50 Jahre Sputnik-Schock
Am 4. Oktober 1957 eröffnete Russland das Raumfahrtzeitalter / Sergej Chruschtschow erinnert sichMoskau (n-ost) - Am 4. Oktober 1957 hob eine 83 Kilogramm schwere, Medizinball große Aluminiumkugel mit einer sowjetischen Rakete vom sandigen Boden der kasachischen Steppe ab. Die 274 Tonnen schwere Rakete mit der Bezeichnung R-7 setzte einige Minuten später den ersten Satelliten in der Erdumlaufbahn aus. Es war der Beginn der Raumfahrtgeschichte.In den Geschichtsbüchern steht bis heute dieses Ereignis im Jahr 1957 unter der Überschrift "Sputnik-Schock", denn das gleichmäßige "Piep-Piep-Piep", das der Sputnik aussendete und das weltweit in jedem Radiogerät hörbar war, versetzte die Welt in Staunen. Wie der Sohn des damaligen Generalsekretärs Nikita Chruschtschow und ehemaliger Raketeningenieur, Sergej Chruschtschow, berichtet, hat der Sputnik-Start selbst die sowjetische Parteiführung beeindruckt: Auch sie wusste schlichtweg nicht, was sich hier tat.
Sergej Chruschtschow
Simone Schlindwein
"In jenen Tagen im Oktober war ich mit meinem Vater in Kiew auf einer Sitzung mit den führenden Parteifunktionären", erzählt der heute 72-jährige Chruschtschow, der als Professor in den Vereinigten Staaten unterrichtete und 1999 US-Bürger wurde. Im Sputnik-Jahr war er Student der Ingenieurswissenschaften und im letzten Jahr seines Studiums. Später stieg er selbst zum führenden Raketentechniker im sowjetischen Raumfahrtprogramm auf. Chruschtschow erzählt, dass es schon sehr spät am Abend gewesen sei und die Besprechungen sich fast bis Mitternacht hingezogen hätten. Die Diskussionen hätten sich um Ernteausfälle, fehlende Traktoren und die Erfüllung der Quoten gedreht."Plötzlich rief der Chefingenieur des Raketenprogramms, Sergej Koroljow, vom Raketenschießplatz in Kasachstan an und berichtete meinem Vater vom erfolgreichen Start des ersten Satelliten", erzählt Chruschtschow und ist wieder so aufgeregt wie damals. "Gleich darauf schalteten wir das Radiogerät ein und man konnte das Piep-Piep des Sputnik hören." Seine unterlaufenen Augen funkeln listig und er fährt fort: Keiner der Parteikader habe richtig begriffen, was überhaupt ein Satellit sein soll. "Sie hatten ja keine Ahnung, es war ja ein Geheimes Programm gewesen!", lacht Chruschtschow. Sofort habe sein Vater angefangen, über den Weltraum zu sprechen und darüber, welche entscheidende Rolle die Raketen in Zukunft für die Verteidigung der Sowjetunion haben würden. Doch "die Parteifunktionäre haben nichts kapiert", sagt er und zuckt abfällig mit den Schultern. Sie seien mehr über ihre alltäglichen Probleme besorgt gewesen und hätten auch nicht eingesehen, warum der Vater das Thema gewechselt hatte. "Sie wollten lieber über die fehlenden Traktoren reden!" Auf die Frage, wann die politische Führung der Sowjetunion die Tragweite des Ereignisses erkannt habe, winkt er mit einer Handbewegung ab: "Weder mein Vater noch der Chefkonstrukteur Koroljow haben vor dem Start geahnt, was der Sputnik weltweit bewirken würde." In den Vereinigten Staaten wurden schon am nächsten Tag die ersten Titelseiten über den Start des Sputniks veröffentlicht. "Es war eine regelrechte Top-Story im Vergleich zu der kleinen Meldung in der Prawda, die einfach nur ein paar technische Daten über Gewicht und Umlaufbahn des Satelliten druckte", sagt Chruschtschow und klingt dabei etwas enttäuscht. "Der Sputnik stand auf der Titelseite der New York Times, und bei uns?" Heute, 50 Jahre später, ist alles anders. Russland rüstet sich schon rechtzeitig für die Feierlichkeiten im