Russland

Freispruch für die „Simpsons“

Moskau (n-ost) – Fast drei Jahre hat der Jurist Igor Smykow an einem Moskauer Bezirksgericht gegen den Privatsender Ren-TV prozessiert, um die weitere Ausstrahlung der „Simpsons“ verbieten zu lassen. Nach dem Verständnis des 37-jährigen Familienvaters verstößt die weltweit erfolgreiche US-Animations-Serie gegen russische Gesetze, indem sie „Gewalt, Brutalität, Drogenkonsum und Homosexualität“ propagiere. Amoralisches Verhalten werde nicht als solches entlarvt und damit das Wertesystem des Zuschauers attackiert. Die Gesellschaft sei vor derart verderblichem Einfluss zu schützen. Doch die Simpsons dürfen weiter im Fernsehen ihr Unwesen treiben. Ein Moskauer Gericht lehnte die Klage ab.

Der Tenor in den Medien, die regen Anteil am Verfahren nahmen, war amüsierte Erleichterung: Russland, international fast permanent als Zensur-Nation gebrandmarkt, ist es erspart geblieben, auch noch wegen Miesepetrigkeit durch den Kakao gezogen zu werden. Allerdings hatten die Staatliche Suchtmittelkontrolle, diverse Abgeordnete der Duma und das Zentrum für Kommunikationsforschung eines Instituts der Akademie der Wissenschaften den Kläger unterstützt. Mehrere Gutachten bestärkten Smykow in seinem Kampf gegen „schlechten Zeichentrick“. Auf die Frage, was denn dann guter Zeichentrick sei, nannte er „Schneewittchen“ von Walt Disney.

Nun würde wahrscheinlich auch Homer Simpson seufzend einräumen, ein jämmerlicher Pädagoge zu sein. Aber dafür müsste man ihn schon wieder mögen. Denn trotz bester Absicht als Vorbild für den Nachwuchs zu versagen, ist ja doch mitten aus dem Leben gegriffen, wenn auch grotesk überzeichnet. Und letztlich hält die Familie ungeachtet aller Katastrophen zusammen.

Aber solche Dialektik ist nicht jedermann’s Sache. Smykow hat den Prozess im Namen seines heute achtjährigen Sohnes Kostja angestrengt. Der sei vor drei Jahren nach dem Anschauen der Serie „grob und aggressiv“ geworden. Als Schmerzensgeld für den „moralischen Schaden“ forderte Smykow 300 000 Rubel (rund 8300 Euro). Seine Anwältin Larissa Pawlowa, die dem Ganzen auf mütterliche Art einen seriösen Anstrich zu geben und den nervösen Eifer ihres Mandanten zu glätten versuchte, argumentierte, Eltern seien machtlos, alles zu kontrollieren, was ihre Kinder sähen. Die Freiheit der Medien werde aus rein kommerziellem Interesse missbraucht. Der Staat dürfe nicht länger passiv sein. Ansonsten müsse er sich über die Kriminalitätsrate unter Minderjährigen nicht wundern. Um den Handlungsbedarf zu beweisen, wurden Richterin Ljubow Dednewa einen ganzen Nachmittag Episoden der „Simpsons“ vorgespielt.

Ren-TV wies erwartungsgemäß alle Vorwürfe zurück. Wenn die „Simpsons“ gewaltverherrlichend seien, so Rechtsvertreter Wiktor Sinowjew, seien es russische Märchen auch. Dann könne das Fernsehen gleich eingestellt werden. Im übrigen wirke die Serie durchaus erzieherisch, nur eben nicht geradlinig an Hand des positiven Beispiels, sondern des negativen. Ob das der kleine Kostja Smykow habe verstehen können, sei nicht die Frage. Es liege in der Verantwortung der Eltern, sich damit zu beschäftigen, welche Programme ihre Kinder anschauten. Zumal die „Simpsons“ nie als Kinderprogramm ausgeschrieben gewesen seien.

Der Sender verhandelt gerade über eine Verlängerung der Lizenz zur Ausstrahlung der Serie um zwei weitere Jahre, denn in Russland sind die „Simpsons“ äußerst populär. Smykow will sich derweil nicht geschlagen geben: Er hat gekündigt, in Berufung zu gehen.


*** Ende *** 

Tino Künzel


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