Polen

Krakau - Stadt der Dichter

Zu Krakau hatte der große polnische Nationaldichter Adam Mickiewicz eigentlich keine Beziehung. Mickiewicz kam 1798 in einem litauischen Dorf zur Welt. Er lebte in Wilna, Moskau, in Weimar oder Paris - und starb 1855 in Konstantinopel. Gleichwohl wurde sein Leichnam 1890 nach Krakau überführt und dort beigesetzt. Und im Jahre 1898, zum 100. Geburtstag des Romantikers, setzte man ihm auf dem alten Krakauer Ringplatz vor den berühmten Tuchhallen ein Denkmal, das bis heute als ein Wahrzeichen der Stadt gilt. Krakau, das bereits 1597 den polnischen Regierungssitz verlor, ist bis heute inoffiziellen Hauptstadt der polnischen Kultur geblieben - nicht ohne Grund.

Die Publizistin, Übersetzerin und Kritikerin Marta Kijowska, die 1955 in Krakau zur Welt kam und in München lebt, hat jetzt das literarische Leben ihrer Geburtsstadt porträtiert. Das Buch "Krakau", im Untertitel "Spaziergang durch eine Dichterstadt", erschienen bei DTV, stellt eine Stadt der Künstler und Gelehrten vom 19. Jahrhundert bis auf den heutigen Tag vor. Mit viel Hintergrundwissen, im Plauderton und nicht ohne Sinn fürs Anekdotische bringt Marta Kijowska die Dichter der Stadt dem deutschen Publikum nahe: Die polnischen Literaturnobelpreisträger Wisława Szymborska und Czesław Miłosz - oder Sławomir Mrożek, den auch im westlichen Europa seit langem berühmten Dramatiker. In Krakau lebt aber ebenso Stanisław Lem, den man auf der ganzen Welt als Altmeister des Science Fiction kennt.

An großen Namen herrscht in dieser Stadt wahrlich kein Mangel. Schließlich hat sogar der frühere Erzbischof und spätere Papst Johannes Paul II. während des Zweiten Weltkriegs als Lyriker und Dramatiker im Krakauer Untergrund gewirkt.

Immer wieder spürt die Autorin den Wechselbeziehungen zwischen Kunst und gesellschaftlicher Wirklichkeit nach. Ein Beispiel dafür sind Leben und Werk des Malers und Dramatikers Stanisław Wyspiański. Ein junger Krakauer Dichter und Freund Wyspiańskis heiratete im Jahre 1900 ein Bauernmädchen aus der Umgebung. Damals war Polen ein Land ohne Staat, und die alte Königsstadt gehörte zur österreichischen Provinz Galizien, war aber nicht einmal Verwaltungssitz dieser Provinz, denn den hatten die Habsburger in Lemberg eingerichtet. Die Hochzeit, auf der Wyspiański zugegen war, ging in den Kanon der polnischen Nationalliteratur ein, denn der Dichter verwandelte das Fest in eine Parabel über nationale Befindlichkeit unter den Fremdherrschaften im geteilten Polen. "Die Hochzeit", das Versdrama über einen bald verflogenen patriotischen Rausch der Krakauer Gesellschaft, wurde im Ausland meist nur mit Mühe verstanden. In Polen avancierte es zu einem der meistgespielten Bühnenwerke und stellte seine Aktualität im Blick auf die Lage der Nation auch in den Zeiten, die dann kamen, unter Beweis: Im Zweiten Weltkrieg organisierte ein Hans Frank als "Generalgouverneur" vom Wawel aus, dem Krakauer Schlossberg, die deutsche Terrorherrschaft über das besetzte Polen. Nach 1945 bemühten sich die kommunistischen Machthaber letztlich vergeblich darum, den an der polnischen Geschichte orientierten, stolzen Traditionalismus der Krakauer Bürger zu brechen. Alte Bürger- und Gelehrtentraditionen in der ältesten polnischen Universitätsstadt halfen dabei, standhaft zu bleiben. Eine Gruppe von weltoffenen katholischen Intellektuellen bereicherten die Stadt um eine der besten Zeitungen des Landes, den "Tygodnik Powszechny", der sich den Ansprüchen der Machthaber niemals beugte, dafür Dichter und Gelehrte unterschiedlichster Couleur zu Wort kommen ließ.

Zum Glück für den Leser gerät Marta Kijowskas "Spaziergang durch eine Dichterstadt" nicht zu einem hymnischen Gesang. Immer mal wieder ist auch von der Arroganz und Engstirnigkeit des städtischen Bürgertums die Rede. Schließlich waren es Krakauer, die dem Dichter und Nobelpreisträger Czesław Miłosz, als er vor einem Jahr starb, ein Ehrengrab im Paulinenkloster, dem polnischen Pantheon, verweigern wollten. Sie zogen schlicht das nationale Verdienst des Literaturnobelpreisträgers in Zweifel. Einer der wohl bedeutendsten Dichter Polens im 20. Jahrhundert, der allerdings auch ein paar Jahre Diplomat in kommunistischen Diensten war und anschließend Jahrzehnte im Exil gelebt hatte, missfiel ihnen einfach. Wo viel Licht ist, darf eben ein wenig Schatten nicht fehlen. Die Lektüre von Marta Kijowska Buch bereichern solche Kontraste nur.


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