Oktober: Das Kosmonauten-Museum in Moskau wird gerade frisch renoviert und diese Woche findet in der Nähe von Moskau die internationale Luft- Raumfahrtausstellung MAKS 2007 statt, auf welcher sich Russland wieder als führende Nation im Weltall darstellen will. Die Russische Akademie der Wissenschaften hat das 50-jährige Jubiläum des Raumfahrtzeitalters bereits im Januar mit einer großen Medienkampagne eingeläutet, seitdem jagt ein Jahrestag den nächsten: Im Januar wurde der 100. Geburtstag der Raketeningenieurs Sergej Koroljow gefeiert, er war der Vater des Sputniks. Gleichzeitig jährt sich in diesem Jahr der 150. Geburtstag eines anderen großen Weltraum-Forschers: Konstantin Ziolkowski. Er wird in Russland als der Urvater der Raumfahrt gefeiert, weil er - angeregt von den ersten russischen Science-Fiction Erzählungen und von Jules Vernes Romanen - Ende des 19. Jahrhunderts begann, selbst Geschichten über interplanetare Raumfahrt zu schreiben. Er stellte in Russland die ersten Berechnungen an, wie viel Schubkraft eine Rakete benötigt, die Atmosphäre zu verlassen.Auch der Weltraumbahnhof Baikonur in der kasachischen Steppe wird in diesem Jahr 50 Jahre alt. Im Frühjahr 1957 wurde dort der erste Versuch unternommen, die 34 Meter große R-7-Rakete zu starten. Sie hatte zur Sicherheit nur eine Attrappe eines nuklearen Sprengkopfes an Bord. Nach einer Reihe fehlgeschlagener Raketenstarts klappte erst der dritte Versuch: Am 15. Mai 1957 hob der 398 Tonnen schwere Koloss zum ersten Mal vom Starttisch ab. Doch der Jungfernflug der R-7 dauerte nur 300 Sekunden. Die Rakete schlug keine 300 Kilometer von ihrem Startpunkt entfernt in der kasachischen Steppe auf.
Erst die achte Rakete stellte am 12. August 1957 die Flugfähigkeit unter Beweis: Sie kam rund 6500 Kilometer weit. Wie vorgesehen setzte die Rakete den integrierten Sprengkopf-Dummy in einer Höhe von zehn Kilometern über der Halbinsel Kamtschatka aus. Auch dieser 50. Jahrestag wurde in Moskau groß begangen.Noch im selben Jahr wie der Start der ersten Interkontinentalrakete mit einem Sprengkopf an Bord hatte die sowjetische Führung beschlossen, im Norden Russlands einen weiteren Raketenstartplatz zu bauen. Von dieser Station am Ufer des Weißen Meeres aus konnten die Atomraketen über den Nordpol hinweg die Vereinigten Staaten erreichen. Der Raketenstartplatz unter dem Namen Plesetzk wird bis heute für den Start von militärischen Raketen und Satelliten benutzt. Am 12. Juli dieses Jahres trafen sich auch dort die obersten Generäle der russischen Streitkräfte, um den Jahrestag zu feiern. Präsident Wladimir Putin war angereist und hat feierlich im Beisein der Veteranen ein Vertrag unterschrieben, der bis 2015 die komplette Restauration des Kosmodroms vorsieht: Neue Straßen und Unterkünfte für die Techniker müssen gebaut werden, das Kontrollzentrum soll modernisiert, Schulen und Kindergärten wieder instand gesetzt werden. Außerdem soll es zwei neue Raketen-Startrampen für die Angara und die Soyuz-2 geben. Auch hier hat Putin die Gelegenheit genutzt, zum 50. Jubiläum der Raumfahrt-Ära, eine neue Etappe der russischen Raumfahrt zu verkünden.So blickt man in Russland gebannt voraus, wie der 4. Oktober 2007 als Geburtstag des Sputniks begangen wird. Und auch Sergej Chruschtschow ist gespannt: "In Russland verändert sich die Geschichtsschreibung schnell. Wir werden sehen, was am 4. Oktober in den Zeitungen geschrieben steht." ENDE----------------------------------------------------------------------------------
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