Russland

Tempo, Glück und Bargeld

Ohne geht es nicht bei der Jagd nach einer Wohnung in Moskau / Mietpreise explodierenDer Herbst ist in Moskau traditionell Umzugszeit. Viele Russen suchen vor der kalten Jahreszeit noch Arbeit in der Stadt und brauchen dafür einen festen Wohnsitz. Andere wollen einfach eine warme Bleibe mieten, in der es sich gemütlich überwintern lässt. Doch kurz vor dem Wintereinbruch erreichen die Mietpreise in der russischen Hauptstadt Rekordhöhen. Allein im September sind die Quadratmeterpreise gegenüber Juli um ein Viertel gestiegen. Dabei schweben die Mieten ohnehin schon in astronomischen Höhen. Eine saubere Zwei-Zimmer-Wohnung am Stadtrand ist unter 600 Euro nicht mehr zu haben. Wer sich das nicht leisten kann, wird aus der Stadt herausgedrängt.In Russland funktioniert schon die Suche nach einer Wohnung nach eigenen Gesetzen. Im Grunde ist es keine Suche, sondern eine Jagd. Wer erfolgreich sein will, muss schnell sein und mobil. Da letzteres im Zwölf-Millionen-Moloch Moskau nahezu unmöglich ist, gehört außerdem eine ganze Menge Glück dazu. Und natürlich ein bis fünf Makler, ohne die Neuankömmlinge sowieso keine Chance haben. Wenn einer von ihnen anruft, muss es flott gehen: Schnell in die Metro, in einen x-beliebigen Stadtteil fahren, und hoffen, dass der Makler wirklich da ist. Mit etwas Glück ist die Wohnung noch nicht vermietet. Wer sie haben will, muss sofort drei Monatsmieten auf den Tisch legen – eine für den Makler, zwei für den Vermieter.Ein vertraglich geregelter Einzug zu Beginn des nächsten Monats? Auf so etwas lassen sich russische Vermieter nicht ein. Müssen sie auch nicht. Der Bestand an Mietwohnungen in der Hauptstadt ist dermaßen knapp, dass das Prinzip von Angebot und Nachfrage ausschließlich zugunsten des Vermieters wirkt. Nach Schätzungen von Experten gibt es in der Hauptstadt nur etwa 200.000 Mietwohnungen – eine sehr geringe Zahl für eine Metropole mit zwölf Millionen Einwohnern. Eine höhere Nachfrage wirkt sich daher unmittelbar auf die Preise aus. „In Russland wird der Wohnungsmarkt nicht vom Staat oder von der Stadtverwaltung reguliert“, kritisiert Dmitrij Janin von der russischen Verbraucherzentrale „Konfop“. Politische Hilfsmaßnahmen wie Wohnungsbauprogramme sind seiner Meinung auch gar nicht gewollt.


Verbraucherschützer Dmitrij Janin
Florian WillershausenHoch bezahlte Fachkräfte kommen trotz der teuren Mieten in die russische Hauptstadt. Für Geringverdiener aus Zentralasien, die von den Moskauer Behörden oft schikaniert werden, sind die exorbitanten Mietpreise dagegen eine hohe Barriere. „Viele Zugezogene mit niedrigem Ein-kommen teilen sich ein kleines Zimmer mit fünf oder sechs Personen“, so Verbraucherschützer Janin.Die Preisexplosionen auf dem Moskauer Mietmarkt lassen sich in der Statistik nachlesen, die die Makler von „Mijel Arenda“ aufgestellt haben: Ein Zimmer mit Küche und Bad kostete im September dieses Jahres 547 Euro, das sind 18 Prozent mehr als im Vorjahresmonat. Eine Zwei-Zimmer-Wohnung ist im Durchschnitt für 659 Euro zu mieten, was 28 Prozent über dem Septemberwert des Vorjahres liegt. Wohnungen mit drei Zimmern sind sogar um 31 Prozent auf 825 Euro im Durchschnitt gestiegen.Diese Preise beziehen sich allerdings lediglich auf Wohnungen der günstigeren „Ekonom-Klasse“. Sie liegen normalerweise weit ab vom Zentrum, wurden zu Zeiten Stalins oder Chruschtschows gebaut und sind nicht renoviert – Abstriche in Sachen Komfort, die ein Neu-Moskauer in der Regel machen muss. Denn bei schicken Geschäftswohnungen in der Nähe des Zentrums beginnen die Preise erst bei 1.500 Euro.
In Moskau gibt es viel zu wenige Mietwohnungen, die Preise explodieren.
Florian WillershausenDie alteingesessenen Moskowiter hingegen haben es meist nicht nötig, sich eine Wohnung zu mieten. Sie leben in Sowjet-Altbauten aus den 50er oder 60er Jahren, die ihnen Jelzin Anfang der 90er überlassen hat. In den eigenen vier Wänden leben oft Familien mit zwei Kindern plus Großmutter – vereint auf 60 oder 70 Quadratmetern. Um das teure Leben in Moskau finanzieren zu können, quetschen sich manche Familien in zwei Stuben und vermieten das dritte Zimmer an Fremde. Manchmal rufen auch Makler an und überreden die Wohnungseigentümer, für ein paar Monate die Zimmer unterzuvermieten. Die Daten darüber, wer wo in wie vielen Zimmern wohnt, kann man auf dem Moskauer Schwarzmarkt auf CD kaufen.Doch auch für die Moskauer Wohnungseigentümer steigen die Kosten, denn Russland hat insgesamt mit hohen Preissteigerungen zu kämpfen. Zwar sind Brot, Mehl, Butter und andere Grundlebensmittel immer noch günstig zu haben, doch Importwaren sind inzwischen genauso teuer wie in westeuropäischen Ländern. Besonders stark steigen die Kosten für öffentliche Verkehrsmittel, auch die Strompreise werden angehoben.Nach offiziellen Angaben wird sich die Inflationsrate in diesem Jahr auf etwa 10 Prozent belaufen. Verbraucherschützer Janin rechnet hingegen mit bis zu 25 Prozent. Doch ausgerechnet die allgemeine Verteuerung könnte seiner Meinung nach den gewaltigen Anstieg der Mieten bremsen: „Die Inflation wird immer mehr Familien dazu zwingen, enger zusammen zu rücken und freie Zimmer zu vermieten. Dadurch könnte sich der Markt etwas entspannen.“Die meisten Moskauer Angestellten ohne Eigentumswohnung suchen gar nicht erst nach einer Wohnung in der Hauptstadt, sondern nehmen sich Quartier in den Städten des Moskauer Dunstkreises. Das zwingt sie zum täglichen Pendeln. „Anderthalb Stunden zur Arbeit sind für viele Russen völlig normal“, sagt Janin, „es gibt Leute, die bis zu drei Stunden zur Arbeit unterwegs sind.“ Dafür können sie sich dann eine große Wohnung für einen Bruchteil der Moskauer Preise mieten.ENDEFlorian Willershausen


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