Deutschland

20 Jahre Stiftung für politisch Verfolgte

Nachtasyl für die Stimmen des Widerstands

Hamburg (n-ost) - 18 Jahre, acht Monate und 22 Tage hatte der Schriftsteller Nisametin Achmetow in sibirischen Lagern verbracht, wo man ihn folterte, als er im Jahr 1986 als erster Gast der neu gegründeten Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte nach Deutschland kam. Ein Jahr Freiheit und Erholung von den Strapazen der Gefangenschaft. Dann ging er zurück, in ein Dorf hinter dem Ural, wo er Bücher schrieb, die erfolglos blieben. Den erlebten Frieden aber bewahrte er an einem Ort in seinem Inneren, den man als Seele bezeichnet.79 weitere geschundene, gequälte und zum Schweigen gebrachte Leidensgenossen Achmetows folgten. Sie kamen aus Algerien, Tunesien, Kolumbien, der Elfenbeinküste, dem Irak, Iran, Tajikistan und Tschetschenien, sie lebten in Lagern, in Gefängnissen, im Untergrund, in Verstecken. Manche waren auf der Flucht, alle hatten Angst. In Hamburg wurde ihnen eine Auszeit von Verfolgung, Bedrohung und Krieg gewährt. Und sie erhielten eine Plattform zur Darstellung ihres Schicksals in Wort und Bild. Am 12. September begeht die Stiftung ihr 20-jähriges Jubiläum. „Der Freiheit ein Mikrofon“ reichen, wollte der Vater der Stiftung, der damals amtierende Hamburger Bürgermeister Dr. Klaus von Dohnanyi. Erst er, dann jeweils sein Nachfolger waren und sind Erste Vorsitzende dieser Hamburger Initiative zur Unterstützung von Schriftstellern, Journalisten, Malern, Wissenschaftlern und Bauernführern. Dohnanyi sah das Engagement der Hansestadt als politische Verpflichtung, jenen Unterstützung zukommen zu lassen, die in einer Diktatur Widerstand leisten.    Heimweh und FremdheitEiner der Stifter der ersten Stunde ist der Wissenschaftler Professor Dr. Jan-Philipp Reemtsma. Er half über die ersten sieben Jahre und unterstützt auch heute noch einzelne Projekte wie die Veröffentlichung von Literatur und Exilzeitungen. Zu seinen Motiven befragt, zitierte Reemtsma in einem Interview vor ein paar Jahren das Brecht Gedicht Nachtasyl und drehte dessen Botschaft, die Welt lasse sich durch die Hilfe einzelner nicht verbessern, um. „Ja, es stimmt. Das Zeitalter der Armut und der Unterdrückung wird dadurch nicht beendet. Kein Grund, den Menschen nicht ein Nachtlager zu geben.“Auch der Hamburger Buchhändler Ocke Rickertsen und Christoph Rinser, Sohn der Schriftstellerin Luise Rinser, zählen zu den Unterstützern. Sein Engagement sei mit der deutschen Geschichte und dem Schweigen darüber verbunden, erklärt Rickertsen und auch für Christoph Rinser ist politisches Engagement eine Frage der inneren Geisteshaltung. Jedes Jahr finanziert er einen weiblichen Stiftungsgast.So einmalig die Stiftung für politisch Verfolgte ist, allein ist sie nicht. Die Suche nach geeigneten Kandidaten erfolgt in Zusammenarbeit mit Amnesty International, Veranstaltungen in Partnerschaft mit der Gesellschaft zur Förderung der Demokratie und des Völkerrechts, ein Kind des Hamburger Reeders Peter Krämer. Schriftsteller unter den Gästen werden nach Ablauf ihres Stipendiums vom Pen-Club in das Programm „Writers in Exil“ übernommen und können ein weiteres Jahr in Europa bleiben.  Je nach Engagement der Förderer kann die Stiftung in einem Jahr fünf Gäste aufnehmen. Nicht immer sind diese einfach nur glücklich, der Bedrohung entronnen und in Sicherheit zu sein. Die ersten drei Monate, sagt die Stiftungs-Geschäftsführerin Martina Bäurle, sind das Heimweh und die Fremdheit groß, die Telefonrechnungen hoch. Gäste, die schlimmes erlebt haben oder deren Familie zurück in Gefahr bleibe, brauchen lange, die Vorteile der neuen Freiheit zu entdecken. Symbol für den FriedenBäurle ist die einzige Mitarbeiterin der Stiftung und somit mehr als nur deren Geschäftsführerin. Vorschläge für mögliche Gäste werden von ihr recherchiert, Gelder aufgetrieben, politische Kampagnen geplant. Ist eine Einladung ausgesprochen, holt Bäurle die Gäste vom Flughafen ab, bringt sie in ihre Wohnung und kümmert sich in den ersten Wochen um Behördengänge, Arztbesuche und anderes. Sie besorgt Kameras, Fahrräder, Karten fürs Schwimmbad und gleich die Badesachen dazu. Sie kommt, wenn es Computer-Probleme und Beinbrüche gibt, und auch, wenn das Elend des Exils ihre Gäste übermannt. Dann wird gemeinsam gekocht, geredet und gegessen, solange, bis alles wieder heller scheint.
Alltägliche Missverständnisse und kulturelle Unterschiede gehören zum Arbeitsalltag der Geschäftsführerin dazu. Als Herausforderung empfand Bäurle etwa Stiftungsgast Musa Sadulajew, einen tschetschenischen Fotografen, dessen Traumatisierung ihm den Blick auf negative Seiten seines Gastlandes verstellte. Im Vergleich mit dem Leid in Tschetschenien schien alles in Deutschland ihm wie das Paradies.Von den Tschetschenen – ein weiterer Stiftungsgast ist die Menschenrechtlerin Lipkhan Basajewa - hat Bäurle gelernt, dass Freiheit aus kleinen Dingen bestehen kann. Sie sei anfangs verwundet gewesen, diese am helllichten Tag im Pyjama anzutreffen. Bis die Gäste ihr erzählten, sie hätten jahrelang bekleidet geschlafen, immer in Angst vor nächtlichen Verhaftungen. Das Tragen des Pyjamas als Symbol für den Frieden, als Zeichen von Furchtlosigkeit, darauf soll einer erst mal kommen.
 
Keinem der Stiftungsgäste widerfuhr bislang nach der Rückkehr schlimmes, manche allerdings zogen sich ins innere Exil zurück. Nun aber steht für die Tschetschenen Sadulajew und die Basajewa demnächst die Rückkehr an. Bäurle hofft, die Bekanntheit, die beide in Deutschland unter anderem durch die Arbeit der Stiftung erlangten, möge ihnen ein wenig Schutz sein.  Kontakt:
Stiftung für politisch Verfolgte
Osterbekstr. 96
22083 Hamburg
Tel: 040 - 29 88 57 57Ende
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