Bosnien-Herzegowina

Die geteilte Stadt an der Neretva


Von n-ost-Korrespondentin Franziska Heidenreich (Kontakt:

franziskaheidenreich@gmx.de, + 49-172-6074967)


Mostar (n-ost). Alen Kuko steht auf der Alten Brücke in Mostar. Er wartet auf die ersten Touristen, um ihnen seine Stadt zu zeigen. Sie kommen jeden Tag zahlreicher, je näher der Sommer rückt. Es ist noch kein Jahr her, dass die berühmte Brücke Stari Most wiedereröffnet wurde. Die Brücke lockt wieder Gäste aus Europa und aller Welt in das einst sehr beliebte Reiseziel. „Sie kommen von der kroatischen Küste nach Mostar und bleiben leider selten über Nacht.“ Alen spricht fliessend Deutsch. Sechs Jahre war er während des Krieges in Deutschland. In Aachen machte er eine Ausbildung zum Metallbauer-Konstruktionstechniker und spielte für sämtliche Fussballvereine Aachens. Nun ist er selbsternannter Fremdenführer in seiner Heimatstadt.

Es ist noch früh morgens. Alen lehnt sich über das Geländer und schaut hinab in den blaugrünen Fluss. In einem steilen Bogen überspannt die Fußgängerbrücke die Neretva . Die Alte Brücke aus der Zeit der osmanischen Herrschaft ist von ungeheurerer Symbolkraft. Stari Most galt seit jeher als Brücke zwischen Okzident und Orient und als Wahrzeichen Mostars, wenn nicht ganz Bosniens. Während des Krieges wurde die Brücke von kroatischer Seite zerbombt. Es war ein willentlicher Akt der Zerstörung, der eine tiefe Wunde zurückließ – eine Wunde im Stadtbild und in den Herzen von Mostars Bewohnern. Mit Geldern der internationalen Gemeinschaft wurde die Brücke nicht ohne Widerstand von beiden Seiten rekonstruiert. Im Juli letzten Jahres wurde sie feierlich und in der Gegenwart internationaler Persönlichkeiten wiedereröffnet. Die Einweihung der neuen Alten Brücke wurde als Versöhnung gefeiert, als Brücke zwischen Ost und West, zwischen muslimischen Bosniaken und katholischen Kroaten.

Der Muezzin ruft, kurz darauf läuten die Glocken der katholischen Kirche. Das Leben in den Strassen ist lebendig und friedlich. Das sommerliche Wetter und das warme Licht Mostars lassen die Stadt trotz unentfliehbarer Kriegsnarben freundlich erscheinen. Als Besucher wird man kaum merken, dass Mostar eine geteilte Stadt ist.

Im Westen der Stadt wohnen nun Kroaten, im Osten Moslems. Die Brücke verbindet lediglich den muslimischen Teil im Osten mit einem muslimischen Streifen im Westen. Es ist eine rein muslimische Brücke; so sehen das vor allem die Bosniaken. Unweit der Brücke, hinter dem Bulevar, beginnt der kroatische Teil. Er ist größer und wirkt moderner mit seinen Hochhäusern und vielen Einkaufsläden. Im Osten der Stadt ist es ärmer, jedoch haben sie dafür die Altstadt auf ihrer Seite. Es gibt keine Grenzen, man kann sich frei durch die Stadt bewegen. Am Bulevar wachsen schon Bäume und Müllberge in den zerstörten Häuser und Ruinen. Hier war die Frontlinie; noch heute trennt sie die Stadt.

Die Brücke verbindet wieder Ost und West Mostars wie vor dem Krieg, doch das Zusammenleben ist noch weit entfernt von der Vorkriegssituation als Serben, Kroaten und Muslime sich die Stadt zu je einem Drittel teilten. Mostar galt als die multiethnische Stadt mit der höchsten Anzahl an Mischehen in ganz Jugoslawien. Doch das Aufbauen von gegenseitigem Vertrauen ist nicht so einfach wie das Wiederaufbauen von Bauwerken.

