Turkmenistan

Blick in die Seele des Despoten

„Keine Fotos!“, heißt es in dem Laden auf dem Basar in Aschgabat, der turkmenischen Hauptstadt. Bunte Bücher stapeln sich hier in den Regalen, auf Turkmenisch, Russisch, Englisch oder Deutsch, mit festlichem Samteinband, als solides Hardcover oder Taschenausgabe. Der Laden verkauft Dutzende Ausgaben der „Ruchnama“ – und sonst nichts.

Saparmurad Nijasow hat seinem Volk mehrere selbst verfasste Bücher hinterlassen. Erst im Oktober erschien das vom Turkmenischen Fernsehen als „brillante Dichtkunst“ gepriesene Werk „Turkmenistan – Meine Freude“. Als dessen Bibel jedoch gilt die Ruchnama, das „Buch der Seele“, das im Jahr 2001 erschienen und seitdem Pflichtlektüre für jeden Turkmenen ist.

Mit dem 400 Seiten starken Werk hat Nijasow seinem Volk einen Moral- und Sittenkodex geschrieben, in dem er praktische Hinweise gibt und Verhaltensleitlinien aufstellt. „Der echte Turkmene muss auf seine Kleidung achten, muss sich angemessen schmücken. Sein Äußeres muss anderen gefallen, denn der allmächtige Allah ist wirklich schön und liebt die Schönen. Der Turkmene muss der Liebe des allmächtigen Allah genügen“, heißt es in der Ruchnama.

Der Samstag, auf Befehl Nijasows und passend zum Buch in „Tag der Seele“ umbenannt, ist im gesamten Land dem Studium der Ruchnama gewidmet. In Schulen wurde die Ruchnama als eigenes Unterrichtsfach eingeführt. Und um zum Studium zugelassen zu werden oder den Führerschein zu erwerben, ist ebenfalls eine Prüfung über die Ruchnama erforderlich. Nijasow galt als exzentrischer Despot, der seinem Volk eine kostenlose Versorgung mit Wasser oder Gas garantierte, jedoch nach seinem Gutdünken auch Erlasse aufstellte, die weltweit immer wieder Verwunderung auslösten. So verbot er Kino- und Ballett-Aufführungen und äußerte sich kritisch über die Angewohnheit der Turkmenen, sich Goldzähne einsetzen zu lassen.

An vielen Stellen klingt die Ruchnama durchweg demokratisch. „Alle Bürger in Turkmenistan“, schreibt Nijasow, „haben das Recht, ihre künstlerische Tätigkeit in allen Bereichen der Kunstfrei auszuüben.  Auf den Gebieten der Wissenschaft, Technik, Kunst, Literatur und Kultur sind sämtliche Rechte der Bürger gesetzlich geschützt.“ Doch die Menschenrechtslage in dem zentralasiatischen Land ist katastrophal. Hinsichtlich der Pressefreiheit rangiert das Land auf einem der letzten Plätze.

Im Oktober hatte Nijasow in Aschgabat den „Palast der Freien Kreativität“ eröffnet, in dem die Journalisten aller staatlichen Medien gemeinsam untergebracht wurden. Nicht so sehr, um die Medien zu kontrollieren, kommentierte das Institute for War and Peace Reporting, das geschehe seit langem, sondern um die Überwachung einfacher zu machen. Wer sich in das staatliche Mediensystem nicht einfügte, musste mit dem Schlimmsten rechnen. Im September war eine turkmenische Journalistin, die seit Juni des Jahres inhaftiert war, auf ungeklärte Weise im Gefängnis ums Leben gekommen. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch geht von einem Mord an der Journalistin aus.

Nach außen präsentierte sich Nijasow jedoch als weltläufig und gebildet. Die Ruchnama verschenkte er bei Staatsbesuchen gerne in der jeweiligen Landessprache. Vom deutschen Unternehmen DaimlerChrysler erhielt dagegen der Präsident ein Geschenk. Im Jahre 2003 schloss der Konzern mit Nijasow einen Kooperationsvertrag. Im Gegenzug übersetzte Daimler Chrysler die Ruchnama ins Deutsche. Die Deutschen hätten mit dem Lesen der Ruchnama die Gelegenheit erhalten, etwas über die tiefsten Gefühle der Turkmenen zu erfahren, so DaimlerChrysler damals gegenüber der Deutschen Welle. Über 1.200 Bibliotheken weltweit hatte Nijasow seinerzeit mit einer Ausgabe der Ruchnama beschenkt. In Deutschland ist das Werk beispielsweise in Freiburg, Göttingen oder München auszuleihen.


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