Russland schottet sich ab
Nowosibirsk (n-ost) - Während sich in Europa die Grenzen öffnen, schotten sich die Staaten der ehemaligen Sowjetunion mehr und mehr ab. Am 24. Mai trat ein neues Abkommen zwischen der Russischen Föderation, Weißrussland, Kasachstan, Kirgisien und Tadschikistan in Kraft, welches die Reisevorschriften untereinander erheblich verschärft.
Genügte zur Grenzüberschreitung zwischen den Bruderländern bislang der Inlandspass – vergleichbar mit dem deutschen Personalausweis – wird nun fast überall ein Auslandspass – das Gegenstück zum deutschen Reisepass – gefordert. Dieses Dokument besitzt aber nur ein kleiner Teil der Bevölkerung.
Zu Sowjetzeiten hatten Republikgrenzen sowohl beim Aufbau der Infrastruktur als auch bei der Familienplanung keinerlei Bedeutung. In der Folge queren Züge heute während Ihrer Fahrt mehrfach Ländergrenzen und Familien sind meist auf mehrere Staaten verteilt. Nach den neuen Regelungen wird nun aber beispielsweise für eine Fahrt im russischen Zug vom sibirischen Omsk nach Wolgograd an der Wolga ein Reisepass nötig, denn die Strecke verläuft über Petropawlowsk in Kasachstan.
Da längst nicht alle Bürger mit den nun nötigen Reisedokumenten ausgestattet sind und chaotische Zustände an den Grenzen zu befürchten sind, haben einige Länder in letzter Minute die Notbremse gezogen. Am 14. Mai verkündete Kasachstan, alle Russen im Transit passieren zu lassen, kurz danach vereinbarten die beiden Präsidenten Wladimir Putin und Nursultan Nasarbajew vorübergehend eine vollkommene Aufhebung der Regelung. Auch Weißrussland hat das Abkommen um Sonderregelungen ergänzt.
Die Gründe der Initiative sind nicht aus der Welt. Russland möchte sich vor allem vor mittelasiatischen Schwarzarbeitern abschotten, fundamentale Islamisten besser ausweisen können und der EU ein sicherer Nachbar sein. Doch die Bevölkerung aller Länder ist beunruhigt, daher bilden sich inzwischen lange Schlangen vor den Passbehörden – beispielsweise in einigen Stadtbezirken des sibirischen Nowosibirsk. Der 23-jährige Aleksandr steht nun bereits zum dritten Mal am Einwohnermeldeamt: „Ich weiß nicht, wie ich meine Gefühle ausdrücken soll. Vor mir in der Warteliste sind 1584 Namen geschrieben.“ Seine Ohnmacht ist verständlich, denn pro Tag werden hier nur ganze 25 Anträge bearbeitet.
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Norbert Schott