Bulgarien

Thronfolger Simeon wird vom Thron gestürzt

„Wir sind die Koalition für Bulgarien! Wir sind für die Liebe!“ Die Stimme der Moderatorin überschlägt sich. Mit einem Kusswettbewerb und Gratiskonzerten wirbt die Sozialistische Partei (BSP) um die Gunst des jungen Publikums im Studentenbezirk von Sofia. Auf der Freiluftbühne schwenken Parteiaktivisten der Postkommunisten etwas steif die noch aus anderen, gar nicht so fernen Zeiten bekannten roten Fahnen zu dröhnender Diskomusik, der Platz davor ist locker gefüllt. Gedränge gibt es bei den Getränken. „Schade, dass das Bier nicht gratis ist“, bedauert ein Junge. Ob er denn für die BSP stimmen werde? „Darüber muss ich noch nachdenken“, lautet seine Antwort. Zumindest vertrete die Partei soziale Forderungen. „Ich werde die BSP nicht wählen“, erklärt wiederum eine junge Frau, die etwas abseits steht. Auch ihr Freund winkt ab. Beide befürchten, dass ein Wahlsieg der Sozialisten die notwendigen Reformen für den EU-Beitritt 2007 verzögern könnte.

Nach einem unspektakulären Wahlkampf entscheiden die Bulgaren am Samstag über ihr neues Parlament. Dass die BSP mit der „Koalition für Bulgarien“ einen Wahlsieg davontragen wird, gilt seit Wochen als sicher. Verschiedene Umfragen prognostizieren einen Wähleranteil zwischen 30 und 36 Prozent. Abgeschlagen auf dem zweiten Platz liegt hingegen die Partei des derzeitigen Ministerpräsidenten Simeon Sakskoburggotski, die „Nationale Bewegung Simeon II.“. Sie wird voraussichtlich nur knapp über 20 Prozent der Stimmen erreichen. Kurz vor den letzten Parlamentwahlen im Jahr 2001 war der ehemalige Thronfolger Simeon II., der vor den Kommunisten ins Exil geflüchtet war, zurückgekehrt und hat einen großen Wahlsieg errungen. Innerhalb von 800 Tagen hatte er damals soziale Verbesserungen und einen „europäischen Lebensstandard“ angekündigt. Doch heute sind viele Bulgaren mit der Regierung unzufrieden. Trotz EU-Annäherung und wirtschaftlichen Wachstumsraten von zuletzt sechs Prozent hat sich die soziale Lage von weiten Teilen der Bevölkerung nicht verbessert.

Aus dem gemäßigt rechten Spektrum gibt es keinen richtigen Herausforderer. Hier kämpfen einige Kleinparteien um die verbleibenden Prozentpunkte. Nadezhda Michailovas Wahlbündnis „Vereinigte demokratische Kräfte“ (ODS) wird etwa zwölf Prozent erreichen. Auch die Partei des früheren Premierministers Ivan Kostov, „Demokraten für ein starkes Bulgarien“ (DSB), wird vermutlich in das neue Parlament einziehen.

In den letzten Tagen zeigten sich Kommentatoren zunehmend beunruhigt über die wachsende Popularität der nationalistischen „Koalition Ataka“ von Volen Siderov. Während des Wahlkampfes haben die anderen Parteien seine radikalen Parolen ignoriert. Doch „Ataka“ könnte knapp der Einzug ins Parlament gelingen, prognostizieren die Agenturen. Auf der Abschlussveranstaltung der radikalen Partei haben sich mehrere hundert Menschen vor der Alexander-Nevski-Kathedrale versammelt. Unter dem Jubel der Menge hetzt Siderov gegen Investoren und Ausländer, „die unseren bulgarischen Boden aufkaufen“. Vor allem aber macht der Publizist Roma und Türken für die sozialen Missstände im Land verantwortlich. Die TV-Nachrichten in türkischer Sprache gehörten abgeschafft, so Siderov. „Er sagt einfach die Wahrheit. Er belügt uns nicht“, meint ein Mann begeistert. Der Soziologe Juri Aslanov beschreibt „Ataka“ als radikale Protestpartei, die vor allem bei Pessimisten punkte.

Mehr noch als „Ataka“ beschäftigt die Regierung die niedrige Wahlbeteiligung von etwa 50 bis 60 Prozent. Um diese zu erhöhen, hat die Regierung eine mit zwei Millionen Leva (etwa eine Million Euro) dotierte Wahllotterie ins Leben gerufen. Als Hauptpreis winkt ein Wagen der Marke „Hyundai“, außerdem werden Handys, Computer verlost. Mittels SMS und der Angabe eines Codes können sich die Wähler am Samstag zur Verlosung anmelden. Doch kaum jemand ist von der Kampagne begeistert. Viele Menschen bezeichnen die Lotterie als „Geldverschwendung“.

Wie eine zukünftige Regierung aussehen könnte, ist noch unklar. Sergej Stanishev, der junge, modern wirkende Parteichef der BSP will zwar Premier werden, allein regieren wird er wohl nicht. Premier Sakskoburggotski schloss im Wahlkampf wiederholt eine Koalition mit der „linken“ BSP aus. Sein derzeitiger Koalitionspartner hat hingegen Interesse angemeldet. Achmed Dogan, Parteichef der liberalen Bewegung für Rechte und Freiheiten (DPS), verlautete, dass seine Partei selbstverständlich auch mit den Sozialisten koalieren würde. Die vor allem bei der türkischen Minderheit beliebte DPS wird im neuen Parlament zwar nur auf etwa sieben bis neun Prozent kommen, doch hat sie als „Zünglein an der Waage“ bereits langjährige Regierungserfahrung. Die Neuauflage einer links-liberalen Koalition ist durchaus denkbar.


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