Alens Mutter ist Serbin, sein Vater ist Moslem. Vor dem Krieg wohnten sie im Westen der Stadt. Im Jahr 1993 flüchtete Alens Familie nach Deutschland. Zu diesem Zeitpunkt hatten sich die Serben in das Gebirge zurückzogen, nachdem sie Mostar von den umliegenden Bergen beschossen hatten und nun die einst verbündeten Kroaten und Muslime Mostars gingen auf einander los. Familie Kuko kam 1997 in eine völlig zerstörte und geteilte Stadt zurück. „Keiner weiß, was eigentlich passiert ist. Warum das passiert ist.“ Alen kann sich diesen Krieg nicht erklären. Keiner kann ihn erklären.

Mittags ist die Alte Brücke oft so voll, dass man sich einen Weg durch die Menschenmenge bahnen muss. Am Brückengeländer stehen junge Männer, nur in Badehosen; sie lassen sich bezahlen, um von der Brücke in die 29 Meter tiefere Neretva herunter zuspringen. Das Springen von der alten Brücke ist eine alte Tradition in Mostar. Der Brückenspringer steht bereit, beugt sich mit gestreckten Armen vornüber, die Zuschauer klatschen. Er hat sich nur gedehnt und sammelt doch noch ein bisschen mehr Geld ein. Eine deutsche Touristin schaut entsetzt. „Ich bezahle Sie doch nicht, damit Sie sich darunter stürzen!“ Doch auch sie bleibt stehen. Ob er wirklich springen wird?

Auf der Ostseite türmt sich der Müll. Es ist der Protest der Ostmüllabfuhr, da die Westmüllabfuhr nicht die Gebühren für die Müllhalde bezahlt, die nun mal in Händen der Ostmüllabfuhr liegt. „Das ist die Logik Mostars. Das kann man genauso wenig verstehen, wie denn Krieg der hier zwischen Nachbarn, Freunden und Brüdern tobte.“ Alen ist trotz Mostars unverständlicher Logik guten Mutes. „Langsam wird alles besser.“ Ende der Neunziger gab es noch zwei Währungen, zwei Telefonkarten und zwei Busbahnhöfe. Heute wird vieles wiedervereint; übrig geblieben sind zum Beispiel zwei Müllabfuhren, zwei Feuerwehren und zwei Universitäten. „Das Leben mischt sich zunehmend, es wird bald wieder gemischte Ehen geben.“ Da ist sich Alen sicher. „Kroatische Mädchen kommen manchmal schon in die Bars der Altstadt. Vor ein paar Jahren traute sich keiner von uns auf die jeweilige andere Seite.“

Alen ist einer von rund 400 000 Bosnier – ein Zehntel der damaligen Bevölkerung – , die während des Krieges in den Jahren 1993 bis 1995 nach Deutschland flohen. 10 000 von ihnen sind noch heute in Deutschland. Der Rest kehrte in zerstörte Städte und Dörfer zurück. Wenn ihre Häuser noch standen, waren sie oft besetzt – „von einer der anderen ethnischen Gruppen“. Vor dem Krieg wohnte Alens Familie im Westen der Stadt. Vor einigen Tagen konnte Alen wieder dorthin zurückziehen, ins nun kroatische Rodoc. Er sei der einzige Bosniake in Rodoc. Wissen sie, dass Du Moslem bist? „Die kennen mich ja. Wir waren ja Nachbarn“.


Es ist ein warmer Frühlingstag. Ein Glück für Alen, den Fremdenführer auf eigene Faust. Schon hat er eine kleine Gruppe deutscher Touristen um sich geschart und zeigt mit ausgestrecktem Arm auf die Türme, die die Brücke überwachen. Mostar heißt „Die Brückenwächter“. Und endlich springt einer der wagemutigen Brückenspringer von der Brücke in das türkise Wasser der Neretva tief unter uns und taucht wieder auf. Die Zuschauer klatschen und jubeln!

*** Ende ***



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