„Krieg den Hütten, Friede den Palästen“
Wenn Ende Januar in Berlin mit dem Abriss des „Palastes der Republik“ begonnen wird, verwandelt sich das zwischen 1973 und 1976 vom Honecker-Regime errichtete Bauwerk endgültig in den „Ballast der Republik“ (Sachsen-Slang). Für acht Millionen Euro wollen drei Baufirmen, die die Ausschreibung des Senats gewonnen haben, „Erichs Lampenladen“, einst stolzestes Bauwerk der DDR, zersägen und dem Erdboden gleichmachen. Experten rechnen dagegen mit Kosten von 20 Millionen Euro. Bis Mitte 2007 soll der Abriss dauern, dann Gras über die Sache wachsen, bis genug Geld für den Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses beisammen ist. Andere ex-sozialistische Staaten gehen derweil behutsamer mit ihrem historischen Palast-Erbe um, wie ein Blick nach Osten zeigt.
Das Wort „Palast“ leitet sich vom „Palatinum“ ab, einem der Hügel Roms, den schon Romulus, Namensgeber der Stadt, bebauen ließ. Spä¬ter machten ihn Augustus und alle seine Nachfolger zum königlichen Nobelviertel, erhob der Dichter Lucretius ihn zum Palatia caeli, dem Himmelspalast. Die Deutschen holten ihn schließlich wieder auf die Erde zurück, lautverschoben als „Pfalz“, Wohnsitz der durch die Lande ziehenden deutschen Kaisers. Dane¬ben bauten Fürsten, Grafen und Ritter ihre „Paläste“, sehr zum Missvergnügen ihrer dafür schuftenden Untertanen.
„Friede den Hütten, Krieg den Palästen“ wütete Georg Büchner 1834 im „Hessischen Landboten“, und sein damaliger Zornesausbruch schuf die wohl populärste Losung kommunistischer Regime. Deren Urknall war die bolschewistische Revolution von 1917, und ihr Höhepunkt soll der angebliche „Sturm auf das Winter-Palais“ in der damals Petrograd genannten russischen Hauptstadt gewesen sein. Dieser „Sturm“ existierte zwar nur in einer filmischen Inszenierung von Sergej Eisenstein, damit wurde aber zumindest eine sprachliche Revolution vollzogen: Russisch hieß das gestürmte Bauwerk „Zimnyj Dworez“, wörtlich „Winter-Palast“. Das Volk übernahm die Herrschaft in den adligen Stuben. Und plötzlich waren Paläste – als Wort und als Bau – rehabilitiert, was so weit ging, dass sich später in der DDR jedes provinzielle Jugendheim als „Pionier-Palast“ präsentierte.
Die sowjetischen Kommunisten waren die ersten, die Paläste fürs Volk entdeckten, sie umfunktionierten und neue „rote“ Paläste bauten. Bis zu ihrer Revolution befand sich beispielsweise die Moskauer Zarenresidenz im „Großen Kremlpalast“, dann wurde der Bau 1930 zum Sitzungssaal des Obersten Sowjets umgebaut, heute finden dort Staatsempfänge statt. 1960 wurde gleich nebenan der modernistische „Kreml-Kongresspalast“ gebaut. Rund 6.000 Menschen haben in ihm Platz, ausreichend für die Parteitage der KPdSU. Nach Auflösung der KPdSU finden nun Rockkonzerte im Palast statt.
Ihre Palast-Manie exportierten die Sowjets früh in ihre „Bruderländer“. So kam Warschau zu seinem „Palast der Kultur und Wissenschaft“ (PkiN), 1952-1955 von sowjetischen Arbeitern gebaut – angeblich als „Geschenk“ Stalins an die polnische Hauptstadt. Chefarchitekt war der Russe Lew Rudnew, der damals kühn behauptete, er habe ein „charakteristisches polnisches Bauwerk“ geschaffen. Tatsächlich war der Palast von Stalin persönlich erdacht worden und ein Musterbeispiel seiner „Zuckerbäcker-Architektur“: 234 Meter hoch, 3.288 Räume, 124.000 Quadratmeter Fläche. Den Warschauern war er stets ein Dorn im Auge: „Was ist der schönste Platz in Warschau? Das Aussichtsdach des Kulturpalasts – weil man ihn von dort nicht sieht!“, heißt es in einem polnischen Witz.
