Gegen das Verbot, Gefühle zu zeigen
Zoran runzelt die Stirn. Erneut lässt er den Pinsel in den Farbtopf gleiten. Mit ein paar schnellen Strichen korrigiert er die kritische Stelle auf der Leinwand. „Ich male am liebsten mit Öl“, sagt der 26-jährige lächelnd. „Es gehorcht mir.“ Geht der Strich einmal daneben, überdeckt ihn Zoran einfach mit einer neuen Farbschicht. Leider lässt sich der größte Fehler seines Lebens nicht ebenso mit einem Pinselstrich korrigieren: Nach einem schweren Raubüberfall mit Todesfolge hat Zoran die letzten sieben Jahre im Jugendgefängnis von Valjevo verbracht.
Knapp 90 Kilometer südwestlich der serbischen Hauptstadt Belgrad leben hinter vier Meter hohen Mauern über 170 jugendliche Schwerkriminelle. Seit Eröffnung der Anstalt 1976 haben einfache Diebstahlsdelikte die Statistik angeführt. Doch mit dem blutigen Zerfall Jugoslawiens in den Neunzigerjahren hat sich das Gefangenenprofil dramatisch gewandelt. Wer heute hier sitzt, hat sich durch ein Kapitalverbrechen an den Rand der Gesellschaft manövriert. Mord. Raub. Vergewaltigung. Gemeinsam stellen sich Betreuer, Lehrer und Therapeuten der Herausforderung, für die 18- bis 30jährigen Insassen eine Zukunftsperspektive zu formen. Das Angebot ist trotz extremen Geldmangels umfangreich. Hier können sie ihren Schulabschluss nachholen oder eine handwerkliche Ausbildung machen. Wenige beginnen sogar ein Studium. Ab sieben Uhr morgens beginnt ein achtstündiger Arbeitstag. Nachmittags sollen die Gefangenen bei Freizeitaktivitäten zu ihren eigenen Emotionen finden. Dies sei für die Betreuer der Schlüssel für eine erfolgreiche Resozialisierung. Sie kämpfen dabei gegen die inoffiziellen Gesetze der Gefangenen. Unter den ausnahmslos männlichen Jugendlichen ist es nämlich verboten, Gefühle zu zeigen.
Zoran gehört zu den wenigen, die stark genug sind, sich gegen dieses System zu stellen. Er ist Mitglied der Kunst-Arbeitsgruppe, zeigt viel Geduld und innere Ruhe wenn er bis zu einem halben Monat an einem Landschaftsgemälde arbeitet. „Ich kann sofort sehen, ob jemand Potential hat und Zoran trägt es zweifellos in sich.“ Milan Kanacki, etablierter Architekt und Designer, gehört zu den zehn bekannten serbischen Malern, die im Rahmen einer kleinen Künstlerkolonie mehrere Tage auf dem Gefängnisgrundstück mit den Jugendlichen arbeiten. „Die jungen Menschen hier saugen wie Schwämme neue Erfahrungen in sich auf. Und die Arbeit hier ist besonders befriedigend, weil sich ihr Effekt multiplizieren wird, wenn diese Menschen später eine eigene Familie haben werden.“
„Wir können einen Menschen nicht nur über seine Verbrechen definieren“, betont der stellvertretende Direktor Slobodan Arsenijevic. „Das was wir sehen, was die Medien darstellen, das ist nur eine äußerliche Assoziation. Aber dahinter verbergen sich viele Probleme, familiäres Leid, Schmerzen, Schläge.“ Natürlich kenne er die schrecklichen Taten seiner Schützlinge, „aber dieses Wissen muss ich irgendwie beiseite legen, um überhaupt mit ihnen arbeiten zu können.“ Dann erst sei der Blick offen für das persönliche Potential, das es zu entwickeln gelte. „Den Weg müssen sie alleine gehen. Wir können ihnen nur helfen, sie ein bisschen anschieben.“ Im Falle der Kunst-Arbeitsgruppe bedeutet dieses Anschieben, dass die besten Arbeiten in der Stadt ausgestellt, in der Gefängniszeitung gedruckt und als Kalender veröffentlicht werden. Höhepunkt ist der dreitägige Workshop der Künstlerkolonie, dessen Konzept Arsenijevic gemeinsam mit befreundeten Malern entwickelt hat.
Im Gegensatz zu den anderen 27 Haftanstalten des Landes für erwachsene Straftäter herrscht in Valjevo die Hoffnung, etwas bei den Insassen bewirken zu können, weil sich laut allgemeiner Auffassung der menschliche Charakter erst mit 25 Jahren festige. Bestes Beispiel scheint Zoran zu sein. Der Jugendliche genießt mittlerweile das volle Vertrauen der Betreuer. Er kann die Anstalt unbeaufsichtigt verlassen und hilft zwei Mal wöchentlich in einer Zahnarztpraxis. Nach seiner Entlassung in zwei Jahren möchte er als Automechaniker arbeiten. Ob er es schaffen wird?
Direktor Arsenijevic hat während seiner Arbeit schon viele Rückschläge und Enttäuschungen erlebt. „Der Mensch ist merkwürdig. Er vermag zu erstrahlen wenn alle erwarten, dass er untergeht und unterzugehen, wenn alle erwarten, dass er erstrahlt.“