Serbien

Die Legende vom serbischen Che Guevara

„Otpor ist schwer zu definieren. Es ist ein Bewusstseinszustand. Eine Idee.“ Goran Daskovic zieht an seiner Zigarette. Der letzte Zentimeter Tabak glimmt auf. „Otpor waren wir alle“, sagt er und drückt den Stummel in den Aschenbecher. Heute schreibt der Journalist aus Valjevo für einen amerikanischen Mediendienst und eine serbische Tageszeitung. Vor fünf Jahren war er Otpor-Sprecher für den westlichen Teil Serbiens. „Die Idee wurde an der Universität geboren und breitete sich schnell auf das ganze Land aus.“ Dabei seien es spätestens ab 1999 nicht mehr nur Studenten und Schüler gewesen, die mitmachten. Vielmehr sei eine ganze Volksbewegung entstanden, die die Grundlage für alles Spätere gelegt habe.

Der Journalist Dragan Bujosevic, Verfasser eines der wenigen Bücher über den 5. Oktober 2000, sieht dies ähnlich. Doch er betont, dass Otpor in der letzten entscheidenden Phase und vor allem im Oktober 2000 nicht in dem Maße aktiv gewesen sei, wie heute behauptet. Selbst die Schlüsselrolle der Organisation Ende der Neunziger Jahre sei eher passiver Natur gewesen. Seine provokante These: „Milosevic hat Otpor aufgebaut.“ Milosevic habe nicht gewusst, was er mit Otpor anfangen solle; die Polizei trieb er zu völlig überzogener Gewalt an. Dadurch habe Milosevic indirekt an dem Aufbau der Organisation mitgewirkt.

Am aktuellen Bild von Otpor in der Welt stört sich wie viele ihrer Kommilitonen auch Jelena Vasiljevic. „Leute im Ausland denken immer, dass wir Otpor idealisiert haben.“ Der Belgrader Ethnologie-Studentin sei aber wichtig, dass andere Organisationen und Bewegungen bei der Mobilisierung der Bevölkerung am Ende eine viel wichtigere Rolle gespielt hätten. „Otpor war nicht Che Guevara in Serbien.“ Außerdem kritisiert sie die fehlende Transparenz des Umganges mit Spendengeldern amerikanischer Organisationen. „Ich hätte mir eine Dokumentation gewünscht, wer den Jungs wie viel bezahlt hat und was sie damit gemacht haben.“

Dass Otpor Spendengelder aus dem Ausland kassiert hat, gilt als unumstritten. George Soros, US-Multimillardär, soll durch sein demokratieförderndes Open Society Institute als einer der Hauptgeldgeber aufgetreten sein. Dadurch konnten Otpor-Aktivisten auch in anderen osteuropäischen Transformationsländern wie Georgien, der Ukraine und Kirgistan den politischen Wandel unterstützten. Dragan Bujosevic sieht in den Finanzspritzen für Otpor kein Problem. „Zum einen handelt es sich nicht um soviel Geld, wie behauptet wird. Zum anderen hat die ganze Opposition Geld aus dem Ausland erhalten.“ Allerdings besitze er auch Informationen, nach denen einige der Otpor-Mitglieder die Bewegung gezielt zur eigenen Bereicherung genutzt hätten.

Solche Vorwürfe kratzen am Mythos Otpor. Vor fünf Jahren war das noch ganz anders. Es galt als gefährlich, in der Öffentlichkeit ein T-Shirt oder einen Ansteckbutton mit dem Logo der Bewegung zu tragen, einer geballten Faust. Heute schmücken nach fünf Jahren noch die Schriftzüge „Otpor“ und das auf Milosevic bezogene„Gotov je“ („Er ist fertig“) als Graffiti viele Häuserwande, Mülltonnen und Straßenschilder in Serbien. Das heutige Bild von Otpor wird in der öffentlichen Wahrnehmung der Serben zunehmend durch die Geschehnisse in den Jahren nach dem Umsturz beeinflusst. So hat sich nach der Revolution die Bewegung in drei Gruppen aufgelöst, von denen die eine als Nichtregierungsorganisation, die andere als politische Partei und die dritte als Bewegung versuchte, den Geist des 5. Oktober 2000 weiterzutragen.

Inzwischen sind diese Bemühungen im Sande verlaufen, die ehemaligen Aktiven sind in politischen Ämtern oder anderen Organisationen verschwunden. „Otpor hätte sich nach dem 5. Oktober auflösen müssen“, kommentiert Goran Daskovic die Zerfaserung der Aktion in den letzten Jahren. Aber in erster Linie sei es damals darum gegangen, Milosevic zu entfernen, und dies sei gelungen. Ungeachtet der heutigen Diskussionen sei für ihn die damalige Revolution trotzdem „für die ganze Welt der Beweis, dass man alles erreichen kann, was man will.“


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