Kasachstan

Revolutionsangst in Kasachstan: Präsident zeigt Nerven

Nach Aserbaidschan, das Anfang November begleitet von Manipulationsvorwürfen ein neues Parlament gewählt hat, tritt Kasachstan als letzte der Ex-Sowjetrepubliken in diesem Jahr zu einem Urnengang an. Am 4. Dezember sind Präsidentschaftswahlen. Einen Regimewechsel und eine weitere „bunte“ Revolution wie in der Ukraine, Georgien oder Kirgistan halten Experten für unwahrscheinlich. Dass der amtierende Präsident Nursultan Nasarbajew die Wahlen erneut für sich entscheidet, gilt als sicher. Dennoch häufen sich Berichte über staatliche Repressionsversuche.

Vor allem der bisher ungeklärte Tod des Oppositionspolitikers Zamanbek Nurkadilow sorgt für Unruhe. Der ehemalige Bürgermeister von Almaty war am 12. November mit Schusswunden aufgefunden worden. Die Opposition spricht bereits von einem politischen Mord. Nurkadilow hatte dem Präsidenten mehrfach Korruption vorgeworfen und stand unbestätigten Angaben zufolge kurz davor, Informationen zum Korruptionsverdacht zu veröffentlichen. Er galt als möglicher Führer einer neuen Oppositionsbewegung.

Kasachstan ist in Zentralasien das wirtschaftlich erfolgreichste Land. Im GUS-Raum hält es mit einem Wirtschaftswachstum von jährlich zehn Prozent den zweiten Platz hinter Russland. Das Volumen ausländischer Direktinvestitionen lag im vergangenen Jahr bei 3,5 Milliarden US-Dollar. Das Pro-Kopf-Einkommen wuchs 2004 um 13 Prozent, die Arbeitslosigkeit sank auf 8,4 Prozent. Diese Zahlen können durchaus als Erfolgsbilanz des amtierenden Präsidenten gewertet werden. Nursultan Nasarbajew regiert die Präsidialrepublik Kasachstan seit 15 Jahren. Er ist der erste und bisher einzige Präsident seit der Unabhängigkeit des Landes.


Politischer Patriarch und Autokrat

Nach klassischer Parteikarriere trat Nursultan Nasarbajew 1991 als einziger Präsidentschaftskandidat nach der Unabhängigkeit an und gewann mit mehr als 98 Prozent. Er veranlasste mehrere Verfassungsänderungen, die ihm zahlreiche Vollmachten einräumten, u.a. die Auflösung des Parlaments und die Bestimmung der Vorsitzes von Rechnungs- und Oberstem Gerichtshof. 1995 ließ er seine Präsidentschaft per Referendum bis 2001 verlängern. Im Januar 1999 wurde er nach vorgezogenen Wahlen wiedergewählt. Nach siebenjähriger Amtszeit hätten die nächsten Wahlen erst 2006 angestanden, doch wäre das Land knapp ein Jahr ohne Präsident gewesen, da die Verfassung einen Wahltermin im Dezember vorschreibt. Im August 2005 entschied der Verfassungsrat deshalb, die Wahlen erneut vorzuverlegen. Da ein Präsident kein drittes Mal antreten und nicht älter als 65 Jahre sein darf, verstößt Nasarbajew mit seiner jetzigen Kandidatur qua Verfassung gegen geltendes Recht. Seine politische Nachfolge soll vermutlich Tochter Dariga antreten. Sie ist Vorsitzende der Partei Assar, Parlamentsmitglied und dominiert die staatlichen Medien im Land. Unter anderem leitet sie den größten Fernsehsender „Khabar“.



Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion nutzte Nasarbajew das gewaltige Ressourcenpotenzial Kasachstans, um Investoren ins Land zu holen. Pragmatisch schuf er einen Gesetzesrahmen, der vor allem den Rohstoffsektor aufbauen sollte. Heute dominieren die Förderung und der Export von Öl, Gas, Kohle, Eisenerz oder Uran die Wirtschaftsstruktur. Allein die Ölproduktion ist seit 1995 um das Dreifache gestiegen. Industrieproduktion, Baugewerbe und Dienstleitungssektor weisen Zuwachsraten um zehn Prozent auf.

Die Regierungspartei Otan (Vaterland) könnte den Wahlkampf für eine weitere Amtsperiode ihres Kandidaten also siegessicher angehen. „Kasachstan ist wirtschaftlich gesehen eine Erfolgsstory und sicher kein Kandidat für eine neue Farbrevolution“, meint dazu der Berliner Zentralasien-Experte Uwe Halbach. „Das Regime könnte in sauberen Wahlen eine ausreichende Zustimmung erwarten.“

Neben dem bisherigen Präsidenten treten vier weitere Kandidaten zur Wahl an. Einzig herausragender Gegner Nasarbajews ist Scharmachan Tujakbaj vom Oppositionsblock „Für ein gerechtes Kasachstan“. Einst Parlamentssprecher und Mitglied von Otan verließ Tujakbaj die Partei aus Protest gegen angebliche Fälschungen bei den Parlamentswahlen im Jahr 2004 und stieg zum Führer der Opposition auf.


