Ein Schwabe im russischen Knast
Egor Schneider handelte mit gepanzerten Mercedes-Limousinen - jetzt soll er wegen Schmuggels neun Jahre absitzen
Moskau (n-ost) - Als Spätaussiedler aus der ehemaligen Sowjetunion war der Geschäftsmann Egor Schneider Anfang der 90er Jahre ins Schwabenland gekommen. Er träumte davon, mit seinen russischen Kontakten das große Geld zu verdienen. Doch diese brachten ihn zurück: ins russische Gefängnis. Seit zwei Jahren sitzt der Deutsche nun schon in einer engen fensterlosen Zelle in der südrussischen Provinzstadt Astrachan. Weitere sieben Jahre liegen noch vor ihm. Es sei unerträglich heiß, er habe kaum Luft zum atmen, die 20 Quadratmeter müsse er sich mit zwölf weiteren Inhaftierten teile, schreibt er in einem Brief. In der Wolga-Stadt steigen die Temperaturen im Sommer auf über 45 Grad. Seine Frau hat Angst, dass er die Zeit nicht überleben wird: Schneider, 51, hat Herzprobleme, musste mehrfach ärztlich behandelt werden. Die Haftbedingungen im russischen Gefängnis seien unmenschlich, erklärt auch sein Anwalt.
In einem Verfahren vor dem Bezirksgericht in Astrachan wurde Schneider im Mai dieses Jahres zu insgesamt neun Jahren Haft verurteilt. Dann ging der Fall in Revision. Vergeblich: Im Ende Juli bestätigte das Gericht das Urteil vom Mai. Die Staatsanwaltschaft und die Ermittler der Geheimdienstes FSB werfen Schneider vor, er habe die Zollgebühren für die von ihm nach Russland exportierten Autos nicht bezahlt. Das Urteil lautet: Schmuggel und Hinterziehung der Zollgebühren in insgesamt acht Fällen. Außerdem wird er beschuldigt, Anführer einer kriminellen Schmuggler-Organisation zu sein. Das verschärft nach russischem Recht den Tatbestand erheblich. Dass er neun Jahre für ein paar Zollverstöße sitzen muss, begründet das Gericht damit. So steht es in dem 67-seitigen Urteil.
Das Verfahren, der Prozess, das Urteil – das sei alles eine gezielte Kampagne des russischen Geheimdienstes FSB, vermutet Anwalt Petr Kirejew. Auch Schneiders Frau Tatjana glaubt nicht, dass es im Prozess gegen ihren Mann mit rechtsstaatlichen Methoden zugehe. Über eine Angestellte und Freundin der Familie lässt sie unmittelbar nach der Urteilsbestätigung ausrichten, dass sie weiterkämpfen werde. Eine erneute Revision sei geplant. Auch das Import-Export-Geschäft, das der Aussiedler aus Kasachstan vor 14 Jahren in der Nähe von Stuttgart aufgebaut hat, wolle sie weiterführen.
Die Schneider GmbH in Schwäbisch-Gmünd ist spezialisiert auf Delikatessen: Sie importiert Kaviar, Zander und Barsch aus Russland und beliefert damit Kunden in ganz Europa. Das Geschäft lief jahrelang gut. Schneider verdiente viel Geld damit, erweiterte seine Firma. Ein neuer Geschäftszweig wurde dem Kaufmann zum Verhängnis: Durch den Handel mit gepanzerten Fahrzeugen geriet er in Kontakt mit dubiosen Kreisen.
Das ist kein Wunder. Gezielt spricht die Internetseite der Schneider GmbH solche Kunden an, die kugelsichere Mercedes G- und S-Klasse Limousinen nicht nur dringend benötigen, sondern sich auch leisten können: Für explosionssichere Tanks und kugelsichere Windschutzscheiben der Kalaschnikow-Klasse wird dort Werbung gemacht. Ideal für militärische Krisengebiete seien vor allem die Mercedes-Geländewagen. „Außerdem können wir Ihnen auch Servicewerkstätten, vor allem in Osteuropa, empfehlen“, heißt es dort. Die Webseite ist ebenso auf Russisch zugänglich. Da Schneider ursprünglich aus Kasachstan stammt, fließend Russisch spricht und mit den osteuropäischen Geschäftsgebaren vertraut ist, muss er gewusst haben, mit wem er sich da einlässt.
