Russland

Der Fall Chodorkowski - ein Kommentar

Allerdings: Andere russische Wirtschaftskapitäne klaubten ihre Vermögen in den wilden 90er Jahren auf ähnliche Weise zusammen. Sämtliche Oligarchen zu belangen, hätte die russische Wirtschaft aber in eine schwere Krise gestürzt. Der russische Staat suchte sich daher ein Opfer, um allen Gesetzesbrechern seine „Folterinstrumente“ möglichst wirkungsvoll zeigen zu können. Chodorkowski bot sich an, weil er der Reichste von allen war, weil er anfing, politisch Einfluss zu nehmen, und weil sein Konzern vor dem Verkauf an amerikanische Investoren stand.
Innenpolitisch ist das Kalkül des Kreml aufgegangen: Wesentliche Teile des Jukos-Imperiums sind wieder unter staatlicher Kontrolle. Und die im Inland verbliebenen Oligarchen zeigen sich nun staatstreuer und „steuerzahlungsfreundlicher“, als sie es noch vor zwei Jahren waren.
International jedoch hat das Vertrauen in die demokratische Entwicklung Russlands gelitten. Es gab und gibt zu viele ungelöste Fragen in dieser Affäre: Warum wurde der Jukoskonzern mit der gigantischen Steuernachforderung von 27,5 Milliarden Dollar überzogen und schließlich fast völlig zerschlagen? Warum wurde Chodorkowski während der Haftzeit derart isoliert, seine Anwälte schikaniert? Warum wurde schließlich die Urteilsverkündung erst verschoben, dann unerträglich lange ausgedehnt?
Alvaro Gil-Robles, der Menschenrechtskommissar des Europarates, bezeichnete Russland vor wenigen Tagen, trotz aller Kritik im Einzelnen, als eine „große europäische Demokratie“. Das Gutachten hatte Waldimir Putin persönlich in Auftrag gegeben. Putin selbst betont dieser Tage immer wieder die Entscheidung Russlands für eine europäische Entwicklung. Es ist unverkennbar, dass die Kritik an den Umständen des Prozesses in Russland Wirkung zeigt. Der Westen insbesondere Deutschland tut gut daran, weiter missliebige Fragen zu stellen. Man sollte dies aber in der Sache wohl überlegt und nicht mit erhobenem Zeigefinger tun, und nicht indem man Chodorkowski als Musterdemokraten verklärt.


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