Diversifizierung tut Not

Kasachstan ist das ressourcenreichste Land im GUS-Raum. Seine wirtschaftliche Erfolgsstory gilt neben der Präsidialherrschaft Nasarbajews als Garant für Stabilität. Vor allem Investoren aus den USA, dem arabischen Raum oder China schätzen die Steuererleichterungen. Die ausländischen Direktinvestitionen stiegen allein 2004 um mehr als 40 Prozent. Die Inflation liegt seit Jahren stabil bei fünf bis sieben Prozent. Dennoch droht dem Land die „Dutch Disease“, das Ausbrennen der Wirtschaft durch einseitige Abhängigkeit von Rohstoffexporten wie Öl und Gas. Sollte die Regierung ihre Strategie gegen fehlende Diversifizierung umsetzen, wird ein Wachstum des Bruttoinlandsprodukts von jährlich acht Prozent auch in den nächsten Jahren erwartet.



Schon im Vorfeld des diesjährigen Wahlkampfes hatte Tujakbaj die Benachteiligung der Opposition angeprangert. Für viele Wähler ist der Oppositionsführer aber keine Alternative zum amtierenden Präsidenten. „Tujakbaj hat keinen politischen Rückhalt. Sein Sieg würde das Land nur instabiler machen, denn auch die Opposition ist vom Machtkampf zerfressen“, so das Urteil der Politologin Beate Eschment.

Dennoch: Seitdem der Wahlkampf läuft, sehen sich Oppositionskandidaten und Kritiker der Regierung wiederholt Einschüchterungsversuchen ausgesetzt. Vor wenigen Tagen kündigte die Präsidententochter Dariga Nasarbajewa, Parlamentsmitglied und Chefin des größten Fernsehsenders des Landes, rechtliche Schritte gegen jeden an, der der Präsidentenfamilie durch „minderwertige ideologische Propaganda“ schaden wolle. Gegenüber den oppositionellen Wochenzeitungen „Swoboda Slowa“ (Freies Wort) und „Juma Times“ blieb es nicht bei Drohungen. Von beiden Blättern wurde im Oktober eine Ausgabe konfisziert, die Chefredakteure bekamen Geldstrafen auferlegt. Die Begründung: Das Ansehen des Präsidenten sei verunglimpft worden.

Die OSZE-Wahlbeobachtungskommission in Kasachstan hat in ihrem ersten Bericht Einschränkungen der Meinungs- und Versammlungsfreiheit sowie Festnahmen von Journalisten kritisiert. Für ebenso bedenklich hält die Wahlkommission „das Blockieren von Internetseiten, die alternative Informationen über politische Entwicklungen bereitstellen.“
Juri Mizinov, Chefredakteur des politischen Internetmagazins „Navigator“, musste bereits zum zweiten Mal auf eine neue Domain ausweichen. Per Gerichtsbeschluss wurde ihm verboten, seine ursprünglichen Adressen naviagtor.kz und navi.kz zu benutzen. Dass die Medien gerade jetzt unter Beschuss geraten, wundert Mizinov nicht. „Die Wahlen sind lediglich ein Katalysator für die Ängste der Regierung,“ so der Journalist.

Die Regierungspartei selbst spielt in ihrer Wahlkampagne bewusst mit der Angst der Wähler. Wahlspots von Otan zeigen randalierende Massen, dazu die Botschaft „Nasarbajew garantiert Stabilität“. Berichte über die instabile Lage in Kirgistan und den unrühmlichen Verlauf der dortigen „Tulpenrevolution“ nutzen regierungstreue Medien, um die Bevölkerung vor einem ähnlichen Szenario in Kasachstan zu warnen. In Krankenhäusern, Schulen und Betrieben werden indes ganze Belegschaften dazu aufgefordert, für den Präsidenten zu stimmen. In einer Art Pyramiden-System schwört man auch die Familienmitglieder der Angestellten auf die erneute Wahl Nasarbajews ein. Aus Angst um ihren Arbeitsplatz werden vermutlich zahlreiche Wähler der Anordnung folgen.

Warum der Präsident die Chance auf faire Wahlen aufs Spiel setzt, sei nach europäischen Maßstäben schwer zu verstehen, so Politologin Eschment. Grund dafür seien sicher sein besonderes Demokratieverständnis und der Wille, erneut Wahlergebnisse um 90 Prozent zu erzielen. „Doch scheinbar hat auch der Präsident einfach nur Nerven.“

Der kasachstanische Journalist Sergej Duwanow, der nach Recherchen zu Korruptionsvorwürfen gegen die Regierung im so genannten „Kazakhgate“-Skandal vor drei Jahren mehrere Monate in Haft saß, zeigt sich desillusioniert über die politische Entwicklung seines Landes. Zwar seien noch rund 60 Prozent der Wähler unentschlossen, doch zweifle er nicht an einem Sieg Nasarbajews. Die wichtigsten Aufgaben sähe die Regierung seiner Meinung nach darin, die Opposition an einer erfolgreichen Wahlkampagne zu hindern und jede Möglichkeit von Demonstrationen gegen gefälschte Wahlen auszuschließen. „Denn“, so Duwanow, „dass es nach den Wahlen zu Protesten kommen wird, davon ist die Staatsmacht überzeugt.“


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