Den Glauben an die Politik verloren
Am 5. Oktober 2000 gingen mehr als eine Million Serben auf die Straßen von Belgrad. Sie erzwangen das Ende der Ära Milosevic und verhalfen der Opposition um Zoran Djindjic zur Macht. Heute, am fünften Jahrestag dieser friedlichen Revolution, scheint sich die Bevölkerung enttäuscht von der Politik abgewandt zu haben. „Es ist nicht leicht, mehrere Jahre denselben Kampf zu kämpfen. Du denkst, dass du einige Schritte nach vorne gemacht hast und findest dich doch an der gleichen Stelle wieder“, sagt Miljenko Dereta, ein Filmemacher, der jahrelang gegen das Milosevic-Regime gekämpft hat.
Auch jetzt setzt sich Dereta als Direktor der „Bürgerinitiative Bürgerlicher Zusammenschluss für Demokratie und bürgerliche Erziehung“ für die Förderung politischen Handelns und den Aufbau einer Zivilgesellschaft ein. Doch zwischen den unterschiedlichen Wertesystemen der Bürger und der politischen Elite des Landes sieht er einen grundlegenden Konflikt – der heute sogar noch größer als nach dem Ende Milosevics sei. „Zurzeit werden wir Zeuge der Rückkehr von sehr traditionellen politischen Ideen unter großem Einfluss der Kirche, die in meinen Augen ein sehr schlechter Partner für jeden Staat ist.“
Auch Hari Stajner, ehemaliger Direktor des Belgrader Medienzentrums, sieht dem fünften Jahrestag der politischen Wende zurückhaltend entgegen. Für ihn liegt der Grund für die ernüchternde Situation seines Landes auf der Hand. „Es gab keinen 6. Oktober.“ Diese Formulierung hat sich mit der Zeit tief im Sprachgebrauch der Serben verwurzelt und sagt aus, dass nach dem Ende Milosevics tiefgehende inhaltliche und vor allem personelle Reformen ausgeblieben sind. Nur in den Medien hätten laut Stajner die regimetreuen Journalisten ihren Arbeitsplatz räumen müssen. In der Polizei, der Armee und den Gerichten säßen immer noch die alten Kader. „Viele der damaligen Regimevertreter kommen nun nach fünf Jahren wieder an das Licht der Öffentlichkeit.“
Einer, der sich intensiv mit dem 5. Oktober beschäftigt hat, ist der Journalist Dragan Bujosevic. „Kostunica hat in einigen Punkten den Zustand unter Milosevic wiederhergestellt“, sagt er. Heute kritisiert Bujosevic vor allem die wieder erstarkte Parteikontrolle der Medien, staatlicher Institutionen, der Gerichtsbarkeit und der Polizei. Wenn man eine Bilanz ziehe, so müsse man klar zwischen der Regierung von Zoran Djindjic und der Regierung von Vojislav Kostunica unterscheiden. „Nach dem 5. Oktober sind sie zwei Schritte vorangegangen und danach zwei Schritte zurück.“ Beispielsweise hätten die Medien zurzeit von Djindjic absolute Freiheit gehabt. Dies ließe sich daran erkennen, wie viele kritische Berichte es über ihn und seine Regierung in jener Zeit sogar im staatlichen Fernsehen gegeben habe. Über die aktuelle Regierung dagegen würde sich in den Nachrichten kein einziges kritisches Wort finden lassen.
An der Vorgehensweise von Djindjic, der 2003 einem Attentat zum Opfer fiel, mangelt es hingegen auch heute in Medien und Bevölkerung nicht an Kritik. Er sei zu kompromissbereit gegenüber dem politischen Gegner gewesen, heißt es, habe zu viele Reformen gleichzeitig angestoßen. „Es hätten Prioritäten gesetzt werden müssen“, meint auch Miljenko Dereta. Doch der Bürgerrechtler gibt die Hoffnung nicht auf. „Wir haben gelernt, dass wir geduldiger sein müssen und dass es unverzichtbar ist, dem Staat beim Aufbau seiner Institutionen zu helfen.“ Man könne nicht über das theoretische Glück der freien Gerichtsbarkeit sprechen, wenn man die Richter nicht praktisch in ihrem Kampf für die Unabhängigkeit vom Staat unterstütze. Nicht ganz ohne Hoffnungen gibt sich auch der Journalist Bujosevic: „Ich habe mir schon damals keine Illusionen gemacht, dass sich über Nacht so vieles in Serbien verändern würde“ „Die größte Änderung muss in den Köpfen der Menschen stattfinden.“ Diese hätten 50 Jahre in einem System mit nur einer Botschaft gelebt. „Alles was Du brauchst, ist die Partei und der Staat.“