Wahllotterie in Bulgarien
„Sofia ist ein Staat außerhalb des Staates“, erklärt Stefan Kasabov, der in der Nähe der Uhr auf einer Parkbank sitzt. Der 25-Jährige lebt seit einem knappen Jahr in der Hauptstadt und arbeitet als Verkäufer in einem Modeladen. Hier in der Hauptstadt spüre man bereits den ökonomischen Aufschwung, sagt er. An den Parlamentswahlen am 25. Juni wird Stefan teilnehmen. Er will der Partei des jetzigen Ministerpräsidenten Simeon Sakskoburggotski, der Nationalen Bewegung Simeon II. (NDSW), eine „zweite Chance geben“. Bulgarien sei auf dem richtigen Weg, so der junge Mann. Es sei nicht gut für das Land, wenn kurz vor dem Beitritt zur EU eine neue Regierung „wieder bei Null anfängt“.
Ein Wahlsieg von Sakskoburggotskis Partei ist allerdings wenig wahrscheinlich. In Umfragen erreicht die NDSW nur etwa 15 Prozent und liegt damit nur auf Platz zwei hinter der Bulgarischen Sozialistischen Partei (BSP). Diese erreicht in verschiedenen Prognosen fast doppelt soviel Wähleranteile. Bei den letzten Parlamentwahlen im Jahr 2001 errang der ehemalige Thronfolger Simeon noch einen überwältigenden Wahlsieg. Innerhalb von 800 Tagen hatte er damals soziale Verbesserungen angekündigt. Doch heute sind viele Bulgaren mit der Regierung unzufrieden.
Nun sind es die Sozialisten, die vollmundig den ausgebliebenen ökonomischen Aufschwung für die Bevölkerung versprechen. Sergej Stanishev, der junge, modern wirkende Parteivorsitzende, will 240.000 neue Arbeitsplätze schaffen und verspricht höhere Ausgaben im Gesundheits- und Bildungsbereich. Der Mindestlohn soll auf 140 Euro angehoben werden, derzeit beträgt er die Hälfte. „Für das bulgarische Dorf“ steht auf einem der Wahlplakate der BSP geschrieben, daneben ist ein Rentnerpärchen abgebildet. Aber nicht nur an ihr Stammklientel – von der Marktwirtschaft enttäuschte ältere Menschen aus ländlichen Gebieten – wendet sich die BSP. Ein anderes Sujet zeigt junge, dynamische Menschen: „Für den Weg der Träume“ ist hier zu lesen. Unter Jugendlichen hat die Partei nach wie vor vergleichsweise wenig Zulauf.
Außer den unzähligen an Häuserwänden und Masten angeklebten Plakaten ist in Sofia wenig von den kommenden Wahlen zu spüren. Viele Bulgaren sind unbeeindruckt von der anstehenden Entscheidung. Geschätzte 40 Prozent werden erst gar nicht zu den Urnen gehen. Am Zhenski Pazar, dem größten offenen Markt im Zentrum, verkaufen nicht nur Händler, sondern auch viele Bürger selbstgezogenes Gemüse und Obst. Zwei Frauen bieten handgemachte Reisigbesen an. Zwei Leva, umgerechnet einen Euro, kostet so ein kleines Putzgerät. Jeden Tag sind die Frauen am Markt anzutreffen, Samstag und Sonntag eingeschlossen. „Während der Zeit von Toscho war es besser“, bekräftigt die jüngere Verkäuferin. Obwohl sie Ende der Achtziger Jahre gerade mal ein Teenager war, meint sie die Vorteile der Ära Todor Zhivkovs, im Volksmund liebevoll-ironisch „Gevatter Toscho“ genannt, zu kennen. Zumindest hätten ihre Eltern damals sichere Arbeit gehabt. An den Parlamentswahlen werde sie nicht teilnehmen, fährt die Frau fort, das ändere doch nichts.
Während Premier Sakskoburggotski derzeit eine Koalition mit der BSP ausschließt und sich als einzige Alternative zu einer linken Regierung präsentiert, hat sein derzeitiger Koalitionspartner bereits mehrmals Interesse angemeldet. Achmed Dogan, Parteichef der liberalen Bewegung für Rechte und Freiheiten (DPS), verlautete, dass seine Partei selbstverständlich auch mit den Sozialisten koalieren würde. Die vor allem bei der türkischen Minderheit beliebte DPS hält zwar nur ein paar Prozentpunkte, doch war sie bereits in vielen Koalitionsregierungen das „Zünglein an der Waage“.
Auch das rechte Lager macht für die Wahlen mobil. An der Parteizentrale des konservativen Wahlbündnisses „Vereinigte demokratische Kräfte“ (ODS) prangt ein blaues Plakat mit der Aufschrift „Bulgarien – das bist Du!“. Doch das rechte Lager ist in mehrere Kleinparteien gespalten. So hat sich der ehemalige Premierminister Ivan Kostov von seiner Stammpartei getrennt und kandidiert mit seiner eigenen Liste „Demokraten für ein starkes Bulgarien“. Auf die vorderen Ränge wird es wohl keine der beiden Parteien schaffen.
Ein Problem macht allen Parteien zu schaffen: die geringe Wahlbeteiligung. „Ich bin jung und gehe wählen!“ lautet das Motto einer landesweiten Kampagne, die die besonders geringe Wahlbeteiligung junger Leute anheben soll. In öffentlichen Debatten, Werbespots und Plakaten rufen Prominente die Jugendlichen zum Urnengang auf. Einen besonderen Köder hat sich die Regierung einfallen lassen. Alle Wähler nehmen gleichzeitig an einer Lotterie teil, in der begehrte Handys und Computer verlost werden. Die Kampagne ist umstritten: Die Opposition verurteilt die aus öffentlichen Geldern finanzierte Lotterie. Anscheinend hat die unkonventionelle Maßnahme auch bei den Bürgern nicht die gewünschte Wirkung. Eine Umfrage ergab, dass die Mehrheit der Befragten die Idee einer Wahllotterie ablehnt. Doch ob sich die Bulgaren entsprechend aller Vorhersagen verhalten, wird sich erst am kommenden Samstag entscheiden.