Das zweite Leben des Königsberger Schlosses
Für hundert Millionen Euro soll das alte Wahrzeichen der Ostpreußen-Metropole wieder aufgebaut werdenKaliningrad (n-ost) - Nichts scheint mehr unmöglich in Kaliningrad, dem früheren Königsberg, seit das zentrale Lenindenkmal einer orthodoxen Kathedrale wich. Das groß gefeierte Stadtjubiläum „750 Jahre Kaliningrad“ im Jahre 2005 hat einen Bauboom ausgelöst, wie ihn die Stadt in ihrer Nachkriegsgeschichte noch nicht erlebte. Jetzt soll mitten im ausgelöschten historischen Zentrum, zwischen betongrauen Wohnblocks und den Spiegelglasfassaden rapide wachsender Geschäftshäuser das Wahrzeichen der alten Ostpreußen-Metropole auferstehen: das Königsberger Schloss.Nicht ein Stein blieb erhalten von dem mächtigen, in Jahrhunderten gewachsenen Ordensbau, der auf dem südlichen Hochufer des Pregelstroms thronte wie ein Wächter im Zentrum der Stadt. Das Schloss verschwand spurlos, samt der Topografie seiner umliegenden Straßen und Gassen. Heute beherrscht eine kahle Fläche das Bild, groß wie zehn Fußballfelder, nur mühsam verziert von Betonpflaster und längst verrotteten Springbrunnen. Ein staubiger Ort. Es gibt nicht viele Plätze in Kaliningrad, die noch ungemütlicher wirken. Das Dom Sowjetow "krönt" heute anstelle des Königsberger Schlosses die Skyline von Kaliningrad, Foto: Thoralf PlathWo einst der Ostflügel des Schlosses an den Münzplatz grenzte, ragt das „Dom Sowjetow“ auf, das „Haus der Räte“. Der 16-stöckige Betonklotz aus der Breschnew-Ära sollte die Dominante der 1969 gesprengten Schlossruine ersetzen, doch bezogen wurde er nie. Königsbergs einplanierte Geschichte zitiert nur noch ein in den frühen 90er Jahren aus Container-Shops zusammenschraubtes kleines Einkaufszentrum am Rand des Platzes, zum lärmenden Leninprospekt hin. „Staraja bashnja“ heißt es, „Alter Turm“. Nebenan kann man im Cafe „Am Schloss“ unter alten Schwarz.-Weiß-Fotos der versunkenen Königsberger Altstadt Cappuccino und italienisches Eis genießen.Als Vision geistert der Wiederaufbau des 1969 gesprengten Ordens-Schlosses schon einige Jahre durch Kaliningrad. Bislang waren das eher fixe Ideen. Doch nachdem sich unlängst der einflussreiche Kaliningrader „Kulturrat“ für die Wiederaufbaupläne ausgesprochen hat, gilt das neue Schloss quasi als beschlossen. Der Kulturrat vereint Museumsdirektoren, Wissenschaftler und Regionalpolitiker bis hoch zu Gouverneur Georgij Boos.Im Modell ist das alte neue Königsberg-Wahrzeichen schon fertig. Es zeigt ein schmuckes weißes Miniaturschloss neben dem radikal modernisierten „Haus der Räte“, flankiert von pompösen Wolkenkratzern neurussischer Spielart, wie sie derzeit in den Moskauer Himmel wachsen. Der neue Kaliningrader Chefarchitekt Alexander Baschin hat neben diesem Entwurf noch zwei weitere Szenarien für den neuen Schlossplatz parat: eine „nostalgisch-historische“ Variante, die sich eng an die Bebauung im Königsberg des Jahres 1939 anlehnt, sowie ein futuristisch-modernes Konzept in Glas, Beton und Stahl. Doch selbst in dieser modernen Umgebung kann sich Baschin das Schloss vorstellen: „Wir müssen uns ohnehin von dem Gedanken lösen, das Königsberger Schloss in seinem alten originalen Aussehen wiederzubekommen. Der Reiz liegt doch viel mehr darin, es in mit modernen Elementen zu verbinden.“ Die historische Kontur des Ordensbaus mit Turm und einem wiedererrichteten Flügel integriert in moderne Architektur – das ist die von Baschin favorisierte und wohl auch realistische Variante der Königsberger Schloss-Renaissance.Auf 100 Millionen Euro beziffert Baschin die Kosten des Wiederaufbaus. Gouverneur Georgij Boos ließ umgehend klar stellen, dass staatliche Mittel dafür nicht fließen werden. „Man wird Sponsoren finden müssen.“ Immerhin: Einige Kaliningrader Unternehmen haben Hilfe schon zugesagt. Die Awtotor AG, bekannt durch die Montage von BMW-Limousinen für den russischen Markt, will sich an der Finanzierung beteiligen, aus der örtlichen Filiale des Ölgiganten LukOil ist ähnliches zu vernehmen. Eine erste Geberkonferenz brachte anderthalb Millionen Rubel zusammen – genug, um die konkreten Planungen in Auftrag zu geben.Die gigantische Bausumme und die Aussicht auf Luxuswohnungen und Nobelhotels sorgen derweil für Skepsis: „Wer braucht dieses Schloss? Wem nützt es? Auf Schritt und Tritt stößt man in unserer Stadt auf gewaltige Probleme, die gelöst werden müssen, darum sollen die Beamten sich kümmern“, schimpfte ein Kaliningrader. Schweres Geschütz fahren die Kommunisten und Kriegsveteranen auf. Nicht nur, weil sie auf dem Schlossplatz ihr seit einem Jahr in Depots lagerndes Lenindenkmal wieder aufstellen wollen - für sie ist das Schloss Symbol alter und neuer Feinde. In Wirklichkeit, vermutet Wladimir Nikitin, Chef der radikalpatriotischen Partei „Rodina“ (Heimat), ginge es doch um einen schleichenden Loslösungsprozess von Russland. „Für bestimmte Kreise in Kaliningrad ist das ein sehnlicher Wunsch. Diese Leute brauchen das Schloss als Symbol für die nichtrussische Bestimmung des Gebietes.