Russland

Erbeutetes Gold als heißes Eisen

Moskau (n-ost) - Schmuck, Spangen, Schwertbeschläge: Unter den Goldschätzen, die zurzeit in den Vitrinen des Moskauer Puschkin-Museums glänzen, finden sich 700 brisante Stücke - Beutekunst, die 1945 von der Roten Armee aus Berlin abtransportiert wurde. Mit der Ausstellung "Die Zeit der Merowinger - Europa ohne Grenzen" gelangen nach 62 Jahren verschollen geglaubte Kunstgüter erstmals wieder an die Öffentlichkeit und werden gemeinsam mit Kunstwerken aus Deutschland ausgestellt. Was 1945 getrennt wurde, ist jetzt in Moskau erstmals wieder vereint - doch nur für kurze Zeit. Der diplomatische Eiertanz um die Beutekunst geht weiter.  "Nach Golde drängt, am Golde hängt doch alles", klagt Gretchen in Goethes "Faust". Des Goldes wegen zog es unlängst auch eine deutsche Delegation aus Museumsleuten und Politikern nach Moskau. Der Grund: eine Ausstellung, die russische und deutsche Wissenschaftler gemeinsam auf die Beine gestellt hatten. "Die Zeit der Merowinger - Europa ohne Grenzen" ist eine Sensation. Darin waren sich beide Seiten einig. Unter den 1 300 Exponaten im Puschkin-Museum der Schönen  Künste befinden sich 700 Beutestücke, die 1945 aus Deutschland entwendet wurde. Zum ersten Mal seit 62 Jahren sind sie zu sehen. Bevor die Rote Armee die Schätze in die damalige Sowjetunion verbrachte, gehörten sie zum Bestand des Berliner Museums für Vor- und Frühgeschichte. 
Weil sie nach deutscher Ansicht nach wie vor den Berlinern zustehen, ist der Umgang mit dem Goldschmuck der Merowinger auch ein Gradmesser der deutsch-russischen Kulturbeziehungen. Das Politikum Beutekunst wird derzeit pragmatisch angegangen. Wer zur Eröffnung der Ausstellung in den Weißen Saal des Puschkin-Museums gekommen war, wurde Zeuge eines diplomatischen Eiertanzes: Erbitten ohne einzufordern, loben ohne zu verharmlosen, lautete die Devise der Deutschen. "Die Ausstellung ist ein Höhepunkt der russisch-deutschen Kulturbeziehungen", sagte Bernd Neumann, Beauftragter der Bundesregierung für Kultur und Medien. Neben dem Puschkin-Museum und dem Historischen Museum in Moskau beteiligten sich an dem Projekt auch die Eremitage in St. Petersburg sowie das Berliner Museum für Vor- und Frühgeschichte, das mehr als 200 Exponate als ergänzende Leihgabe zur Verfügung stellte.
Münze aus der Merowinger-ZeitDie "kriegsbedingt verlagerten" Exponate, wie es im Katalog heißt, bewegen die Gemüter in Deutschland und Russland. Darüber schreiben auch die vier teilnehmenden Museumsdirektoren. Ihre Behandlung bedürfe deshalb "einer besonderen Sensibilität". Schon manchem Journalisten fiel es schwer, die nötige Distanz zu wahren. Warum er denn überhaupt an dieser "schmerzhaften Veranstaltung" teilnehme, fragte etwa eine deutsche Journalistin den Kulturstaatsminister Neumann.Die russische Seite gab sich selbstgenügsam. "Wir haben uns für einen vernünftigen und pragmatischen Weg entschieden", sagte Michail Schwydkoj, der Leiter der russischen Kulturbehörde. "Wir können auch weiterhin Diskussionen über verbrachte Kulturgüter führen." Wichtig sei jedoch, das Publikum nicht darunter leiden zu lassen. "Ich glaube, dass ist nicht weniger wichtig oder sogar wichtiger als die Frage, wer die Eigentumsrechte an den Kulturgütern besitzt." In Russland gelte eben die russische Gesetzgebung, in Deutschland die deutsche, so Schwydkoj, aber das solle nicht daran hindern, die Kulturbeziehungen auszubauen. "Ich glaube, die Ausstellung ist ein Sieg der Vernunft."Sokolow, der russische Minister für Kultur und Massenkommunikation, sieht die Ausstellung als "ein eindrucksvolles Beispiel fruchtbarer Zusammenarbeit". Doch all die schönen Worte können nicht über den Graben unterschiedlicher Gesinnung hinweg täuschen. Die glänzenden Kunstschätze der Merowinger werfen nicht nur Licht auf eine der fundärmsten Epochen der Geschichte, sondern auch auf dunkle Momente in den bilateralen Beziehungen. "Die Ausstellung führt die absurde Zerrissenheit der Sammlung vor Augen", meint Klaus-Dieter Lehmann, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. "Sie ruft ins Bewusstsein, wie bedeutsam es für unser kulturelles Erbe ist, dass wir weiterhin die Rückführung unserer alten Bestände einfordern." Viel zu lange seien Schätze in geheimen Depots verborgen und somit der wissenschaftlichen sowie öffentlichen Wahrnehmung und Diskussion entzogen worden. Er selbst verspüre Gefühle von Glück und Trauer beim Gang durch die goldene Pracht, bekannte Lehmann vor Journalisten.Auch Staatsminister Neumann macht keinen Hehl aus der deutschen Position: "Wir müssen erreichen, dass Objekte, die zum Weltkulturerbe gehören, der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Das ändert aber nichts an der rechtlichen Situation in Russland und Deutschland." 