1989 hätten die Polen gern unbezahlte Überstunden gemacht, um das Monstrum abzureißen, aber die sparsamen Stadtväter waren dagegen. Die Baukonservatoren desgleichen, die dem Bauwerk historischen Wert zumaßen. Also blieb der Palast stehen, gefüllt mit Kinos, Theater, Läden, Diskotheken, einem Schwimmbad und ergänzt um die größte Turmuhr der Welt, deren Zeitangabe noch aus sechs Kilometer Entfernung abzulesen ist. Inzwischen haben Warschaus Stadtväter eine Lösung für den architektonischen Klotz im Zentrum erdacht: Er wird von anderen Hochhausbauten systematisch eingekreist.
Bulgaren sind geistvolle Leute, die sich für viele Gebäude ihrer schönen Hauptstadt witzige Namen ausdachten. Da gab es etwa „Tschitscho Toschova Koliba“ - Onkel Todors Hütte, das Gästehaus der sozialistischen Regierung, umgetauft nach dem Staats- und Parteichef Todor Shivkov. Noch populärer war „Tschalma-Saraj“, übersetzt Turban-Harem und bezogen auf den „Nationalen Kulturpalast“ (NDK), der seinen Spitznamen angeblich von den verrückten Hüten von Shivkovs Tochter Ludmila bekam.
Im Gegensatz zu Warschau ließen sich die Sofioter Architekten beim Bau ihres Palastes nicht von sowjetischen Vorgaben gängeln. So entstand der NDK, das schönste und größte Multifunktions-Gebäude Südosteuropas, majestätisch vor der Kulisse von Sofias Hausberg, dem Vitosha, und am Ende eines Parks voller Springbrunnen gelegen. 1981 wurde er mit dem ersten „Weltkongress für Bulgaristik“ eingeweiht. Während in Berlin der abgenagte „Palast der Republik“ seinem Ende entgegen sieht, erhielt der NDK 2005 sogar den Ehrenpreis der „Internationalen Vereinigung für Kongresspaläste“ (AIPC) und soll in den nächsten Jahren um einen ganzen „Kulturpark“ mit Oper und Philharmonie erweitert werden. Seit ein paar Jahren steht in seinem Schatten eine kleine Kirche – Memorial für „alle bulgarischen Märtyrer des kommunistischen Regimes“. Die Sofioter lieben ihren NDK nach wie vor, der Ende 2005 sogar einen Weihnachtsmarkt beherbergte. Raste, no ne staree (Wächst, aber altert nicht) ist der dazu passende Wappenspruch der Hauptstadt Bulgariens.
Selbst wenn man es wollte, mit normalen Mitteln wie Dynamit und Pressluftbohrern käme man dem Bukarester „Palatul Parlamentului“ (Parlamentspalast) nicht bei. Außer seiner Umbenennung in „Palatul Poporului“ (Volkspalast) ist ihm seit 1989 nichts angetan worden. Der Komplex ist Zeugnis der Gigantomanie des „roten Dracula“ Nicolae Ceausescu, der dafür den schönsten Teil der Bukarester Altstadt, den Spiru-Hügel, sprengen ließ. „Krieg den Hütten, Friede den Palästen“, so Ceausescus Übersetzung des Büchner Zitates.
Laut Guinness-Buch der Rekorde ist der Bukarester Palast das zweitgrößte Gebäude der Welt, nach dem Pentagon in Washington. Er umfasst 330.000 Quadratmeter Fläche, 12 Etagen, Tausende Zimmer und wurde von rund 20.000 Arbeitern bis 1989 fertig gestellt – aber nur äußerlich. Der Innenausbau ist bis heute nicht abgeschlossen, was auch an dem unvorstellbaren Luxus liegt, den Ceausescu verlangte: edelste Hölzer für Wandverkleidungen, 3.500 Tonnen Kristall für Beleuchtungskörper, 16 Meter hohe und 50 Meter lange Wandteppiche, die auf extra konstruierten Maschinen gefertigt werden mussten.
Im Dezember 1989 wurde Ceausescu gestürzt, verurteilt und hingerichtet, alles binnen vier Tagen. Mit seinem Palast wollten die Rumänen – nicht nur die 50.000, die er für den Bau aus ihren Häusern gejagt hatte – ähnlich radikal verfahren. Die Sprengung war geplant, doch sie war pyrotechnisch unmöglich, und seit 1997 tagen nun beide Kammern des rumänischen Parlaments im Palast. Diese füllen aber nur einen kleinen Teil dieses Labyrinths aus, das grau und kalt auf seinem Hügel steht. Die Bukarester schämen sich für den Palast: Wer fragt, wo der Palatul liegt – wird in neun von zehn Versuchen nur Schulterzucken ernten. Dennoch wird der Palast stehen bleiben, so wie auch die hässlichen Wohnblocks in Albaniens Hauptstadt Tirana, die ausgerechnet „Pallat“ heißen – bis sie eines Tages von selbst zusammenbrechen.