Vom glücklichen Hans in Beslan
In einem Theaterprojekt arbeiten Psychologen mit traumatisierten Kindern in NordossetienMoskau (n-ost) - Wie inszeniert man Theater für Terroropfer? Zwischen Juni 2006 und Februar 2007 arbeiteten Regisseure, Schauspieler und Psychologen mit traumatisierten Kindern in Beslan. Doch manche Opfer warten vergeblich auf Hilfe. Einen Monat nach dem Terroranschlag in der Schule Nr. 1 im September 2004 kam er zum ersten Mal nach Beslan. „Es war sehr schwierig, dorthin zu reisen“, erinnert sich Alexander Kolmanowskij, ein großer Mann mit einem schwarzen Schnauzer. „Die Behörden legten uns viele Steine in den Weg.“ Im Auftrag des russischen Erziehungsministeriums wollten er und seine Frau Natalija sich als Psychologen um die Opfer der Tragödie kümmern. „Man sagte uns, dass es schon viele Leute und Projekte vor Ort gebe, aber als wir selbst in der Schule Nr.1 anriefen, hörten wir, dass überhaupt niemand gekommen sei.“Finanziert wird die Arbeit von der Moskauer Bank, Unterstützung kommt dazu von der dänischen Botschaft. Ziel ist es, den Überlebenden des Terroranschlags ein Stück weit über traumatische Erfahrungen hinwegzuhelfen. „Diese traumatisierten Kinder brauchen das, was auch alle anderen Kinder brauchen – nur viel mehr davon“, erklärt Kolmanowskij. Neben Liebe und Sicherheit sei für sie auch besonders wichtig, keinem Wettbewerbsdruck ausgesetzt zu sein. „Natürlich wollen sie sich mit anderen messen, doch das ist nicht gut für sie. Stattdessen sollen sie erleben, wie sich Menschen gegenseitig helfen. Nur so erfahren sie, bedingungslos geschätzt und geliebt zu werden.“
Das Psychologenpaar Alexander (M.u.) und Natalija (M.o.) Kolmanowskij arbeitete schon in mehreren Projekten mit traumatisierten Kindern und Erwachsenen aus Beslan. Foto: privatNicht jedes Theaterstück für kleine Zuschauer ist auch für traumatisierte Kinder geeignet. „Sehr wichtig ist die vermittelte Botschaft“, so Kolmanowskij. In vielen Stücken gehe es um einen Kampf zwischen Gut und Böse und das Böse werde am Ende seiner gerechten Strafe zugeführt. In den Augen von Kolmanowskij kommt so ein Thema für Beslan nicht in Frage. „Eine Folge des Traumas ist ein erhöhtes Aggressionspotenzial. Die Kinder möchten sehen, dass die Bösen bestraft werden. Am liebsten würden sie das selbst tun, aber das macht sie nervös.“ Es gehe im Gegenteil darum, im Theater „ein Beispiel für Toleranz“ vorzuführen.„Der glückliche Hans“, ein Stück des Dramaturgen Michail Bartenew, entsprach als eines der ausgewählten Stücke den Kriterien. Es erzählt die Geschichte eines reichen und eines armen Helden. „Der Reiche versucht alles, um dem Armen zu schaden, aber am Ende scheitert er und wird selbst arm.“ Da versucht Hans, ihm zu helfen. Das sei nicht naiv. „Hans ist einfach ein sehr gutherziger Mensch und sein Verhalten wird absolut glaubwürdig vermittelt – als Teil seines Charakters.“
In einem anderen Projekt mit dem Hauptstadt-Theater Ten bereiteten im Oktober zehn Familien aus Beslan gemeinsam ein Schattenspiel vor. Die Schauspieler aus Moskau erklärten, wie man mit Licht arbeitet und Figuren bastelt und nach fünf Tagen gab es die erste Vorstellung nach Motiven von Mozarts „Zauberflöte“. „Die Familien wurden toleranter und gingen immer freundlicher miteinander um“, fasst Kolmanowskij das Projekt zusammen.Auch wenn die Kinder mit ihren Eltern Schattenfiguren basteln oder Dialoge studieren – die Schrecken der Vergangenheit sind immer gegenwärtig. „Die Kinder wollen Tag und Nacht über das Erlebte sprechen“, sagt Kolmanowskij. „Sie erzählen den Trainern und anderen Kindern, wie sie an einem Fenster in der ehemaligen Schule Nr.1 saßen. Sie erzählen von der Hitze und einem Terroristen, der den Lauf seines Gewehres auf sie richtete. Sie erzählen von ihrer Angst und davon, wie der Mann mit der Waffe sich irgendwann wieder abwandte.“ Vor fünf Jahren haben Alexander und Natalija die wohltätige Stiftung „Our Life“ gegründet. Arme Menschen sind die zentrale Zielgruppe. „Wir glauben, dass psychische und soziale Probleme miteinander verbunden sind. Deshalb helfen wir den Menschen, auch etwa juristische Beratung, medizinische Hilfe oder eine Arbeit zu finden.“Kolmanowskij streicht nachdenklich um seinen Schnauzer und sagt dann: „Es gibt noch ein anderes sehr schmerzhaftes Thema.“ Dann beginnt er zu erzählen über die Lehrer in der ehemaligen Schule Nr. 1, die jetzt in einem neuen Gebäude arbeiten, das keine Nummer mehr trägt. Eine der Hauptleidtragenden sei die ehemalige Direktorin, Lidija Zalijewa. 52 Jahre lang habe sie sich in ihrem Beruf für die Kinder engagiert. Seit dem Anschlag ist sie annähernd taub, ihr halber Körper verbrannt. „Sie ist in einer sehr schlechten Verfassung.“ Kolmanowskij verstummt und denkt eine Weile nach. „Nach dem Anschlag waren die Lehrer die einzigen Menschen, denen keine Hilfe zuteil wurde. Stattdessen mussten sie sich Sätze anhören wie diesen: Warum lebst du noch, während mein Kind sterben musste?“ Ende----------------------------------------------------
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