Deutschland – Reiseland mit Hindernissen
Moskau (n-ost) Paradoxe Welt. Während viele Deutsche infolge des Visa-Skandals in jedem russischsprachigen Passanten inzwischen einen potenziellen Schwarzarbeiter vermuten, umwirbt die deutsche Tourismusbranche russische Reisende wie noch nie. Aus gutem Grund: Immer mehr Russen haben das nötige Geld zum Reisen. Und während Länder wie die Türkei, Ägypten und die Schweiz mit immer größerem Erfolg diese Kundschaft ansprechen, kämpfen deutsche Reiseveranstalter gegen die Folgen der restriktiveren Visa-Politik an.
Wohin die führen kann, hat Sergej Muchan vom Reiseveranstalter Ankor in Moskau schmerzlich erfahren müssen. Gemeinsam mit seinen deutschen Partnern organisierte Muchan Anfang Februar eine Bustour „Auf den Spuren deutscher Märchen“. Orte wie Wernigerode, Hameln, Bremen und Hildesheim sollten angesteuert werden. 40 Mitarbeiter von russischen Reiseagenturen wurden zur Demonstrationstour eingeladen, sie sollten das neue Reiseangebot dann ihren russischen Kunden empfehlen. Doch 19 der 40 Teilnehmer verweigerte das deutsche Konsulat in Moskau das Einreisevisum, wie der Online-Dienst „aktuell.ru“ berichtet. Ein klassisches Eigentor für den deutschen Tourismus.
Welches zahlungskräftige Potential für den deutschen Markt verloren zu gehen droht, rechnet die TUI vor, die erst im Herbst groß auf den russischen Markt eingestiegen ist: Allein in Moskau gebe es 200.000-Dollar-Millionäre. „Der typische russische Tourist ist überdurchschnittlich gebildet, beherrscht zumindest Englisch und verdient etwas mehr als andere.“ So beschreibt Irina Klimenko ihre potenzielle Kundschaft. Auf der Moskauer Tourismusmesse „Mitt“, die Ende März zum 12. Mal stattgefunden hat, versucht die Direktorin der Deutschen Zentrale für Tourismus e.V. in Moskau die dunklen Schatten, die der Visa-Skandal auch in Russland zu werfen beginnt, zu vertreiben. Im Jahre 2004 stieg die Zahl russischer Gäste in Deutschland um sechs Prozent auf 822 000 Personen. Dies gelte es zu verteidigen.
Neben der Hauptstadt Berlin steht Bayern ganz oben auf der Beliebtheitsskala. Vor allem München, Nürnberg und Garmisch-Partenkirchen hätten die Gunst der Russen gewonnen, so Klimenko. Die Natur mit ihren Seen und Bergen und natürlich die Skiorte, das seien Bayerns Trümpfe – abseits des Oktoberfest-Klischees, das sich hartnäckig hält. Im Vorjahr übernachteten mehr als 67 000 Gäste aus Russland in dem Freistaat, der sich auf der „Mitt“ gleich mit mehreren Ständen präsentierte.
Wer einmal in Deutschland war, kommt wieder: So besucht der durchschnittliche russische Tourist beim ersten Mal vor allem Großstädte, um sich beim zweiten Mal auf beschaulichere Destinationen zu konzentrieren, beobachtet Irina Klimenko.
An Bedeutung gewinne auch der Wellness- und Aktivtourismus. „Viele russische Touristen interessieren sich für Ayuverda, Kneipp- und Schrotkuren“, erklärt die Fachfrau. Neben traditionellen Kurorten wie Baden-Baden oder Wiesbaden würden auch andere deutsche Städte zunehmend populärer werden. Die Sterne-Restaurants im Schwarzwald beispielsweise, die gemessen an den Moskauer Preisen fast günstig erscheinen, seien beliebte Ausflugsziele, so die Expertin. Familien zeigten hingegen häufig Interesse am Legoland in Günzburg oder dem Europapark im südbadischen Rust.
Insgesamt nehmen die Russen laut Angaben des Statistischen Bundesamtes Platz 16 unter allen Touristen in Deutschland ein. Zum Vergleich: Etwa zehn Mal mehr Niederländer übernachten in ihrem westlichen Nachbarland – und zählen somit zu den häufigsten Gästen.
„Deutschland ist kein Ziel für Faulenzer, die am Strand liegen möchten. Die Leute bringen in der Regel viel Wissen über das Land mit“, sagt Alexander Turtschenko, Geschäftsführer des Moskauer Reiseveranstalters „Tschaika-Tours“. Obwohl sich sein Team auf Pauschal- und Sprachreisen spezialisiert hat, werden auch individuelle Wünsche erfüllt: „Einmal wollten vier russische Familien gemeinsam auf Usedom Urlaub machen, doch nur das Hotel `Roter Stern` kam für sie in Frage, das es ja längst nicht mehr gibt“, erzählt Turtschenko. Irgendwie, „mit viel Mühe“, hätten sie den neuen Namen dennoch herausgefunden, erinnert sich der Reisefachmann. Wer nach Deutschland reist, hat oft auch nostalgische Gründe: Armeeangehörige, die ihre ehemaligen Stützpunkte in Ostdeutschland besuchen wollten, seien keine Seltenheit, sagt Turtschenko.
Spitzenreiter unter den Reisezielen russischer Erholungssuchender bleiben jedoch die Türkei und Ägypten, die russische Gäste mit aggressiven Dumping-Preisen ins Land locken. Eine Woche „All-Inclusive“ ist in der Nebensaison bereits ab 200 US-Dollar zu haben – Flug, Hotel und reichlich Wodka inbegriffen. Das türkische Touristikministerium hat sich ein klares Ziel gesteckt: In Kürze sollen zwei Millionen russische Touristen in die Türkei reisen – derzeit entscheidet sich gut die Hälfte für das Land am Bosporus. Wie die Türkei war auch Ägypten mit auffällig großflächigen Ständen auf der „Mitt“ vertreten. Auch die Schweiz zeigte auffällig Flagge. In Städten wie St. Moritz ist bereits jeder dritte Gast Russe. Mehr als 110 Partner sind deshalb allein aus der Schweiz zum fünftgrößten Touristik-Event weltweit nach Moskau angereist.
Die MITT in Zahlen
Die „Mitt“ ist die bedeutendste Touristikfachmesse Russlands und rangiert von ihrer Bedeutung für die Branche an fünfter Stelle weltweit. In diesem Jahr wurde sie bereits zum zwölften Mal im Moskauer „Expozentr Krasnaja Presnja“ ausgetragen. Mehr als 2 500 Anbieter aus mehr als 110 Ländern und Regionen nahmen teil. Die Gesamtausstellungsfläche betrug 27 000 Quadratmeter und war damit um 9 000 Quadratmeter geringer als im Vorjahr. Russland nahm 40 Prozent der Gesamtfläche ein. Mehr als 120 000 Besucher, darunter 90 000 aus der Tourismusbranche haben die viertägige Exposition aufgesucht.
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Veronika Wengert