Die Bundesregierung sieht das umstrittene Merowinger-Gold als ihr Eigentum und beruft sich dabei auf die Haager Landkriegsordnung von 1907. Diese verbietet es, im Krieg kulturelle Beute zu machen. Darüber hinaus hatten sich beide Länder im deutsch-sowjetischen Nachbarschaftsvertrag vom 9. November 1990 und im deutsch-russischen Kulturabkommen vom 16. Dezember 1992 darauf geeinigt, "dass verschollene oder unrechtmäßig verbrachte Kunstschätze und Kulturgüter, die sich auf ihrem Territorium befinden, an den Eigentümer oder seinen Rechtsnachfolger zurückgegeben werden". Doch 1998 erließ die Duma ein Gesetz, das sämtliche nach dem Zweiten Weltkrieg aus Deutschland nach Russland verbrachte Kulturgüter zum Eigentum des russischen Staates erklärte.Nach wie vor befinden sich unzählige Kunstschätze aus Deutschland in der russischen Föderation, etwa  der "Schatz von Eberswalde", der größte frühzeitliche Goldfund Mitteleuropas. Entdeckt wurde der knapp 3 000 Jahre alte Schatz 1913, doch kein Fachmann hat ihn bislang unter die Lupe nehmen dürfen. Darüber hinaus fehlen bis heute Kunstschätze wie die germanischen Fibeln aus Almandin, Fürstengeschmeide aus der Bronzezeit oder das Schliemann-Gold. Dieses wurde 1996 aus den Depots geholt und in der Ausstellung "Schliemanns Trojanische Schätze" im Puschkin-Museum präsentiert. "Sehr erfreuliche Entwicklungen" gebe es laut Neumann in Bezug auf die noch in Russland befindlichen mittelalterlichen Marienfenster aus Frankfurt an der Oder, ein Teil wurde bereits 2002 zurückgegeben.Irina Antonowa, der 85-jährigen Direktorin des Puschkin-Museums, stand zur Eröffnung der Sinn nicht nach Gesprächen über den zukünftigen Standort der Merowinger-Schätze. Auf Anfrage einer Journalistin, warum bajuwarisches Silber oder Schmuck aus thüringischen Gräbern für die Russen so wichtig seien, konterte die Herrin der Goldringe und vieler anderer Kostbarkeiten: "Diese Frage hat keinen Zusammenhang mit der Ausstellung." Über deren Schicksal könne man heute nicht entscheiden.Doch auch wenn viele Fragen offen bleiben, man sei "einen großen Schritt weiter", meint Lehmann. Dass die einschlägigen Exponate in der Ausstellung als verlagert gekennzeichnet und die Positionen der deutschen Seite im Katalog ausformuliert sind, wertet man in Berlin zurecht als Erfolg. Doch die Zukunft der Beutestücke bleibt ungewiss. Nach der Ausstellung im Puschkin-Museum Mitte Mai reist das Gold weiter nach St. Petersburg. In Deutschland werden die Merowinger-Schätze nicht zu bestaunen sein. Da die Funde völkerrechtswidrig entwendet wurden, hätte die deutsche Polizei eine klare Aufgabe: sie sofort zu beschlagnahmen.Die Ausstellung "Die Zeit der Merowinger - Europa ohne Grenzen" ist bis zum 13. Mai 2007 im Moskauer Puschkin-Museum der Schönen Kunste zu sehen.
Adresse: Uliza Wolchonka 12, Tel.: +7 495 203 9578, 203 7412. Der Eintritt kostet 200 Rubel (5, 70 Euro) fur Besucher aus Russland und der GUS und 400 Rubel (11,55) fur Auslander. Offnungszeiten: Dienstag bis Sonntag, 10 bis 19 Uhr. Montag Ruhetag.Ende________________________________________________________________Wenn Sie einen Artikel übernehmen oder neu in den n-ost-Verteiler
aufgenommen werden möchten, genügt eine kurze E-Mail an n-ost@n-ost.org. Der
Artikel wird sofort für Sie reserviert und für andere Medien aus Ihrem
Verbreitungsgebiet gesperrt. Das Honorar überweisen Sie bitte mit Stichwortangabe des Artikelthemas an die Autorin.Carmen EllerBelegexemplar (gerne auch als pdf) bitte UNBEDINGT an folgende Adresse:n-ost
Schillerstraße 57
10627 Berlin
n-ost@n-ost.org


Weitere Artikel