WAHL IN RUSSLAND: Moskauer Puppentheater
Die Russen wählen kein Parlament, sondern bestätigen ihren Präsidenten - Demokratie sieht anders ausNormalerweise funktioniert Demokratie ungefähr so: Die Wähler stimmen alle paar Jahre über die parteiliche Zusammensetzung eines Parlaments ab, welches das Herzstück des demokratischen Prozesses ist. Von der dortigen Machtverteilung hängt der politische Kurs für die nächsten Jahre ab. An den Vorstellungen der Parlamentsmehrheit orientiert sich auch die Exekutive - ganz gleich, ob sie wie der deutsche Regierungschef vom Parlament oder wie der russische Präsident von der Bevölkerung gewählt wurde. In der russischen Verfassung wird Demokratie eben so beschrieben wie sie politische Denker von Aristoteles über Montesquieu bis hin zu Karl Löwenstein im Laufe von zweieinhalb Jahrtausenden ausformuliert haben. Doch in der Realität von Putins Russland sind Wahlen kein Ausdruck der Bevölkerungsmeinung, sondern ein Akt der Loyalität zum Präsidenten. Das Parlament ist kein Schmelztiegel der Meinungsbildung, es nickt die Politik des Kreml ab. Natürlich wird das Parlament ordentlich von der Bevölkerung gewählt, vermutlich werden die Wahlen frei sein, vielleicht sogar frei von Manipulationen am Wahltag. Natürlich wird die neue wie die alte Duma Gesetze beschließen wie jedes andere Parlament der Welt. Doch die Staatsduma ist in Russland nicht das Herzstück der Demokratie, sondern Putins Politikdurchführungskasper. In Russland herrscht - anders als es die Verfassung festlegt - kein demokratisches Regime, sondern eines, das mit den formalen Institutionen der Demokratie nur seine autoritäre Fratze maskiert. Wladimir Putin ist zweifellos ein weicherer Autokrat als Islam Karimow in Usbekistan oder Alexander Lukaschenko in Belarus. Aber mit eisernen Reformen ist es ihm gelungen, das unter seinem Vorgänger Boris Jelzin noch halbwegs demokratische Land nach seinem Bauplan zu einem Kontrollstaat umzukrempeln. Mit der neu gewählten Duma wird es erstmals in der postsowjetischen Geschichte Russlands einen Präsidenten geben, der unmittelbar und offiziell die Arbeit der Legislative bestimmt. Putin wird die Wahl als Spitzenkandidat auf der Liste der Kremlpartei Einiges Russland gewinnen. Aktuellen Meinungsumfragen zufolge wird diese Kreml-Partei rund zwei Drittel der Stimmen erhalten. Das würde eine erdrückende Mehrheit in der Duma bedeuten, die mit den Stimmen der Abgeordneten einer einzigen Partei im Alleingang eine neue Verfas-sung durchpauken könnte. Genau so stellt sich Russlands Elite parlamentarische Politik vor.Bereits im Wahlkampf wird die Logik des demokratischen Wettbewerbs verdreht. Das liest sich auf den riesigen Wahlplakaten, die an den großen Ausfallstraßen der russischen Städte Spalier stehen. Die Partei Einiges Russland macht darauf unübersehbar auf sich aufmerksam - allerdings nicht mit einem eigenen Programm, das in treffsichere Wahlkampfsprüche getextet und auf Plakatwände geklebt wurde. Die Wähler sollen für Präsident Putin stimmen, das oberste Exekutivorgan, das mit den Dumawahlen dem Paradigma der Gewaltenteilung entsprechend gar nichts am Hut haben sollte. "Putins Plan - Sieg Russlands" steht in breiten Lettern auf den Plakaten geschrieben. Der Spruch kommt so martialisch wie inhaltslos daher. Er zeigt, dass es bei dieser Wahl nicht um Politik geht, sondern um die Politik Wladimir Putins: Dumawahl ist Putinwahl, hätte man genauso gut texten können. Die Russen interessiert das reichlich wenig. Nach einer Umfrage des Moskauer Meinungsforschungsinstituts Lewada-Zentrum interessieren sich 51 Prozent der Wähler kaum und 36 Prozent gar nicht für den Wahlkampf. Es muss etwas wie Staatsbürgerpflicht sein, was die Mehrheit der Bevölkerung trotz des breiten Desinteresses an die Urnen ziehen wird: Die Meinungsforscher des Lewada-Zentrums fanden im November heraus, dass mehr als 60 Prozent der Wahlberechtigten ihr Kreuzchen machen wollen.
