Markenmode made in Bulgaria
Die Adresse bürgt für Qualität. In der Batenbergstraße im Sofioter Regierungsviertel reiht sich eine namhafte Boutique an die nächste. Auch der deutsche Name „Rollmann“ ist darunter. In dem Geschäft wird noble Konfektionsware für den modebewussten Herrn verkauft, für einen Bulgaren mit Durchschnittseinkommen freilich kaum erschwinglich. Rollmann ist in Bulgarien ein bekannter Name: TV- Moderatoren, Politiker und Wirtschaftsleute lassen sich von dem Herrenausstatter einkleiden.
Der Mann hinter der Marke heißt Bertram Rollmann. Die bulgarische Erfolgsstory des Unternehmers aus Aschaffenburg begann im Jahr 1993. Rollmann hatte bis dahin in Griechenland produziert – doch die Standortkosten wurden zu teuer. Bei der Wahl einer neuen Produktionsstätte entschied er sich für Bulgarien. „Das Land machte den stabilsten Eindruck und das Potenzial an relativ gut ausgebildeten Menschen war sehr hoch“, erklärt Bertram Rollmann die Gründe für die Umsiedelung nach Goze Delchev. Die Stadt zählt 25.000 Einwohner und liegt am Rande des malerischen Rhodopen-Gebirges, nahe der griechischen Grenze, drei Autostunden von Sofia entfernt.
Die Firma „Pirin Tex“ befindet sich am Rande des Städtchens. Vor den Toren der modernen Fertigungshalle herrscht bei Schichtwechsel reger Betrieb: Autobusse bringen die Arbeiterinnen aus den umliegenden Dörfern direkt an die Betriebstore, der Fahrdienst wird von der Firma organisiert. Mit 25 Angestellten hat Bertram Rollmann hier begonnen, heute ist er mit 2200 Arbeitskräften der größte Arbeitgeber in Südwestbulgarien. Die Marke Rollmann, die in Bulgarien auch über Franchisepartner vertrieben wird, macht dabei nicht einmal zehn Prozent der Gesamtproduktion aus. Der Großteil der Konfektion wird für Großkunden wie Hugo Boss, Laurel, Windsor/Joop oder Strellson hergestellt. 90 Prozent der Textilien werden nach Deutschland, Griechenland und in die Schweiz exportiert.
Bertram Rollmanns Urteil fällt hart aus. „In Deutschland ist es vorbei mit der Textilindustrie.“ Die Abwanderung der Branche seit den 80er Jahren hat er selbst erlebt. Sein Großvater war Schneider in Aschaffenburg. Sein Vater hat mit sechs Angestellten im Wohnhaus Herrenmode produziert. Er selbst wurde 1981 nach Griechenland geschickt, um dort eine Firma aufzubauen. 20 Jahre lang lief das gut, dann wurden dort die Kosten zu hoch.
In Bulgarien hat die Textilindustrie nach der Wende einen Aufschwung erlebt. Während überall in der Industrie Arbeitsplätze abgebaut wurden, hat sie als einziger Industriezweig an Personal zugelegt. In den letzten zehn Jahren sind in der grenznahen Gegend um Goze Delchev die Textilfabriken wie Pilze aus dem Boden geschossen. Viele Unternehmer aus Griechenland haben ihre Produktion ins kostengünstige Nachbarland ausgelagert, die Betriebe sind die kleinsten Teile internationaler Produktionsketten und funktionieren auf dem Prinzip des „Subcontracting“.
Zwar ist durch die Investitionen die Arbeitslosenrate in der Region drastisch gesunken, doch die Beschäftigungsbedingungen sind in vielen Betrieben miserabel. In den kleinen Dörfern rund um Goze Delchev gibt es viele halblegale Produktionsstätten, in denen arbeitsrechtliche und tarifliche Standards kaum eine Rolle spielen. In den simpel eingerichteten Baracken wird rund um die Uhr produziert, Nachtzuschläge gibt es dafür keine. Die Arbeiterinnen führen an den Nähmaschinen stundenlang die gleichen Bewegungen aus: Nähte an T-Shirts, Jogginghosen und Röcke anbringen. Die ermüdende Arbeit ist schlecht bezahlt – häufig nicht mehr als der Mindestlohn von 70 Euro im Monat. Auch die Schattenwirtschaft ist ein Problem in der bulgarischen Textilbranche, erklärt Ivan Tishev von der Sofioter NGO BEPA. „Offiziell sind 200.000 Leute im letzten Jahr beschäftigt gewesen. Wir glauben, dass die Zahl der Arbeitenden bei 400.000 liegt. Sie sind nicht offiziell gemeldet und haben keine Verträge.“
In Goze Delchev schwärmen viele von den vergleichsweise „paradiesischen“ Arbeitsbedingungen bei „Pirin Tex“. Eine Kantine, Tarifverträge, Betriebsrat, Sonderurlaube – das sind Fremdwörter für die Arbeiterinnen in den Baracken anderer Betriebe. Auch die geräumige Produktionshalle ist nicht mit der Ausstattung der Dorf-Nähereien zu vergleichen. Anstatt simpler Nähmaschinen stehen hier Spezialgeräte, die die unterschiedlichsten Arbeitsschritte ausführen können. Für ein Sakko werden zwischen 110 und 135 unterschiedliche Operationen benötigt.
Die Textilproduktion ist ein wichtiges Standbein für Bulgarien geworden, doch dem Billiglohnland droht längst Konkurrenz aus dem Fernen Osten. „China bietet sich für Leute an, die kein eigenes Investment machen wollen und die dort durch Staatsbetriebe geschaffene Infrastruktur nutzen möchten, um einen schnellen Euro zu machen“, erklärt Bertram Rollmann. Für seinen mittleren Betrieb sei aber ein abermaliger Standortwechsel keine Option. Schließlich habe man viel Geld investiert und Personal ausgebildet. Von Europa aus könne man außerdem schneller reagieren. „Der Markt will keine langfristigen Bestellungen mehr geben, er möchte im Prinzip heute bestellen und übermorgen verkaufen. Und das spricht wiederum für die Erhaltung eines Standortes in Europa.“