Ein eben solch dubioser Kunde aus Russland, Michail Schljanow, bestellte 2004 einen gepanzerten Mercedes S-600 im Wert von knapp 400.000 Euro. Persönlich überführte Schneider die Limousine gemeinsam mit seiner Frau Tatjana nach Moskau. „Ich und Egor haben alle Zollformalitäten erfüllt“, sagt Tatjana Schneider, es habe an der Grenze keine Ansprüche von Seiten der russischen Zollbehörden gegeben. Das Urteil besagt jedoch, Schneider habe die Zoll-Dokumente gefälscht, um nicht bezahlen zu müssen. Hingegen meint der Anwalt, laut russischem Zollrecht müsse der Käufer den Wagen verzollen. Doch das habe er nicht getan. Im Nachhinein, so der Anwalt Kirejew, entpuppte sich Schljanow als ein Mittelsmann für einen einflussreichen Russen. „Wer das ist, das hat man nie herausgefunden“, sagt Kirejew.
Außerdem wird Schneider ein zweites Importgeschäft zur Last gelegt: Ein russischer Geschäftsmann, Denis Redtschenko von der Firma „Russky Cholod“, orderte bei der Schneider GmbH 30 Kühltransporter. Eine Spedition übergab die Transporter der Marke Renault Master im finnischen Hafen Hamina dem neuen Eigentümer Redtschenko. Doch dieser wurde kurz darauf von russischen Sicherheitsbehörden festgenommen. Sie werfen ihm vor, sechs dieser Transporter bei der Einfuhr nach Russland nicht ordnungsgemäß verzollt zu haben. Dabei habe sich Redtschenko bei Schneider als Fachmann für russisch Zollgesetze vorgestellt, lässt Schneider über seinen Anwalt ausrichten.
Daraufhin wurde Schneider von den Ermittlern der Wirtschaftsabteilung des Geheimdienstes FSB zu Redtschenkos Verhandlung vorgeladen. Fest davon überzeugt, als Zeuge aussagen zu müssen, flog Schneider im Mai 2005 nach Moskau. Direkt am Flughafen wurde er von Geheimdienstleuten empfangen und festgenommen. „Sie verhörten mich die ganze Nacht“, schreibt Schneider in seinem Brief aus dem Gefängnis. Plötzlich galt er als einer der beiden Hauptangeklagten im Zollbetrugs-Prozess.
Hier gehe etwas nicht mit rechten Dingen zu, argumentiert Schneiders Anwalt. Der Vorwurf, Anführer einer Schmuggelbande zu sein, sei seiner Meinung nach unhaltbar. Noch dazu, weil der einzige Belastungszeuge, der dies bestätigen könne, Redtschenko, nie zu den Verhandlungen erschienen war. Letztlich haben die Ermittler vom FSB dem Gericht eine offizielle Todesurkunde Redtschenkos vorgelegt. Ob das Dokument echt sei, lässt sich jedoch nicht bestätigen, meint Kirejew.
Inzwischen ist Tatjana Schneider so verzweifelt, dass sie Briefe an Bundeskanzlerin Angela Merkel und Präsident Wladimir Putin schreibt. „Ich glaube, dass Putin nicht weiß, was die Geheimdienste hinter seinem Rücken anstellen“, erklärt sie. Doch um der Korruption im russischen Zoll Herr zu werden, hat Putin die Zollbehörde direkt der Regierung unterstellt. Als neuen Zollchef hat er seinen alten Geheimdienstfreund Andrej Beljaninow eingesetzt, den früheren Direktor der Waffenexportagentur Rosoboronexport.
Mittlerweile hat sich auch die deutsche Botschaft eingeschaltet und fordert, Schneiders Haftbedingungen zu verbessern. Insgesamt seien zehn Verbalnoten an das russische Außenministerium geschickt worden, bestätigt das Auswärtige Amt. Ein Botschaftsvertreter habe Schneider mehrfach im Gefängnis besucht, ein deutscher Arzt habe ihn vergangene Woche behandelt. Doch mehr könne auch die Konsularabteilung nicht erwirken. Hier gilt die Unabhängigkeit der russischen Justiz, auch wenn der Aussiedler Schneider deutscher Staatsbürger ist.
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Simone Schlindwein