Die Bevölkerung mag mit "Putins Plan" die sehnlich gewünschte Stabilität assoziieren, die in scharfem Kontrast zur Unsicherheit der 90er Jahre steht. Während Russland in der Amtszeit Boris Jelzins von einer Wirtschaftskrise in die nächste schlitterte, den Rubel samt privater Ersparnisse abwertete und in Korruption versumpfte, sonnt sich Putin im glänzenden Licht wirtschaftlichen Wachstums und relativer makroökonomischer Stabilität. Dass diese Erfolge zum Teil auf die weltwirtschaftliche Entwicklung zurückzuführen sind, ist dem Durchschnittswähler fürs Erste egal. Dass es der Bevölkerung heute besser geht als vor Putins Amtsantritt, reicht einer der Politik verdrossenen Bevölkerung aus, auch bei undemokratischen Regungen des Staates wie der Gleichschaltung der Medien die Füße still zu halten. In den chaotischen Jelzin-Jahren war parlamentarische Politik ein bisschen demokratischer. Zwar traten bei Wahlen zu viele Parteien an, die ständig die Koalitionen wechselten und keine konsistenten Programme hatten. Auf dem Schwarzmarkt waren Listen in Umlauf mit Dollarbeträgen, für die man Dumastimmen kaufen konnte. Auch das war natürlich nicht demokratisch, sondern chaotisch - und symptomatisch für das Jelzin-Regime, das nach dem Sieg über die Sowjetunion keinen tauglichen Plan für den Aufbau des neuen Staates in der Schublade hatte. Doch im Unterschied zu Putins Parlamenten wurden in der Duma in den 90er Jahren Meinungsverschiedenheiten ausgetragen - manchmal mit den Fäusten, was die Duma sogar ins deutsche Fernsehen brachte. Meistens aber friedlich, was die Macht des russischen Präsidenten zügelte, so wie es sich die Väter der russischen Verfassung gedacht hatten. Zu Putins Plan gehört es, die einst widerspenstige Staatsduma unter Kreml-Kontrolle zu bringen. Das ist den Polittechnologen des Kreml zweifelsfrei gelungen. Der Aufbau einer "Partei der Macht", die Wählerstimmen aufgrund der Popularität von Präsident Putin kassiert, war sicher der wichtigste Schritt zur Entmachtung des Parlaments. Darüber hinaus hat Putin - zum Teil mit Hilfe des bisherigen Parlaments - eine scharfe Wahlgesetzgebung eingeführt. Für die Wahlen haben sich Parteien bei seinem Petersburger Freund Wladimir Tschurow, dem Leiter der Zentralen Wahlkommission, registrieren lassen müssen. Wer nicht mehr als 50.000 Mitglieder auch in den Regionen nachweisen konnte, darf nicht teilnehmen. Kleinere Parteien scheiterten schon am finanziellen und personellen Aufwand dieser Prozedur. Manchen Oppositionsparteien versagte die neu geschaffene Wahlbehörde die Zulassung - zum Beispiel, weil angeblich Unterschriften gefälscht worden seien. Andere kremlkritische Parteien wie Jabloko sind zwar zugelassen, werden es aber nicht über die neu errichtete Sieben-Prozent-Hürde schaffen. Das dürfte nach aktuellen Umfragen nur dem Einigen Russland und den - inzwischen ebenfalls lammfrommen - Kommunisten gelingen. Selbst wenn es eine dritte Partei, zum Beispiel die des nationalpopulistischen Politclowns Wladimir Schirinowski in die neue Duma schaffen sollte, ist eines absehbar: Der Kreml wird sich mit der überwältigenden Mehrheit seiner Partei Einiges Russland eine Stimmenburg aufbauen, mit der sich sorglos Gesetzgebung machen lässt. Den Entscheidungsfindungsprozess revolutioniert das allerdings wenig. Bereits in der bisherigen Duma ist Gesetzgebung vor allem Sache der Ministerien und der Präsidialverwaltung, die ihre Gesetze in der Duma nur noch lesen lassen. Die Opposition war stets zu schwach, um dagegen wirksam aufbegehren zu können. Das nach neuem Recht gewählte Legislativorgan wird sich vom bisherigen allerdings dadurch entscheiden, dass Opposition überhaupt nicht mehr stattfindet. Der Kreml schafft sich mit der neuen Duma ein legislatives Puppentheater.
ENDE