Albanien

Neuer Ministerpräsident bestätigt

Im Büro des neuen albanischen Regierungschefs Sali Berisha hängt ein Portrait der berühmtesten Albanerin: Es ist ein Bild der Bauunternehmertochter Agnes Bajaxhiu, besser bekannt als „Mutter Teresa“. Während diese auszog, das Leid der Armen zu vertreiben, nimmt es der Sohn eines KP-Funktionärs mit einer anderen Geißel der Menschheit auf: Berisha kündigt einen bedingungslosen Kampf gegen die Korruption in Albanien an. „Die neue Regierung wird eine Regierung der sauberen Hände sein“, verspricht er in seiner Regierungserklärung. Nach Schätzungen versickern rund 60 Prozent des albanischen Steueraufkommens in dunklen Kanälen. Schnellstmöglich umkehren soll sich der Trend – etwa durch Aufhebung der parlamentarischen Immunität bei Korruptionsverdacht. „Demokratische und rechtstaatliche Reformen sind der Schlüssel, das schlechte Image Albanien zu verbessern“, sagt Berisha, dessen Demokratische Partei (DP) im Juli die Parlamentswahl nach acht Oppositionsjahren gewann. Über zwei Monate dauerte es danach, bis die Einsprüche gegen das Wahlergebnis abgearbeitet waren und das neue Kabinett vom Parlament bestätigt werden konnte. Von 137 Abgeordneten stimmten am Wochenende 84 für die neue Regierung, obwohl Berishas Rechtskoalition nur über 81 Sitze verfügt. Die bisher regierenden Sozialisten und ihre Verbündeten stellen 59 Abgeordnete.

Ob ein Ministerpräsident Berisha seine Mission allerdings ähnlich beharrlich erfüllen wird wie einst Mutter Teresa, bleibt abzuwarten. Der Kardiologe, der zum Ärzteteam des berüchtigten Ex-Diktators Enver Hodscha gehörte, war lange selbst Teil des Systems, in den 90er Jahren als albanisches Staatsoberhaupt. In jenen turbulenten Zeiten machte er keine gute Figur. 1996 ließ Berisha nach Einschätzung internationaler Wahlbeobachter Kandidaten einschüchtern und Wahlurnen manipulieren. Durch das Scheitern von Spekulationsgeschäften, die nach dem berüchtigten Pyramidensystem funktionierten, verloren Tausende von Anlegern ihre Ersparnisse. Das Land glitt 1997 ins wirtschaftliche Chaos ab. Berisha versuchte in der Folge ein autoritäres Präsidialregime einzuführen, bevor er widerwillig von der Macht ließ.

Acht Jahre später präsentiert sich der Spross einer muslimischen Bergbauernfamilie, der Französisch, Englisch, Italienisch und Russisch spricht, runderneuert und tatendurstig – und sogar Skeptiker räumen ein, dass zumindest die Verjüngung der DP, die Berisha 1990 selbst gründete, gelungen ist. „Die Demokratische Partei hat sich im letzten Jahr stark gegenüber Politikfremden und Leuten geöffnet, die im Ausland waren“, lobt Endri Fuga von der prominenten Jugendbewegung „Mjaft!“. „Die neue DP ist nicht mehr die der 90er Jahre.“

Freilich macht Berisha selbst nach wie vor einen autoritären Eindruck. Seine Worte sind lautstark wie Donnerhall, seine Mimik schwankt unberechenbar zwischen Härte und Sympathie. Als der Politiker einen Gast zur Tür bringt und weitere Besucher bereits warten, winkt er ihnen auf entrückte Weise zu wie einst die Kommunistenführer dem vorbeiparadierenden Volk. Märchenhaft erscheint sein Aufstieg – als Kind hütete Berisha Schafe. Konzentriert man sich darauf, was er sagt, statt darauf, wie er es sagt, so scheint er seine Lektion gelernt zu haben: Der Alt-Präsident referiert über den Rechtsstaat und die Notwendigkeit, mit internationalen Organisationen zusammenzuarbeiten.

Außenpolitisch wird Albanien seiner Rolle als Stabilitätsanker des Balkans wohl treu bleiben. Sein Land müsse sich in der Kosovo-Frage zurückhalten, sagt Berisha mit Blick auf die mehrheitlich von Landsleuten bewohnte Nachbarprovinz, die formal zu Serbien-Montenegro gehört. Sein Land könne allenfalls darauf drängen, dass die Rechte der Serben und anderer Minderheiten gewahrt bleiben. „Kosovo könnte dank seiner immensen Kohlevorkommen eine Schlüsselrolle für die Energieversorgung der ganzen Region spielen“, sagt Berisha. Eine wirtschaftliche Entwicklung werde aber erst in Gang kommen, wenn die Statusfrage des noch immer von der UNO verwalteten Gebietes beantwortet ist. „Niemand investiert in ein Haus ohne Dach“, meint Berisha.

Das eigene Land könnten Investoren bald entdecken: Albanien hat sich nach den Krisen der 90er Jahre ökonomisch, politisch und sozial stabilisiert. Ausgehend von sehr niedrigem Niveau – Albaniens Wirtschaftskraft pro Kopf erreicht kaum ein Sechstel der deutschen und etwa die Hälfte der rumänischen Werte – ist die Wirtschaft des Landes im letzten Jahr um knapp sechs Prozent gewachsen, für die nächsten Jahre werden 6,5 Prozent vorausgesagt. Vor allem die Bauwirtschaft floriert dank der Gelder von Exil-Albanern. Das Wachstum ist keine abstrakte Größe: Die Bruttolöhne kletterten im letzten Jahr von 155 auf 191 Euro – bei nur wenig erhöhten Preisen.

Vor allem die Hauptstadt Tirana, deren sozialistisch-graue Fassaden der Bürgermeister von Studenten knallbunt anstreichen ließ, unterscheidet sich kaum noch von anderen quirligen Metropolen (Ost-)Europas. Die Landflucht der 90er Jahre hat den Verfall patriarchalischer Herrschaftsstrukturen beschleunigt, wie sie den Bergstaat in Jahrhunderten prägten, und wie sie Machtmenschen wie Berisha symbolisierten. Ab und an beanspruchen Familienväter noch das Wahlrecht für die ganze Familie, doch das Phänomen des family voting ist eine Randerscheinung geworden. Zunehmend lösen moderne Interessenvertretungen wie „Mjaft!“ die Clandisziplin ab. „Anders als in den 90er Jahren ist die albanische Zivilgesellschaft heute aktiv und gut vernetzt“, freut sich Artan Hodscha, Mitarbeiter der Tiraner Denkfabrik „Institut für zeitgenössische Studien“. Ein Zurück in die 90er Jahre sei undenkbar.

Vor allem eines verbindet den 62-jährigen Berisha mit den Jüngeren: Das gemeinsame Ziel, EU-reif zu werden. Er wolle den maßgeblichen EU-Politikern beweisen, dass sein Land schon vor 2014 soweit ist, donnert Berisha mit seiner bassstarken Stimme. Sollten seinen starken Worten Taten folgen, sein Eintrag im Geschichtsbuch fiele wohl doch nicht so düster aus wie bisher gedacht. Eine derartige Lichtgestalt wie die 2003 selig gesprochene Mutter Teresa wird er aber wohl nicht mehr werden.


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