Deutsch-ungarische Kraftprobe wegen Billigarbeitern
BUDAPEST (n-ost) - Als Ungarn als erstes Land des Ostblocks im Sommer 1989 den Eisernen Vorhang öffnete und so tausenden von DDR-Bürgern die Flucht nach Westen ermöglichte, schworen deutsche Politiker dem Land ewige Freundschaft. Nichts hält ewig: Seit im Zuge der EU-Osterweiterung immer mehr Ungarn selbst den Weg nach Westen genommen haben und sich im Dienste ungarischer Subunternehmen in Deutschland als Billigarbeiter verdingen, hat sich die Welt verändert.
Nachdem deutsche Medien im Zuge der Visa-Affäre immer mehr über osteuropäische Billigkonkurrenz im deutschen Handwerk berichteten, entdeckte auch das Bundesfinanzministerium das Thema. Allein im April 2005 wurden 134 mittel- und osteuropäische Firmen in Deutschland durchsucht. „Aufdeckung der Wirtschaftskriminalität bei Werkverträgen”, so lautete der Auftrag des Bundesfinanzministeriums. Eine Sonderkommission unter Führung der Oberfinanzdirektion Köln besuchte Schlachthöfe, Baufirmen und metallverarbeitende Betriebe in Bayern, Baden-Württemberg, Hessen, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen. Bei der Aktion der Soko „Bunda“ (auf Ungarisch „Mantel“ – ein Ausdruck für „Betrug“ in der Umgangssprache) kamen neben 700 Einsatzkräften der Finanzkontrolle Schwarzarbeit auch zwei Einsatzzüge der Münchener Bereitschaftspolizei, Ermittler der Steuerfahndung, mehrere Staatsanwälte sowie eine Einheit Sondereinsatzkräfte des Zollkriminalamts zum Einsatz.
„Wir wurden von einem bewaffneten Kommando abgeführt und verhört.“, erzählt Gyula Molnár, einer der Fleischer. Am Ende bilanzierte das Bundesfinanzministerium, dass „im Rahmen einer kriminellen Vereinigung gewerbs- und bandenmäßig mindestens 1500 ungarische Arbeitnehmer in die Bundesrepublik eingeschleust und hier als Billigarbeitskräfte beschäftigt” worden seien. Den Verdächtigten wurde unter anderen Betrug, Lohnwucher, Steuerhinterziehung, Veruntreuung von Arbeitsentgelt, Menschenschmuggel und Ausbeutung ausländischer Arbeitnehmer zur Last gelegt.
In Ungarn schlugen daraufhin die Emotionen hoch: Ziel der deutschen Behörden sei die systematische Verdrängung ungarischer Billigunternehmen, heißt in der Stellungnahme des ungarischen Vereins Internationaler Unternehmer. Während einer Demonstration vor der Deutschen Botschaft in Budapest Ende Juni klagte Boldizsár Tóth, der Vorsitzende, er kenne sogar einen Unternehmer, der 80 Tage lang in einem deutschen Knast saß und dann ohne jede Erklärung freigelassen wurde: „Der Betroffene erhielt nicht einmal eine Benachrichtigung über die Untersuchungsergebnisse der deutschen Polizei“. Tóth beschwert sich auch darüber, dass viele der geprüften Firmen die beschlagnahmten Rechnungen und Schriften bis heute nicht zurückbekommen hätten. „Auch Bankkonten sind noch gesperrt, zehn Firmen sind schon pleite”, so der Unternehmer, der den Gesamtschaden infolge verpasster Aufträge auf mehr als 500.000 Euro schätzt.
Um den entstandenen diplomatischen Schaden zu beheben, haben Deutsche und Ungarn eine gemeinsame Sonderkommission zur Untersuchung der Vorfälle eingesetzt. In dieser Woche fand die zweite gemeinsame Sitzung in Budapest statt. Zwar sei kein ungarischer Unternehmer mehr in Haft, es sei aber mit Anklagen zu rechnen, sagte Georg Wilhelm Adamowitsch, Staatssekretär des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit, in Budapest. Einige Unternehmer hätten bereits gestanden. Immer noch ist unklar, wie viele der 26 Unternehmen sich vor Gericht verantworten werden müssen. Zu den Gründen des deutschen Vorgehens erklärte der deutsche Unterhändler, dass allein durch Schwarzarbeit die deutsche Wirtschaft einen jährlichen Verlust von 300 Milliarden Euro erleide. Angesichts von 4,6 Millionen Arbeitslosen in Deutschland müsse „die Verwaltung ihre Tätigkeit vor der Öffentlichkeit legitimieren“.
Zu Unrecht beschuldigte Firmen würden die beschlagnahmten Dokumente und Gegenstände zurückerhalten, versicherte Adamowitsch seinem ungarischen Kollegen György Gilyán.
Gilyán, Staatsekretär des ungarischen Wirtschaftsministeriums, ist von der Unschuld seiner Landsleute überzeugt: „90 Prozent der in Deutschland tätigen ungarischen Unternehmen betreiben ihr Geschäft nach Vorschrift, aber gegen die restlichen zehn wurde bisher auch keinerlei Beweis hervorgezeigt”, betont er. Dass sich Kontrollaktionen nicht gezielt gegen Firmenbesitzer oder Beschäftigten aus Ungarn gerichtet hätten, wie Staatssekretär Adamowitsch behauptet, das bezweifeln die ungarischen Vertreter der Unternehmer in der Komission. Offenbar habe man vor polnischen Firmen mehr Respekt.
Auch in ihrer zweiten Sitzung konnten sich die Vertreter der beiden Länder nicht darüber einigen, wie eigentlich eine Scheinfirma von einem legalen Unternehmen zu unterscheiden sei. Der ungarische Staatssekretär sprach sich dafür aus, dass es sich nicht durch die Grösse der Produktivität im Heimatland entscheiden liesse, ob ein Dienstleister in einem anderen EU-Land gesetzmässig arbeitet oder nicht. Sein deutscher Kollege dagegen plädiert für eine Regelung, nach der mindestens ein Viertel des Firmeneinkommens in dem Land erwirtschaftet werden muss, in dem die Firma angemeldet ist.
Nach Auffassung der betroffenen ungarischen Unternehmer ist eine Dienstleistung in Deutschland nur dann gesetzwidrig, wenn die Firma überhaupt kein Einkommen im Herkunftsland aufzeigen kann.
Allerdings sind die Verhandlungspartner einig, dass es ein Fehler gewesen sei, nicht schon vor dem EU-Beitritt Ungarns entsprechende Regeln zu vereinbaren. Die Hauptleidtragenden sind ungarische und andere osteuropäische Metzger, Bauarbeiter und ihre Arbeitgeber, die sich nun an den Pranger gestellt sehen.
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