Gipfel des Europarates in Warschau – Interview mit Außenminister Rotfeld
„Wir leben in der Epoche eines fundamentalen Wandels“
Interview mit Polens Außenminister Adam Rotfeld zum Europaratsgipfel in Warschau und zum deutsch-polnischen Verhältnis
Von Andreas Metz, Tel. 030/327-88-486, E-Mail: amadmetz@gmx.de
Warschau (n-ost) - In Warschau ging am Dienstag das zweitägige Gipfeltreffen der 46 Mitgliedsstaaten des Europarates zu Ende. Nie zuvor in der über 56-jährigen Geschichte des Rates traf sich ein derartiges Aufgebot an Staats- und Regierungschefs. Der polnische Außenminister Adam Daniel Rotfeld, Vorsitzender des Ministerkomitees des Europarates, verbindet das Treffen mit grundlegenden Reformbemühungen. n-ost-Korrespondent Andreas Metz sprach mit Rotfeld in Warschau. Dabei ging es auch um die Rolle Deutschlands und die Probleme des deutsch-polnischen Verhältnisses. Der 67-Jährige Rotfeld ist Professor für Humanwissenschaften und seit 5. Januar 2005 polnischer Außenminister. Rotfelds jüdische Eltern wurden Ende des 2. Weltkrieges durch die Nazis ermordet.
Herr Rotfeld, Sie sind Gastgeber des größten Treffens des Europarates aller Zeiten. Mit Ausnahme von Weißrussland sind alle europäischen Staaten vertreten, darunter auch junge Demokratien wie Georgien und Ukraine. Was für ein Signal soll von dem Warschauer Gipfel ausgehen?
Rotfeld: Für Polen ist der Gipfel ein Ereignis. Wir haben niemals in Warschau einen Gipfel mit fast 50 Staaten organisiert. Das Resultat wird aus fünf verschiedenen Dokumenten bestehen. Eine politische Deklaration bezüglich der Zukunft des Rates. Ein Dokument über die Beziehungen von OSZE und Europarat und drei Aktionsplänen: Konventionen zur Bekämpfung des Terrorismus, zur Bekämpfung des Menschenhandels und zur Bekämpfung von Geldwäsche und Korruption. Nichts davon ist von historischer Bedeutung, doch für uns ist das wichtig. Bislang wird Warschau mit einer Luftfahrtkonvention von 1929 und mit dem Warschauer Pakt verbunden.
Frage: Sie haben mehrfach eine Reform des Europarates gefordert. In welche Richtung soll diese gehen?
Rotfeld: In Europa haben wir viele multilaterale Strukturen, meiner Meinung nach zu viele: Europarat, die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), EU, NATO, die Liste ist noch viel länger. Die Mandate von Europarat und OSZE sind sehr ähnlich. Bereits 1992 wurde ein Konzept angeregt, das auf mehr Zusammenarbeit setzt. Doch tatsächlich blockieren sich die Institutionen heute eher. Der Europarat ist alt, die OSZE jung, der Europarat ist sehr reich, OSZE arm, der Europarat hat 1800 Angestellte, die OSZE zehnmal weniger. Wir wollen beide enger zusammenbringen, mit der Absicht, den Prozess der Vereinigung zu initiieren.
Frage: Die EU hat sich gerade auf 25 Staaten erweitert, auf internationaler Ebene gibt es die UNO. Ist der Europarat in Zeiten der Globalisierung überhaupt noch zeitgemäß?
Rotfeld: Wir halten den Europarat für eine wichtige Organisation und er sollte ein Instrument sein, Werte und Prinzipien zu vertreten. Er dient nicht der operativen Politik. Aber er ist sehr darauf orientiert, die Sicherheit von Individuen zu sichern, die Menschenrechte zu schützen. Individuen können sich etwa mit Hilfe des Europäischen Gerichtshofes gegen ihren eigenen Staat schützen. Dies war eine Reaktion auf die Misshandlungen des 2. Weltkriegs. Aber der Europarat muss sich ändern. Ändert er sich eine Organisation nicht zur rechten Zeit, wird sie marginalisiert. Wir leben in der Epoche eines fundamentalen Wandels in der Welt, eine Epoche der Demokratisierung. Darauf muss der Europarat reagieren.
