Militaria-Diebe überfallen Kriegsveteranen
Immer häufiger kommt es in Russland zu Überfällen auf Kriegsveteranen. In den Wohnungen der ehemaligen Soldaten suchen Kriminelle Auszeichnungen aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges. Auf dem Schwarzmarkt bekommen sie für einen Orden mehrere Hundert Euro. Für die betroffenen Veteranen ist der Verlust der Erinnerungsstücke schmerzvoll.
Ein Blutdruckmessgerät, zwei Medaillen und zwei Handtaschen mit Geld und Ausweisen – das ist die Beute, die sich dreiste Diebe aus der Wohnung von Michail Schmelew nahe der südrussischen Stadt Pensa holten. Dabei hatten sie die Wohnung nicht zufällig ausgewählt: Schmelew ist Kriegsveteran – bei ihm vermuteten die Einbrecher wertvolle Orden, die Schmelew für seinen Dienst in der sowjetischen Armee bekommen hat.
Die Diebe, die in dieser Nacht gleich zweimal bei Schmelew einbrachen, wurden fündig: Die beiden Medaillen hatte der Veteran anlässlich von Jahrestagen des Sieges über Hitler-Deutschland verliehen bekommen. Aus mehreren Teilen Russlands hat es in den vergangenen Monaten ähnliche Meldungen von Überfällen auf Kriegsveteranen gegeben. „Über das Land rollt eine Welle von Diebstählen“, schrieb die Tageszeitung Iswestija angesichts der Vorfälle.
Ein besonders schwerer Überfall mit Todesfolge ereignete sich in der südrussischen Stadt Lipezk. Dabei wurde der 92-jährige Kriegsveteran Wasili Poltawtsew von zwei Einbrechern mit mehreren Schlägen auf den Kopf niedergestreckt. Die Tochter des Überfallenen fand ihren Vater am nächsten Tag in einer Blutlache liegend. Zwei Wochen später starb Poltawtsew an den Kopfverletzungen in einem Krankenhaus.
Einer der beiden Einbrecher, der wegen ähnlicher Verbrechen bereits 13 Jahre im Gefängnis gesessen hatte, suchte angeblich nach einer Pistole, die der Veteran besessen haben soll. Doch die Pistole fand er nicht. Trotzdem machte der Gewalttäter reiche Beute: zwei Orden „Roter Stern“, ein Orden „Großer Vaterländischer Krieg“, 16 Jubiläumsmedaillen, 7.000 Rubel Rente (170 Euro) und ein Mobiltelefon.
Der Einbrecher wurde nach drei Tagen gefasst – für russische Verhältnisse ungewöhnlich schnell. Dennoch hatte er die Zeit, die Orden für 6.000 Rubel (145 Euro) an einen Hehler zu verkaufen. Doch als dieser erfuhr, woher die Orden stammten, übergab er sie von sich aus der Polizei. Dabei waren die Orden für ihn ein Schatz: Der Orden „Vaterländischer Krieg“ mit dem fünfzackigen roten Stern, dem Hammer und der Sichel wird auf dem Schwarzmarkt für bis zu 600 Euro gehandelt. Die Tapferkeitsmedaille „Otwagu“ ist 490 Euro wert.
Militaria-Händler reißen sich um die Orden, die auf Flohmärkten auch an Touristen verkauft werden. Derzeit steigen die Preise besonders, weil am 9. Mai das 65. Jubiläum des Sieges über die Hitler-Wehrmacht begangen wird. Doch nicht nur deshalb schlagen die Diebe in der jüngsten Zeit immer häufiger zu: Sie gehen davon aus, dass sie bei wehrlosen Rentnern leichter Beute machen, als bei deren Erben, sobald die Orden in deren Eigentum übergegangen sind.
Einige Ordens-Jäger geben sich, statt in die Wohnungen einzubrechen, als Mitarbeiter der Gasversorgung oder des Sozialamtes aus. Auch als Museums-Mitarbeiter verschaffen sich Betrüger Zutritt zu Wohnungen. Wenn die Diebe erstmal in der Wohnung sind, führt der direkte Weg zum Kleiderschrank. Dort hängt meist die Ordensjacke des Veteranen, ein Jackett, welche das mit bis zu 20 Orden und Jubiläumsmedaillen geschmückt ist. Es wird nur an Festtagen getragen. Deshalb ist der Verlust der Ordensjacke besonders schmerzvoll: „Man beleidigt damit das Teuerste, was die Veteranen haben: Die Erinnerung!“, sagt Olga, Tochter eines 85-jährigen Veteranen aus Wolgograd.
Angesichts der Welle von Überfällen hat die Stadtverwaltung von Moskau den Veteranen nun vorgeschlagen, ihre Ordensjacken dem Streitkräfte-Museum der Hauptstadt zur „zeitweiligen Aufbewahrung“ zu übergeben. Doch dass die Veteranen ihre geliebten Erinnerungsstücke tatsächlich hergeben und dem Staat überlassen, ist unwahrscheinlich.