Deutschland

James Bond in Guben

Am Freitag eröffnet der umstrittene Leichenpräparator Gunther von Hagens im brandenburgischen Guben nach eigenen Angaben das erste „Plastinarium der Welt“. Künftig sollen dort an drei Tagen in der Woche Zuschauer aus aller Welt seinen Mitarbeitern beim Herstellen der Präparate - von der Leiche bis zum fertigen Objekt -  über die Schulter schauen können. Im Gegensatz zu den Einwohnern des polnischen Dorfes Sieniawa Zarska, wo von Hagens im Mai 2005 seine Zelte wegen heftiger Proteste abbrechen musste, heißt ihn in Guben die Mehrheit Willkommen. Am Donnerstag stellte Gunther von Hagens unter großem Rummel seine Werkstatt der Presse vor.

Gigantisches Medieninteresse: Gunther von Hagens eröffnet in Guben das "Plastinarium". Foto: Melanie Longerich

„Hier wird deine Mutter zerschnitten, deine Schwester plastiniert“- mit diesem Schriftzug auf dem Banner formierte sich am Donnerstag der Protest vor dem ehemaligen Rathaus in Guben. Ein kleines Grüppchen im Vergleich zu der Masse schiebender und drängelnder Journalisten, die sich ihren Weg an den Protestplakaten vorbei bahnten. In dem großen Backsteinbau direkt an der Neiße werkelt seit gut vier Monaten der Heidelberger Leichenpräparator Gunther von Hagens an seinem neuesten Projekt: dem „Plastinarium“, „das anatomische Theater der Moderne“ wie er es selbst bezeichnet.

1,5 Millionen Euro will er bis Ende des Jahres noch investieren. In der Werkstatt sollen staunende Zuschauer aus aller Welt künftig seinen Mitarbeitern über die Schulter schauen, wie die Plastinate entstehen. So wie in der Schaufabrik von Volkswagen in Dresden. Nur dass hier keine Autos montiert, sondern Leichen demontiert werden. Ganzkörperplastinate und  Körperscheiben werden hier hergestellt, also senkrechte oder waagerechte Schnitte durch Mensch und Tier. „Die menschlichen Scheiben werden nur Universitäten und Instituten für Forschungs- und Lehrzwecke angeboten, die Tierscheiben kann sich jeder ins Wohnzimmer hängen”, sagt von Hagens und gleitet vorbei an den aufgeregten Fotografen in die abgedunkelten Ausstellungsräume, vorbei an einem gehäuteten Stabhochspringer, Schachspieler bis zum Gorilla, dessen plastinierte Innereien an einem Baum neben ihm pendeln. Die Ausstellung ist für Jugendliche ab 14 Jahren frei zugänglich sein. Kinder erhalten Eintritt mit ihren Eltern. Lehrreich sei die Ausstellung allemal und keinesfalls schockierend, weiß er. Seine Gegner sehen das anders.

Mit 400 Besuchern täglich rechnet der Plastinator. Deshalb auch sein neuester Geistesblitz, unter dem Dach eine Jugendherberge einzurichten. Heute gibt es kein einziges Hotel in der Stadt. Von Hagens ist überzeugt: „Das wird jetzt anders werden.“ Olaf Rieck steht breitbeinig am Rand und beobachtet belustigt die Traube der Fernsehjournalisten und Fotografen, die seinen neuen Arbeitgeber umlagern. Der gelernte Schlosser war vier Jahre arbeitslos, bevor er in Gunther von Hagens seinen neuen Chef fand. Wie 700 andere hat er eine Bewerbung geschrieben, obwohl noch keine Stelle überhaupt ausgeschrieben war. 48 Gubener sind bereits eingestellt, 200 bis 300 sollen es mal sein, wenn die Produktion auf voller Kapazität läuft. Fachkräfte werden die wenigsten sein, fast alle nur angelernt, einst Verkäuferinnen Pleite gegangener Läden in der Stadt oder Angestellte der des nahe gelegenen Chemiefaserwerkes, das nicht lange nach der Wende den Großteil seiner Arbeiter entlassen musste. Heute hat vielleicht noch jeder dritte Einwohner irgendwo Arbeit.

„Eine Chance für mich und die Region“, sagt dann auch Olaf Rieck. Der 43-Jährige wurde mit seinen neuen Kollegen schon an von Hagens Werkstatt in China eingearbeitet wurde. Moralische Bedenken hat er nicht, wie die meisten Gubener. Laut einer Emnid-Umfrage sehen eine große Mehrheit der Gubener in von Hagens die Chance, der schon tot geglaubten Stadt wieder Leben einzuhauchen. Ganz anders als in Polen. Dort hatte der Plastinator unweit der deutschen Grenze in Sieniewa Zarska im Juni vergangenen Jahres seine Zelte wegen heftiger Proteste abbrechen müssen. Waldemar Wróbel bereitet im Schauraum die Entwässerungsbox vor. Dahinter reihen sich, Maschinen zum Laminieren, zur Kunststoffimprägnierung und Silikoninfiltration. Hier wird die Körperflüssigkeit entzogen, da das Wasser durch Aceton ersetzt. Der 46-Jährige Pole arbeitet eigentlich in von Hagens Heidelberger Institut, lernt in Guben jetzt die neuen Kollegen an. Ihm gefällt die Arbeit. Die Bezahlung stimmt: „Über Moral können die Menschen viel reden, wenn sie Geld zum Leben haben.“ Ob mit dem Plastinieren der Leichen nun die Menschenwürde verloren geht oder nicht, ist für Wróbel kein Thema. 

Während er wieder zum Messbecher greift, zieht sein gestikulierender Chef in einem Blitzlichtgewitter an ihm vorbei. Die Mahnwache des „Aktionsbündnis Menschenwürde” vor der Tür, die ihm einen bewussten Kultur- und Tabubruch vorwerfen, um Aufmerksamkeit und damit Geld zu verdienen, kann er nicht verstehen. Ihm gehe es um die Kunst: „Hier entsteht ein postmortaler Schönheitssalon“. „Wie James Bond fühle ich mich in Guben“, sagt er, setzt sich an den Tisch mit Poker spielenden Leichen und zückt selbst die Karten. Diese Szene hat von Hagens für den neuen Film„Casino Royale“ um den britischen Agenten ausgestattet. Er sei stets ein Fan jenes britischen Filmagenten gewesen: „Der hat auch immer für das Gute gekämpft.“ 


Weitere Artikel