Russland

Die Affen sind los

Die „Blauen Nasen“ experimentieren in ihrer Kunst mit faschistischen Symbolen  
In der Moskauer Galerie Marat Gelman sind die Affen los. Einer der Primaten, die es auf die Ausstellungstafeln geschafft haben, gibt gar ein unfreiwilliges politisches Statement ab. Das haarige Modell blinzelt in die Kamera und hinterlässt sein braunes Häufchen – auf einem Hakenkreuz. Wenige Schritte weiter posieren nackte Menschen voller Stolz mit dem Symbol des Schreckens. Auf ein Papier gezeichnet hängt es an ihren Genitalien, während die Arme zum Hitlergruß erhoben sind. In ihrer neuen Ausstellung „Griobanij Faschism“ (Fucking Fascism) nimmt das Künstlerduo „Blaue Nasen“ das Thema Extremismus, vermengt es mit Sexualität und Fäkalhumor, gibt eine Prise Sado-Maso hinzu sowie einen guten Schuss Pathos, und fertig ist die Provokation. Seitdem sich Alexander Schaburow aus Ekaterinburg und Wjatscheslaw Misin aus Nowosibirsk 1999 zur Künstlergruppe „Blaue Nasen“ zusammengeschlossen haben, amüsieren sie mit Schockeffekten. Ironie und Parodie, Satire und Karikatur, groteske Gags und schwarzer Humor – nur wenige im heutigen Russland verstehen sich so sehr auf diese Künste wie die „Blauen Nasen“. Wer danach fragen wollte, ob man über Faschismus überhaupt lachen darf, ist ihnen bereits aufgesessen. Denn komisch ist nicht das Phänomen, sondern dessen Inszenierung.


"Demaskierung moderner Kunst": Exponat der "Blauen Nasen". Foto: Galerie Marat Gelman 

Die in der Ausstellung der „Blauen Nasen“ gezeigten Menschen, die den Faschismus so geil finden wie sich selbst, wirken aufgezogen. Ihre Glieder und Gliedmaßen hängen an dünnen Fäden. Sie sind Marionetten ihrer ideologischen Strippenzieher. „Fucking Fascism“ ist die Vollendung eines Projekts, das die „Blauen Nasen“ bereits 1999 in ersten Aufnahmen angelegt hatten. Inzwischen sind sie damit mehr als eine Modeerscheinung in der Kunstwelt. Längst wandern sie auch international durch Biennalen und Kunstmagazine. Ihre Serie „Küchen Suprematismus“ von 2004 hängt in der Neuen Tretjakow Galerie. Darin verwursten sie Kunstgeschichte und Alltagsleben, legen aus Brot und Wurst geometrische Figuren als Referenz auf die Werke von Kasimir Malewitsch. Mit Vorliebe legen sie den Finger auf die denkbar heißesten Eisen. Schwarze Witwen gehen in ihrer Kunst shoppen, Lenin dreht sich in seinem Grab herum und russische Polizisten küssen sich in einem Winterwald. Schaburow inszenierte seine eigene Beerdigung und Misin zeichnet in einem Video mit seinem Blut ein Selbstporträt. Ende letzten Jahres wurde ihre „Masken Show“ am Flughafen Scheremetjewo, von wo sie nach London gebracht werden sollte, konfisziert – unter Bezugnahme auf das russische Extremismusgesetz. Auf den Aufnahmen tragen die „Blauen Nasen“ Boxer Shorts sowie Masken von Wladimir Putin, George W. Bush und Osama bin Laden und nehmen auf einer Couch eindeutig zweideutige Posen ein.

„Es kann gut sein, dass es in ihrem Projekt überhaupt nur darum geht, den Mythos „Moderne Kunst“ zu demaskieren“, schreibt Ekatarina Degot im Katalog zur Künstlergruppe. Die „Blauen Nasen“ schießen auf Popkultur und Medienwelt. In die Aufnahme eines Affen, der in schwarzen Hosen auf einem Krankenbett steht, halten sie ein Foto des sterbenden Litwinenko, das als Maske dient. Der Todgeweihte als Zirkusnummer der Medienwelt. Extremisten nehmen sie den Wind aus den Segeln, indem sie ihre eigenen Extreme aufbieten: Nackte Demonstranten im Wald, die mit wutentbrannten Gesichtern die russische Flagge oder Transparente mit schwarzen Kreisen und Quadraten hoch halten. Einsamer Protest in der Provinz. Die Komik entsteht aus dem Kontrast, aus der Kombination von Pathos, Nacktheit und inhaltsleerem Protest. Wofür oder wogegen sie auftreten, bleibt offen. Eine Leerstelle, die der Betrachter füllen darf, sofern er mag. 


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