Frage: Der Gipfel zeigt einmal mehr, wie selbstbewusst Polen mittlerweile auf internationaler Bühne auftritt. Das wird in Deutschland nicht immer gerne gesehen. Wie beurteilen sie das derzeitige Verhältnis der beiden Nachbarn?
Rotfeld: Als ich jung war, hätte ich nie geglaubt, dass wir je solche Beziehungen mit Deutschland haben könnten. Auf Deutsch könnte man sagen: „Das Feindbild ist abgebaut.“ In Polen sind wir in der glücklichen Situation, dass deutsche Eliten, egal welcher Partei sie angehören, viel empfindsamer sind, als die deutsche Gesellschaft. Es ist vielleicht unbequem, das zu sagen, aber es gibt eine Lücke zwischen der Empfindsamkeit der Elite und der deutschen Nation. Es ist sehr leicht, das Erreichte zu zerstören, so lange es nicht verankert ist im deutschen Volk
Frage: Sie spielen auf die Aktivitäten der Präsidentin des Bundes der Vertriebenen, Erika Steinbach, an?
Rotfeld: Tatsächlich beobachtete ich während des Konflikts um das von Erika Steinbach in Berlin geplante Zentrum gegen Vertreibungen, dass die Polen sehr empfindlich reagieren. Es gab eine breite Bewegung dagegen. Die Aussöhnung mit Frankreich war für Deutschland einfacher. Deutschland hat einen Minderwertigkeitskomplex gegenüber Frankreich, aber einen Überlegenheitskomplex gegenüber Polen. Bezogen auf das Volk ist es weit einfacher die Realität zu ändern, als Stereotype. Diese überleben Generationen. Noch akzeptiert das deutsche Volk Polen nicht als einen integralen Bestandteil der europäischen Zivilisation, Kultur und Gesellschaft. Es geht hier nicht um Steinbach. Es geht um die Spaziergänger auf der Straße. Wir sind in einer viel besseren Situation, als man jemals vor zehn oder zwanzig Jahren erwartet hätten, aber es dauert eine lange Zeit.
Frage: Die in Polen populären Zwillinge Lech und Jaroslaw Kaczynski – der erstere könnte bei den Doppelwahlen im Oktober 2005 zum neuen Staatspräsident gewählt werden, der andere gilt als aussichtsreicher Kandidat für das Amt des Premierministers – haben eine Rechnung aufgemacht, wonach man allein für die Zerstörung Warschaus 40 Milliarden Euro von den Deutschen an Reparationen verlangen müsste. Drohen dem deutsch-polnischen Verhältnis neue Belastungen?
Rotfeld: Gewöhnlich sagen Leute etwas anderes bevor sie an die Macht kommen, und verantwortungsvolle Leute ändern sich schnell, sie wissen dann, dass sie die Realität akzeptieren müssen und dass sie Verantwortung für das Land tragen. Wir haben ein relativ junges politisches System. Nach 1989 war es möglich, trotz zeitweise sehr rechtsorientierter Regierungen, dass die Außenpolitik Kontinuität behielt, und ich glaube es wir auch mit einem Premierminister oder Präsidenten Kaczynski so sein. Für die polnische Identität ist die historische Erinnerung sehr wichtig, und oft reagieren die Leute mehr auf die Ängste der Vergangenheit als auf die Herausforderungen der Zukunft.
Frage: Welchen Einfluss hat die polnische Presse auf die Politik? Immer wieder versucht man mit deutschfeindlichen Themen Auflage zu machen. Legendär ist etwa das Titelbild mit einer Erika Steinbach in SS-Uniform, die auf Kanzler Schröder reitet.
Rotfeld: Meiner Meinung nach sind die deutschen Zeitungen viel verantwortungsbewusster, als die polnischen Medien. In Polen zahlen wir den Preis für den Wechsel. Wir haben eine junge Generation, die nicht verantwortungsbewusst mit ihrem großen Einfluss umgeht. Wir brauchen da eine bessere Ausbildung. Die Macht der Medien ist heute enorm. Ich selbst bin kein Politiker, ich bin nur Außenminister aufgrund interner Entwicklungen, weil mich der Präsident gebeten hat. Ich mag Politik eigentlich nicht. Ich habe bemerkt, dass Politiker sehr empfindsam auf Medien reagieren, sie wollen präsent sein, jeden Tag im Fernsehen sein, in Zeitungen. Sie überlegen die ganze Zeit, wie sie die sie die paar Minuten Sendezeit nutzen. Das ist nicht mein Stil.
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