Die Heldenfabrik Mosfilm
Das Hollywood des Ostens ist heute wieder international konkurrenzfähigMoskau (n-ost) - Das riesige Gelände auf den Sperlingsbergen in Moskau ist das Hollywood des Ostens. In den 13.000 Quadratmeter großen Mosfilm-Studios sind Kulissen aus allen Jahrhunderten aufgebaut: sibirische Dörfer, orthodoxe Klöster, Schlachtenszenen aus dem Zweiten Weltkrieg. Besonders beeindruckt der Armee-Fuhrpark, denn hier stehen mehr Panzer als manche kleine Staaten im Krieg aufwarten könnten. Und auch die Requisitenausstattung ist gigantisch: Mehr als eine Million Einzelstücke zählt die Sammlung. Allein 800.000 Kostüme lagern im Fundus.
Mosfilm Generaldirektor Schachnasarow
Simone Schlindwein
"Vor zehn Jahren war alles in einer schlimmen Verfassung", sagt Karen Schachnasarow, Generaldirektor des Staatsbetriebes Mosfilm. Die Filmproduktion habe damals fast stillgestanden. Schritt für Schritt musste alles erneuert werden: die technische Ausrüstung, Kameras, Schneidegeräte, Tonstudios. "Nun ist die Modernisierungsphase abgeschlossen", sagt Schachnasarow stolz. Doch bei der immer noch staatlichen Filmproduktion sind nicht alle so zufrieden wie er. "Heute jagen wir dem Geld hinterher", sagt Regisseur Rodion Nachapetow, während er beaufsichtig, wie die Techniker seinen Film "Die Kontamination" digital nachvertonen. "Früher kam das gesamte Geld für die Filmproduktionen vom Staat. Heute müssen sich die Produktionen zum Teil selbst finanzieren. Wir sind unabhängiger, müssen uns aber viel mehr darum kümmern, wo das Geld herkommt." Das habe die Situation in der Filmbranche nicht leichter gemacht.Bis heute ist Mosfilm der größte Filmproduzent Europas. 80 Prozent der russischen Fernseh- und Kinofilme werden in den 13 Studios gedreht. Dazu kommen Werbespots für das Fernsehen, aber auch Musikclips von Stars der russischen Pop-Szene. Insgesamt produzierte Mosfilm seit den 20er Jahren mehr als 2.500 Filme. Sämtliche Filmklassiker der Sowjetzeit entstanden hier. Darunter der berühmte Kassenschlager aus dem Jahr 1925 "Panzerkreuzer Potemkin" von Sergej Eisenstein, die Musical-Komödie "Wolga Wolga" von 1938 - das sowjetische Pendant zu Charly Chaplins Slapstickfilmen - oder "Wenn die Kraniche ziehen" von Michail Kalatozow. Dieses Kriegsdrama gewann 1957 die Goldene Palme auf dem internationalen Filmfestival in Cannes.Mosfilm war in der Sowjetunion ein wichtiges Herrschaftsinstrument. Die staatliche Filmproduktion betrieb staatliche Propaganda vom Feinsten: Kinofilme erreichten fast alle Menschen und perfektionierten so die totalitäre Herrschaft, vor allem unter Stalin. Mitunter hat sich der Diktator sogar direkt in die Filmproduktion eingemischt, hat Drehbücher rezensiert und die Schauspieler, die ihn als Oberbefehlshaber der Roten Armee spielen sollten, selbst ausgewählt. Derzeit werden in den Mosfilm-Studios diese alten Sowjetstreifen mit modernsten Methoden digitalisiert. Mehr als 50 alte Klassiker sind in den vergangenen Jahren mit der neuen Computertechnik nachbearbeitet worden. In neuer Bild- und Tonqualität füllen sie wieder die Abendprogramme im Fernsehen. Im Moment arbeiten die Techniker an Sergej Bondartschuks Verfilmung "Krieg und Frieden". Bewusst setzt Russlands Führung damit ein Gegengewicht zu den US-amerikanischen Blockbustern, die noch immer den Hauptteil der Filme ausmachen, die in russischen Kinos laufen. Die Einnahmen aus US-Filmen investiere der Verleih in den Bau neuer Kinosäle. So diene das Ausland jetzt dem Aufschwung des vaterländischen Lichtspiels, sagt Michail Schwidkoi, Chef der Bundesagentur für Kinematografie.Im heutigen Russland, das sich wie Präsident Wladimir Putin sagt, seiner Vergangenheit nicht schämen soll, sind Kriegsfilme wieder äußerst beliebt. "Das russische Kino hat sich nicht weit vom sowjetischen entfernt", bestätigt der von Putin eingesetzte Mosfilm-Generaldirektor Schachnasarow. Auch wenn der Staat Film-Budgets nur noch mit 30 Prozent subventioniert, produziert Russlands Filmindustrie auch heute noch eine Heldengeschichte nach der anderen. Aufwendige Werbung und staatliche Fördermitteln von 100 Millionen Euro lassen Russlands Filmbranche boomen. In wenigen Jahren, so Schwidkoi, werde es in Russland über 2000 moderne Kinos geben. Russen sollen sich für russische Helden begeistern. Dafür gebe es einen Markt, sagt Schachnasarow: "Krieg ist heute in Russland wieder in Mode gekommen."Ende--------------------------------------------------------------------------
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