“Auch aus der Pro-Königsberg-Fraktion kommen skeptische Stimmen. „Das wird kein Schloss, sondern eine Fassade ohne Seele. Die Leute, die das geplant haben, verstehen nichts vom Geist dieser Stadt“, sagt Boris Abramow, Vorsitzender des Klubs der Heimatfreunde. Abramow hält den Schlosswiederaufbau schlichtweg für Unsinn: „Was soll so ein Disneyland? Man sollte so viel Geld besser nutzen, um noch vorhandene Königsberger Baudenkmale zu retten, ehe die auch noch untergehen, weil sich niemand darum kümmert.“Mit dem Schloss bekomme die Stadt ihr urbanes Herz zurück, meint hingegen Prof. Wladimir Kulakow, Ostpreußen-Spezialist der russischen Archäologie. Er erinnert an große Wiederaufbau-Beispiele wie Danzig, Warschau, Dresdens Frauenkirche und fordert damit auch in Kaliningrad zu beginnen: „Hier wurde nach dem Krieg ein ganzes Stadtzentrum böswillig einplaniert, das man hätte erhalten können. Aber jetzt haben wir mit dem Wiederaufbau des Schlosses endlich die Möglichkeit, an die Geschichte anzuknüpfen und architektonische Wunden zu heilen.“Das Schloss, legendenumrankter Mythos, seit seine Ruine von der Bildfläche verschwand, taucht bereits wieder auf. Ein Metallzaun markiert die Stelle, an der es einst stand, dahinter fällt der Blick in Kaliningrads geschichtsträchtigste Baugrube: mittelalterliche Backsteinmauern, Gewölbereste, tonnenschwere Findlinge. Russische Archäologen haben seit 2002 große Teile des Westflügels ausgegraben und setzen ihre Arbeit, finanziert durch den Spiegel weiter fort, denn noch immer werden die Reste des legendären Bernsteinzimmers hier vermutet. Die inzwischen freigelegten Reste ziehen als Freilichtmuseum täglich hunderte Besucher an. Die Leute bestaunen Fundstücke, die auf langen Tischen ausgestellt sind. Da liegt zerbrochenes Geschirr aus dem legendären Restaurant „Blutgericht“ neben kunstvoll geformten Ziegel und Resten von Wehrmachtskarabinern. Stellwände voller historischer Aufnahmen und großformatiger imposanter Computersimulationen zeigen, wie das Schloss einst aussah – und wie es wieder werden könne. Manche Besucher verbringen eine ganze Stunde in der Ausstellung, lesen jedes Kapitel. Das Schloss bewegt die Gemüter, so oder so.
Infokasten zur Schlossgeschichte:Das Schloss symbolisiert wie kein anderer Ort die Geschichte und ihre Brüche in der einstigen Hauptstadt Ostpreußens. Gegründet 1255 von den Mönchsrittern des Deutschen Ordens und zu Ehren ihres Heerführers Ottokar II. von Böhmen Königsberg genannt, prägte der burgartige Bau mit seinem 82 Meter hohen Turm über sieben Jahrhunderte das Bild der Ostseestadt. Am 18. Januar 1701 krönte sich Friedrich I. im Schloss zum ersten preußischen König. Als die Königsberger Altstadt im August 1944 unter britischen Bomben in Schutt und Asche sank, wurde auch das Schloss schwer getroffen. Nach der Erstürmung der Stadt durch die Rote Armee war nur noch eine zerschossene Ruine übrig. Man hätte sie restaurieren können. Doch das war undenkbar: Königsberg hieß fortan Kaliningrad, das Thema Ostpreußen war tabu. 1969 sprengten Pioniere der Sowjetarmee die Schlossruine, angeblich auf direkten Befehl von Parteichef Leonid Breschnew, der „den faulen Zahn des preußischen Militarismus“ aus dem Stadtbild getilgt sehen wollte. Die Soldaten brauchten Wochen, um die mächtigen Mauern in die Luft zu jagen. Noch während sie die Trümmer einebneten, begann man einen Steinwurf entfernt das neue Symbol des sowjetischen Kaliningrad hochzuziehen: das „Haus der Räte“. Der Koloss wurde nie fertig. In der Perestrojka-Zeit ging das Geld aus, heute ragt er als Kaliningrads berühmteste Ruine über der Stadt auf. Zur 750-Jahrfeier strich man sie blaugrau an, setzte neue Fenster ein, doch leer steht das Rätehaus immer noch. Chefarchitekt Baschin will im Zuge der Schlossplatz-Renaissance ein Dienstleistungszentrum daraus machen.ENDE