amtszeit bekommt. Inzwischen ist die Möglichkeit, Putin könnte weiter an der Macht bleiben, sehr real geworden. Die Bevölkerung sieht keine Alternative zu ihm. Putin wird mit Hilfe der Medien und gezielter Propaganda als Garant von Stabilität und sozialer Ordnung präsentiert. Nur ihm trauen die Russen zu, das Land erfolgreich zu regieren. Diese Alternativlosigkeit verstärkt den Wunsch in der Bevölkerung, dass Putin bleibt.Frage: In wenigen Tagen lässt Putin eine neue Duma wählen. Welche Parteien werden es über die Sieben-Prozent-Hürde schaffen?Gudkow: Nach unserer letzten Oktoberumfrage würden es nur zwei Parteien schaffen. Einiges Russland würde mit 68 Prozent der Stimmen die absolute Mehrheit holen. Zweite Fraktion wäre die Kommunistische Partei mit etwa 15 Prozent. Alle anderen müssten draußen bleiben.Frage: Es steht also schon fest, dass der Kreml die Wahlen gewinnen wird. Kreml-kritische Parteien werden gar nicht erst zugelassen. Welchen Zweck erfüllen die Wahlen in Russland überhaupt?Gudkow: Duma-Wahlen drücken in Russland nicht die Meinung der Bevölkerung aus, sondern sind eine bloße Inszenierung des Kreml. Wahlen sind ein Mechanismus zur Legitimierung der Machthaber und ihrer Politik. Die Duma ist ein Gremium zur Umsetzung der Politik des Kreml. Sie verfügt nicht einmal mehr über Kontrollbefugnisse, die Fraktionen haben keine klar definierten Programme. Die Abgeordneten sind überwiegend Lobbyisten, die mit unterschiedlichen Mitteln Entscheidungen zu beeinflussen versuchen. Deswegen spielt die Duma für rund 70 Prozent der russischen Bevölkerung überhaupt keine Rolle. Frage: War das Parlament schon vor Putins Regentschaft so schwach?Gudkow: Keineswegs. Während der Regierungszeit von Boris Jelzin von 1991 bis 1999 war die russische Volksvertretung ein überaus mächtiges Organ. In der oberen Kammer saßen machtvolle Vertreter der Regionen, die deren Einfluss sicherten. Im Unterhaus, der Staatsduma, wurden regelrechte politische Kämpfe ausgetragen. In den 90er Jahren funktionierte die Duma in Russland wie viele westeuropäische Parlamente. Ihre Entmachtung fällt in die Amtszeit von Wladimir Putin. Frage: Mit neuen Wahlgesetzen konnte Putin verhindern, dass oppositionelle Parteien zur Wahl antreten. Warum fürchtet Putin die Opposition, wo er doch so fest im Sattel sitzt?Gudkow: Ich bin nicht der Meinung, dass es in der neuen Duma keine Opposition geben wird. Ich bezeichne die Kommunistische Partei als eine Oppositionspartei. Sie ist aber eine konservative Partei. Ihre Wähler sind meist über 50 Jahre alt und von der nach-sowjetischen Politik enttäuscht. Die Partei wird sich bei einigen sozialen Themen gegen das "Einige Russland" stellen. Aber sie werden den Kurs von Wladimir Putin nicht in Frage stellen. Opposition zur Politik des Kreml spielt sich auf der Straße ab. Frage: Welches Potenzial hat die Opposition auf der Straße?Gudkow: Das Potenzial ist definitiv da. Doch es ist sehr schwierig, die vielen oppositionellen Gruppen zu konsolidieren. Die Interessen sind sehr unterschiedlich. Zur Opposition gehören Parteien, die früher richtig stark gewesen sind, wie Jabloko. Dazu zählen ehemalige Spitzenpolitiker wie Jegor Gajdar oder Grigorij Jawlinskij, die selbst Teilhaber der Macht waren, aber auch einfache Bürger. Ihnen fällt es sehr schwer, eine klare und einheitliche Strategie zu entwickeln. Natürlich tragen auch die repressiven Maßnahmen der Staatsmacht dazu bei, dass Opposition in Russland nur in einem engen Rahmen stattfindet. Frage: Was könnte die Stabilität des Regimes Putin ins Wanken bringen?Gudkow: Russlands wirtschaftliche Stabilität basiert auf den hohen Preisen für Öl und Gas. Wenn die Preise fallen, könnte das die Stabilität im Lande gefährden. Die Bevölkerung erwartet von der Politik, dass sie wirtschaftliche und soziale Leistungen erbringt. Diese Erwartungshaltung stammt noch aus der Sowjetzeit, als der Staat wie selbstverständlich Ausbildung, Rente, Gesundheit, Transport oder Kinderbetreuung organisierte und finanzierte. Wenn diese Leistungen immer weniger erfüllt werden, kann die Unterstützung für die Politik des Kreml sinken. Frage: Ist Demokratie eine Alternative zum Kurs von Putin?Gudkow: Die Rückkehr zur Demokratie ist in der Tat die einzige Alternative zu Putins Regime. Dies setzt aber voraus, dass der so genannte Plan Putin aus irgendeinem Grund nicht mehr funktioniert. Die Bevölkerung steht Elementen der Demokratie wie der Meinungs- und Versammlungsfreiheit jedenfalls nicht negativ gegenüber. Frage: Putin hat im Laufe seiner Amtszeit eine hohe Popularität in Russland erreicht. Wäre das nicht der richtige Zeitpunkt für einen Abschied von der Macht?Gudkow: Putin ist nicht der einzige, der darüber entscheidet. In seiner Umgebung gibt es einflussreiche Leute, die verhindern wollen, dass er sich von der Macht zurückzieht. Ich bin mir momentan nicht sicher, ob Putin nächstes Jahr wirklich abtreten wird. Informationen zum Lewada-Zentrum: Das Moskauer Lewada-Zentrum ist ein international renommiertes Meinungsforschungsinstitut. Es wurde 2004 von dem Soziologen Jurij Lewada gegründet, der zuvor das Gesamtrussische Zentrum zur Erforschung der öffentlichen Meinung (WZIOM) geleitet hatte. Als dieses Institut im Jahr 2004 unter staatliche Kontrolle geriet, machte sich Lewada selbstständig und gründete mit seinen Mitarbeitern das Lewada-Zentrum. Nach dem Tod Lewadas im November 2006 übernahm der Soziologe Lew Gudkow (60) die Leitung des Meinungsforschungsinstituts. Das Zentrum arbeitet staatlich unabhängig und wird überwiegend über Auftragsarbeiten privater Unternehmen und Organisationen finanziert. ENDE