Warmer Pelz, kaltes Herz
Altai (n-ost) - Galina Sidorenko, Tierpflegerin in der Kolchose Podsosnowo im westsibirischen Altaikreis, traut sich nur bei den ganz jungen Silber- und Blaufüchsen noch dicht an die Käfige heran, um sie zu füttern. „Die ausgewachsenen Tiere sind aggressiv, die greifen einen sofort an“, sagt die 48-Jährige, die sich seit über 30 Jahren um Pelztiere kümmert. Podsosnowo ist eine von vielen Kolchosen in Sibirien. Jedes Jahr werden hier rund 450 Silber- und Blaufüchse gezüchtet. Die Tiere sind wegen ihres äußerst wärmenden Fells begehrt. In den Schneidereien der Kolchose werden Jacken, Mützen und Mäntel zumeist für den einheimischen Markt produziert. „Wenn wir im Winter hier Temperaturen weit unter minus 30 Grad haben, dann ist natürlicher Pelz das einzige, was warm hält. Besonders das Kleid der Silber- und Blaufüchse ist sehr dicht und lässt den eisigen Wind nicht durch“, erklärt Viktor Kropow, Direktor der Kolchose. Warum aber die Tiere unter elenden Bedingungen gehalten und deshalb so aggressiv werden, dass die Tierpflegerin Angst hat, sich ihnen zu nähern, erklärt er nicht.
In Käfigen, die siebzig Zentimeter breit, einen Meter lang und sechzig Zentimeter hoch sind, leben zwei ausgewachsene Füchse. Die Tiere haben keinerlei Bewegungsfreiheit, können sich nicht einmal drehen und nagen mit ihren Zähnen ohne Unterlass an den Stäben ihres Gefängnisses. Mit einem langen Greifarm schiebt Galina Sidorenko Schüsseln voller Fleischbrocken in die Käfige. Bevor die Füchse dann nach acht Monaten Leidenszeit aus den Käfigen geholt werden, betäubt Galina sie mit einer Spritze, die sie wiederum mit dem Greifarm durch die Gitterstäbe unter die Haut der Tiere drückt. Dann werden die Silber- und Blaufüchse getötet und bekommen buchstäblich das Fell über die Ohren gezogen. Wenig später kann man die Mäntel, Jäcken und Mützen auf den Märkten in und um Podsosnowo kaufen. Eine Pelzmütze gibt es mitunter schon für 800 Rubel (22 Euro), eine Jacke ist für 2.200 Rubel (70 Euro) zu haben. Gemessen an den Durchschnittslöhnen in der Region sind das stolze Preise.
Auch wenn die Pelztierfarmen überwiegend für den heimischen Markt züchten verursacht die die Art der Tierhaltung immer wieder internationale Proteste. Wolfgang Apel, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes, der sich schon selbst in einer Fuchsfarm bei Irkutsk von den elenden Bedingungen überzeugt hat, sagt, dass er noch nichts vergleichbar Schlechtes gesehen habe: „Die Haltung der Tiere ist ohne Beispiel. Auf die natürlichen Bedürfnisse der Füchse wird überhaupt keine Rücksicht genommen.“ So seien Füchse von Natur aus Jäger, die nachts in freier Wildbahn weite Strecken zurücklegten. „Diese engen Käfige müssen für die Tiere eine unvorstellbare Qual sein und ich sehe es ja an den Reaktionen. Die Füchse sind im höchsten Maße aggressiv.“ Dass bei der sibirischen Kälte wirklich das Fell der Füchse das wärmste Kleid für den Menschen ist, bestreitet der Tierschutzexperte: „An den Wärmefaktor eines natürlichen Pelzes kommen viele synthetische Stoffe heran“, sagt Apel. „Aber es geht jetzt erst einmal darum, dass die Tiere in Sibirien ein ihnen würdiges und ihren Bedürfnissen entsprechendes Leben führen können.“
Der Deutsche Tierschutzbund hat schon versucht, mit Initiativen vor Ort zusammenzuarbeiten, bislang leider ohne großen Erfolg. „Es gibt in Sibirien viele Menschen, denen das Wohl der Tiere am Herzen liegt. Aber deren Engagement wird meistens mit dem Hinweis auf die schlechte finanzielle Situation der Pelztierfarmen im Keim erstickt“, führt Apel aus. „Wir produzieren für die Menschen hier in Sibirien, die zum Beispiel jetzt schon lange auf einen Pelzmantel sparen müssen und sich im Leben vielleicht auch nur einen kaufen“, sagt Direktor Kropow. „Halten wir die Tiere artgerecht, so ist das dementsprechend teuer. Dann können wir unsere Produkte nicht mehr für diese Preise anbieten.“ Außerdem stünden viele Kolchosen in Sibirien ohnehin am Rande des finanziellen Ruins. „Wir können oft ja unseren Mitarbeitern die Löhne nicht bezahlen. Da bauen wir sicher keine teuren Freilaufgehege“, führt Kropow weiter aus.
Galina Sidorenko weiß, wovon ihr Chef spricht. Im vergangenen Winter gab es drei Monate keinen Lohn. Stattdessen durfte sie drei Pelze von den „Bestien mitnehmen“, die sie jetzt wieder aus sicherer Entfernung füttern muss.
*** Ende ***
Tobias Zihn